Samstag, 17. Oktober 2020

kleine weiße Punkte


Meine Dunhill Pfeife mit dem durchgebrannten Boden war bei Herrn Trennt zur Reparatur, er fragte mich, ob auch ein neues Mundstück daran sollte. Nach dreißig Jahren machte das Sinn, diese Ebonit Mundstücke versiffen ja mit der Zeit. Ich sagte Ja, und dann kam die Frage: Wollen Sie eins mit dem weißen Punkt? Der weiße Punkt auf dem neuen Mundstück kostete fünf Euro extra. Jetzt weiß ich endlich, was Dunhills Markenzeichen wert ist. Es war nicht immer ein Markenzeichen: zuerst war der Punkt auf dem Mundstück lediglich dafür gedacht, dem Raucher anzuzeigen, wie herum er das Mundstück einpassen sollte. Bei Qualitätspfeifen sind die Mundstücke handgemacht, die sind nicht auf beiden Seiten gleich, die haben ein unten und ein oben.

Alfred Dunhill, der viel später als englische Traditionsfirmen ins Pfeifengeschäft einstieg, kam irgendwann auf die Idee, diesen kleinen weißen Punkt zu einem Markenzeichen zu erklären, das niemand außer ihm benutzen dürfe. Das ist jetzt ein klein wenig größenwahnsinnig. Denn viele englische Hersteller hatten schon irgendwelche Punkte auf ihren Mundstücken, ohne dass sie sich gegenseitig verklagt hätten. Das liest sich in der Sprache der Juristen in dem Prozess, den Dunhill 1922 vor dem High Court of Justice gegen die Firma Bartlett & Bickley führte, dann so: That the use of spots upon pipes and upon the mouthpiece of pipes was and for many years had been common to the trade in the United Kingdom, and that, particulars of users of such spots were as follows: (a) Messrs. Frankau of 119 Queen Victoria Street, E.C. sold pipes bearing a white spot from March 1913 to about 1916. (b) Messrs. Wolf Brothers of 142 Wardour Street W. had sold pipes bearing a spot on the mouthpiece from March 1920 to the then present time. (c) Messrs. F. Charatan & Son, Ld. of 146 Minories E.C. had sold pipes bearing a spot on the mouthpiece from July 16th 1921 to the then present time. Unglücklicherweise hatte Alfred Dunhill, der sich in dem Prozess von seinem Bruder Herbert vertreten ließ, einen Richter, der das Ansinnen von Dunhill für ziemlich lächerlich hielt. Dunhill verlor den Prozeß (Sie können das Urteil hier als Portable Document Format lesen) und musste alle Kosten tragen. Bartlett & Bickley am Piccadilly mit ihrer Marke Barbic durften ihren roten Punkt weiter führen.

Der Richter, der sehr ironisch sein konnte, sagte nach sieben Verhandlungstagen dem Kläger Dinge, die dieser nicht gerne hören wollte: When all is said and done, I am asked to hold on the evidence that a pipe with a large red spot bearing the words 'Barbic' and 'Bartlett & Bickley, 408. Vigo Street', distinctly on the stem is likely to deceive a purchaser who means and intends to buy a pipe with a smaller white spot and with the words 'Dunhill, London' distinctly on the stem. I am unable to do so. The only point of similarity is a spot. The Plaintiff's case rests on the spot and on nothing else. He is, in fact, asking for a monopoly in all colours of the spot. After having dinned into the ears of the public that what earmarks his goods is a white spot, he now claims that any spot on the mouthpiece will indicate goods of his manufacture. Such a claim is, in my opinion, ill founded. 

