Donnerstag, 20. Januar 2022

Diva


Heute vor hundertdreißig Jahren ist in Mailand die Oper La Wally von Alfredo Catalani aufgeführt worden. Die Oper basiert auf dem zwanzig Jahre zuvor erschienenen Roman Die Geier-Wally: Eine Geschichte aus den Tyroler Alpen (Volltext) von Wilhelmine von Hillern, einem literarischen Dauerbrenner, der schon in ein halbes Dutzend Sprachen übersetzt worden war. Ich gebe mal eben eine kleine Leseprobe: Oben in Adlershöhe ... am schwindelnden Abhang stand eine Mädchengestalt, von der Tiefe heraufgesehen nicht größer als eine Alpenrose, aber doch scharf sich abzeichnend vom lichtblauen Himmel und den leuchtenden Eisspitzen der Ferner. Fest und ruhig stand sie da, wie auch der Höhenwind an ihr riss und zerrte, und schaute nieder schwindellos in die Tiefe ... Schrankenlos war ihr Mut und ihre Kraft, als hätte sie Adlersfittige, schroff und unzugänglich ihr Sinn, wie die scharfkantigen Felsspitzen, an denen die Geier nisten und die Wolken des Himmels zerreißen… 

Die Autorin schrieb den Roman 1880 zu einem Theaterstück um, das an zahlreichen deutschen Bühnen aufgeführt wurde. Theodor Fontane sah das Stück 1881 in Berlin und war ergriffen: Ich wurde drei Stunden nicht nur gefesselt, sondern abwechselnd erschüttert und erhoben. Die Macht der Poesie war stärker als das immer wieder sich regende kritische Bedenken. Er lobte in seiner Besprechung, dass hier richtige Menschen das Richtige sagen und das Richtige tun, und dies Richtige tun zu richtiger Zeit und am richtigen Ort. Er war aber auch als Theaterkritiker versiert genug, um zu betonen, dass das Stück seiner glänzenden Eigenschaften unerachtet, mehr in die Reihe der Kometen als in die der Dauer-Sterne gestellt werden sollte.

Die Geier-Wally hat hier schon seit Jahren einen Post (natürlich auch an einem 20. Januar), aber ich komme heute noch einmal auf das Thema, weil der französische Regisseur Jean-Jacques Beineix vor einer Woche im Alter von fünfundsiebzig Jahren gestorben ist. Und weil in seinem berühmtesten Film Diva eine Arie aus Catalanis Wally die Hauptrolle spielt: 'Diva' must be the only pop movie inspired by a love of opera, schrieb David Denby vom New Yorker damals. Die Arie, die die Handlung des Films strukturiert, ist von jeder Operndiva gesungen worden ist, von der Callas bis zu Anna Netrebko. Es gibt auch eine Version von Donij van Doorn und André Rieu, ist aber weit weg von der Callas:

Ebben? Ne andrò lontana,
Come va l'eco della pia campana,
Là, fra la neve bianca;
Là, fra le nubi d'ôr;
Laddóve la speranza, la speranza
È rimpianto, è rimpianto, è dolor


In dem Film von Beineix wird die Arie von der schwarzen Schönheit Wilhelmenia Wiggins Fernandez in einem silberweißen Seidenkleid gesungen. Die Sängerin aus Philadelphia hatte gerade einen Zweijahresvertrag an der Pariser Oper bekommen, als Beineix sie in La Bohème entdeckte, wo sie die Musetta sang: He came backstage and asked for my autograph, then just stood there and gaped. I asked, 'Is there anything else?' 'Yes,' he said, 'I have a proposition for a film.' I was amazed. Als er mit dem Drehbuch wiederkam, lehnte sie die Rolle ab: I was reading murder, prostitution and drugs, and I wanted nothing to do with it. Aber Beineix ließ nicht locker: Jean-Jacques forced me to read it with him. Then I realised it was actually light, like a Disney treatment of a Hitchcock film. Sie kommt für zwölf Drehtage, geht dann wieder in die USA zurück und glaubt, sie würde nie wieder etwas von dem Film hören.