Erst 1923, ein Jahr nach dem verlorenen Prozess, ließ sich Dunhill den Zusatz white spot für seine Pfeifen als Markenzeichen schützen. Schon vor dem Prozess gegen Bartlett & Bickley hatte Dunhill versucht, einzelne Hersteller, die kleine Punkte auf dem Mundstück hatten, juristisch zu bedrängen. Da war zum einen Herman Henry Wolf (in dem Gerichtsdokument als Messrs. Wolf Brothers zitiert), der einmal für Dunhill gearbeitet hatte. Und dann war da noch die Firma Sasieni, die einen hellblauen Punkt auf dem Mundstück hatte. Dunhill hatte das aber wieder aufgegeben. Schließlich war Joel Sasieni mal der Chef seiner Pfeifenabteilung gewesen, man wusste nicht, was der vor Gericht über Dunhills Geschäfte sagen würde. Es schmerzte Dunhill schon, dass sein ehemaliger Angestellter mit dem englischen Thronfolger werben durfte. Er wusste auch, dass Sasienis Pfeifen besser waren als seine. Alfred Dunhill gab es in England erst einmal auf, gegen seine Konkurrenten zu prozessieren (auch den 1917 angefangenen Rechtsstreit mit Barling beendete er), die alle irgendwelche Punkte auf den Mundstücken ihrer Pfeife hatten. Wenn Sie davon einen Eindruck bekommen wollen, dann habe ich hier eine hervorragende Seite, auf der man alles über die Beschriftung von Pfeifen sehen kann. Mit Punkten in allen Farben.

Als der Prozesshansel Dunhill in England juristisch nichts mehr werden konnte, fand er durch Zufall einen neuen Gegner, nämlich die deutsche Firma Vauen in Nürnberg, die die Mundstücke ihrer Pfeifen auch mit einem weißen Punkt verzierte (übrigens schon länger als Dunhill) und das Weisspunkt auch als Marke eingetragen hatten. Mit dem Spruch Die beste Gesundheitspfeife der Welt würde die Firma heute wohl nicht mehr werben, aber der weiße Punkt ist immer noch auf ihren Spitzenmodellen. Die Sache mit der Gesundheitspfeife bezieht sich auf Vauens Modellreihe Dr Perl, die mit einem 9mm Aktivkohlefilter geraucht werden konnte; das hatte die Firma Vauen erfunden, so etwas gab es bei Dunhill nicht. Von den Dr Perl Filtern verkauft Vauen heute noch drei Millionen Stück in der Woche. Der Rechtstreit zwischen Dunhill und Vauen endete kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit einer Art Kompromiß: Vauen konnte in Deutschland und Österreich Pfeifen mit einem weißen Punkt verkaufen, für das Ausland musste es ein grauer Punkt sein. Das ist alles ein wenig albern. Der Export war sowieso zum Erliegen gekommen, weil die Nazis verboten hatten, dass deutsche Pfeifen exportiert werden durften.

Auf die Idee, Vauen zu verklagen, war Dunhill durch seinen Wiener Konzessionär Adolf Lichtblau gekommen, dessen Haus in der Hermanngasse 17 dieser pfeiferauchende Mohr von dem Kunsthandwerker Karl Hagenauer ziert. Lichtblau hatte sich das Haus, das 1836 noch Zum schwarzen Mohren hieß, von seinem Verwandten, dem Architekten Ernst Lichtblau, umbauen lassen. Adolf Lichtblau und sein Schwiegersohn Bernhard Grünfeld (der die Dunhill Connection geknüpft hatte) handelten auch mit Vauen Pfeifen und hatten, da ihnen der weiße Punkt auf dem Mundstück so gut gefiel, auch no-name Pfeifen mit dem weißen Punkt im Angebot. Das gefiel allerdings Adolf Eckert, dem Besitzer von Vauen, bei einem Besuch in Wien nun gar nicht, und es kam zu einem kleinen Streit, schließlich sei seine Marke Weisspunkt patentrechtlich geschützt. Das kleine Streitgespräch gelangt dank der Grünfelds nach London, und da fand es bei Alfred Dunhill sehr offene Ohren. 

Vauen hätte den Prozess vielleicht nicht verloren, wenn sie nicht Simon Wertheimer, ihren Ersten Reisenden für deutsche Geschäfte, hätten entlassen müssen. Nach Ansicht der Familie Eckert war er der einzige, der mit Alfred Dunhill hätte erfolgreich verhandeln können. Aber die Nationalsozialisten bestanden auf der Entlassung des jüdischen Kaufmanns. Simon Wertheimer wird die Naziherrschaft überleben (auch wenn er mal für vierzehn Tage in Dachau landet) und nach dem Krieg in die USA auswandern. Auswandern wird auch der Sohn von Bernhard Grünfeld mit seiner Familie, die Dunhills werden dafür sorgen, dass sie nach England emigrieren können. Bernhard Grünfeld bleibt mit seiner Frau in Wien, sie werden 1942 im Vernichtungslager Chełmno umgebracht. Die Rauchrequisiten Fabrik Adolf Lichtblau & Co gibt es nicht mehr, sie wurde arisiert, wie es so schön heißt, aber nach dem Krieg wieder restituiert. Doch das Haus, das der Otto Wagner Schüler Ernst Lichtblau (der 1939 in die USA emigriert) gebaut hatte, steht noch genauso da, wie es 1922 gebaut wurde.