Niemand in den USA würde diesen Film sehen, der mit einem relativ kleinen Budget und größtenteils unbekannten Schauspielern gedreht worden war, dachte sie. Solche Filme kommen nicht in die USA. Da hat sie sich getäuscht, die Kritiken des New Yorker und der New York Times überschlugen sich geradezu. Der Film und Catalanis Arie machen Wilhelmenia Fernandez weltberühmt. Das silberweiße Seidenkleid spielt in dem Film noch eine Rolle. Die Arie auch. Die Sängerin, die im Film Cynthia Hawkins heißt, erlaubt keine Tonaufnahmen von ihrem Gesang, aber alle Welt will ihre Stimme hören. Sie selbst hat ihre Stimme noch nie auf einem Tonträger gehört. Sie wird sie in diesem Film zum erstenmal hören, wenn ein junger Pariser Postbote namens Jules sie ihr vorspielt. Jules: It's the only recording. Cynthia Hawkins: It was you? Jules: It's yours. It's my gift to you. Forgive me. Cynthia Hawkins: But...I've never heard myself sing! Jules: Listen...

Der junge Postbote Jules (Frédéric Andréi) verehrt die Sängerin. Er ist einmal mit seinem Moped von Paris nach München gefahren, um sie singen zu hören. Da sang sie Wagner und die Wesendonck Lieder. Jules besitzt ein professionelles Aufnahmegerät der Firma Nagra und schneidet heimlich während eines Konzerts in der Opéra Garnier die Arie mit. Er nimmt nicht nur ihre Stimme mit, wenn er die Oper verlässt, er wird auch das silberweiße Seidenkleid stehlen. Von nun an wird er verfolgt, nicht von der GEMA, sondern von richtigen taiwanesischen Gangstern. Und wie es der Zufall so will, hat er plötzlich noch ein zweites Tonband in der Satteltasche seines Mobylette, das eine orientierungslose Frau mit bloßen Füßen in die Tasche hat gleiten lassen. Kurz bevor sie umgebracht wird.

Auf dem Band hört der Postbote nicht die Stimme von Cynthia Hawkins, er erfährt, dass der Pariser Polizeichef Jean Saporta hochkriminell ist, eine Größe im Rauschgift- und Mädchenhandel ist. Jetzt wird Jules nicht nur von den Taiwanesen, sondern auch noch von den Killern Saportas verfolgt. Wir sind in einem Thriller. Und allem, was einen Thriller ausmacht. Mit rasanten ✺Mopedfahrten durch die Métro mit seinem gelben Mobylette (das eine kleine Rolls Royce Kühlerfigur am Lenker hat). Und wenn es keine Chance mehr für unseren Postboten zu geben scheint, dann kommt als eine Art deus ex machina dieser geheimnisvolle Herr namens Serge Gorodish (gespielt von Richard Bohringer, der schon mit Catherine Deneuve in Die letzte Métro zu sehen war), der eine Wohnung in einem Leuchtturm und einen weißen Citroen Traction Avant besitzt. Etwas, das man früher das Gangsterauto nannte, wir kennen den Wagen aus unzähligen französischen Kriminalfilmen. Alles, was in diesem Film ist, kennen wir aus Kriminalfilmen, nur die Arie Ebben? Ne andrò lontana ist neu.