Der weiße Punkt von Dunhill ist etwas ähnlich Irrationales wie der Mercedesstern oder die fünfzackige Krone auf einer Rolex. Er bedeutet eigentlich gar nichts, der Kunde muss in der schönen neuen Werbewelt nur an die Magie glauben. For some mysterious reason the presence of this little white spot has attractions for many smokers, hatte der Richter in dem Prozess von 1922 sehr ironisch gesagt. Und hinzugefügt, dass wegen der white spots von Dunhill Thackerays Book of Snobs wohl noch um das Kapitel The Pipe Snob bereichert werden müsse. Es gibt heute immer noch viele Pfeifenfirmen, die Punkte auf ihren Mundstücken haben. Bei Savinellis Top Linie Punto Oro sind sie goldfarben, aber schon lange bevor Dunhill Pfeifen produzierte, hatten die Produkte von Achille Savinelli einen silbernen Punkt auf dem Mundstück. Bei dem Italiener Luigi Radice sind zwei Punkte auf dem Mundstück, nicht weiß, silber oder gold, nein, es sind winzige Stücke Bruyereholz, die in das Ebonit eingelassen sind. Das finde ich sehr witzig.

Ich habe hier zum Schluß noch eine Pfeife, die nichts mit dem Thema kleine Punkte - großes Ego zu tun hat. Man sieht hier einen goldfarbenen Punkt auf dem Pfeifenholm, nicht auf dem Mundstück. Das ist eine Pfeife von Johann Wilhelm von Eicken, einer Firma, die schon seit dem 18. Jahrhundert im Tabakgeschäft war und 1886 ihren Firmensitz nach Hamburg verlegt hatte. Diese Pfeife brachten sie als Hausmarke mit dem Namen Exzellent Ende der 1950er Jahre auf den Markt, und der kleine goldene Punkt ist etwas ganz Besonderes.

Denn wenn man genau hinschaut, ist es kein goldener Punkt, sondern eine kleine metallene Düse, die die Modelle Exzellent im Pfeifenholm hatten. Die zusätzliche Luftzufuhr sollten ein trockenes Rauchen ermöglichen. Trocken und gesünder rauchen durch die Miko-Düse in von Eicken-Pfeifen, sagte die Werbung. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber meine Pfeife aus dem Jahre 1956 raucht sich sehr gut. Die französische Firma Chacom hat Jahre später etwas Ähnliches gemacht, da war das kleine Metallventil unten im Pfeifenboden eingelassen, New Steel hieß das Modell. Ich dachte erst, es würde nicht funktionieren, aber die Sache mit dem Luftloch funktioniert seit Jahrzehnten erstklassig.

Die deutsche Firma Vauen ist seit 170 Jahren im Geschäft, sie ist noch immer im Familienbesitz. Die englische Firma Dunhill ist seit etwas mehr als hundert Jahren im Pfeifengeschäft, sie gehört seit 1993 zu dem Schweizer Richemont Konzern. Eine gute Vauen Pfeife mit dem weißen Punkt kostet 159€, eine Dunhill mit dem weißen Punkt kostet 300€ mehr. Ich weiß nicht, welche Pfeife besser ist. Vauen ist stolz auf seine Acrylmundstücke und seine Kohlefilter, beides gibt es bei Dunhill nicht. Die weißen Punkte sind bei beiden Herstellern aus Plastik. Dass bei Dunhill die weißen Punkte aus Elfenbein sind, ist ein Märchen, dass sich hartnäckig hält. Ebenso hartnäckig wie die Behauptung, dass Dunhill die besten Pfeifen der Welt baut.



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