Beineix hatte ein blue movie machen wollen, und blau und dunkel ist vieles in diesem Film, es ist ein Farbspektakel, das seine eigene Ästhetik hat. Dafür hat sein Kameramann Philippe Rousselot gesorgt. It's a glittering toy of a movie, schrieb Pauline Kael in ihrer Rezension im New Yorker, sie sah in dem jungen Franzosen einen neuen Orson Welles. Ihr Kollege Roger Ebert äußerte sich ähnlich: 'Diva' is one of the best thrillers of recent years but, more than that, it is a brilliant film, a visual extravaganza that announces the considerable gifts of its young director, Jean-Jacques Beineix. He has made a film that is about many things, but I think the real subject of 'Diva' is the director's joy in making it. The movie is filled with so many small character touches, so many perfectly observed intimacies, so many visual inventions from the sly to the grand that the thriller plot is just a bonus. In a way, it doesn't really matter what this movie is about; Pauline Kael has compared Beineix to Orson Welles and, as Welles so often did, he has made a movie that is a feast to look at, regardless of its subject.

Auch die Diva des französischen Pornofilms Brigitte Lahaie hat unter dem Namen Brigitte Simonin eine kleine Rolle in diesem Film; Sie können hier fünf Sekunden lang die Beine von Brigitte sehen, weil ihr Rock durch die Luft aus der Métro hochgewirbelt wird. Eine Szene, die wir mit Marilyn Monroe kennen. Die Szene mit Brigitte Lahaie ist ein filmisches Zitat, so wie so vieles in dem Film nur Zitat ist: der Citroen Traction Avant, die Rolls Royce Emily, glatzköpfige Gangster mit schwarzen Sonnenbrillen und die rasanten Mobylette Fahrt durch die U-Bahn, die die Kritiker an Bullitt erinnerte. Zitate sind ein Merkmal der Postmoderne, Kritiker wie Fredric Jameson haben gesagt, dass Diva der erste Film der Postmoderne ist.

Die Postmoderne ist schnell gealtert, niemand redet heute noch über sie. Die Zeilen aus Uli Beckers Gedicht Kunst sagen uns schon alles: Gott ja, die Postmoderne, sagt der Minirock / zum Existenzialistenrolli, anything goes / und alles kommt wieder, für 15 Minuten. Für Vincent Canby von der New York Times war es an empty though frightfully chic-looking film from France, eine anthology of affectations. Und ähnlich äußerte sich 1983 der SpiegelDer Film von 1981, der in Frankreich und den USA fast kultische Verehrung genießt, läuft jetzt in der Bundesrepublik an. Er ist ein fulminantes Nichts, photographiert im Stil teurer Werbung - immer schön hohl und chic. Die Franzosen fanden schnell einen Namen für dies neue Kino: Cinéma du look.

Es ist ein postmodernes Märchen, das Beineix uns präsentiert. Vielleicht ein fulminantes Nichts, aber technisch brillant. Dafür stand
Philippe Rousselot, der als Assistent von Néstor Almendros Rohmers Ma Nuit Chez Maud photographierte. Er bekam 1982 den französischen Filmpreis César (Beineix auch für das beste Erstlingswerk) und erhielt nach zwei Oscar Nominierungen (Hope and Glory und Henry & June) 1992 den Oscar für A River Runs Through It

Theodor Fontane war bei dem Theaterstück über die Geier-Wally ein wenig skeptisch und sagte, dass das Stück seiner glänzenden Eigenschaften unerachtet, mehr in die Reihe der Kometen als in die der Dauer-Sterne gestellt werden sollte. Was ist mit Beineix' Diva? Komet oder Dauer-Stern? Diva ist ein Kultfilm geworden, es gab in den achtziger Jahren Kinos, in denen der Film jahrelang einmal am Tag gezeigt wurde, zum Beispiel im Broadway in Hamburg. Man kann den Film nach vierzig Jahren immer noch sehen, das Disney treatment of a Hitchcock film, wie Wilhelmenia Fernandez es formulierte, ist nach vierzig Jahren immer noch von einer erstaunlichen Modernität. Sie können den Film natürlich hier sehen, klicken Sie einfach auf DIVA.

Sonntag, 16. Januar 2022

Anatomiestunde

Muss ich noch einmal auf Boris Johnson zurückkommen? Es sind inzwischen noch viel mehr Parties als die Party vom Mai 2020 bekannt geworden. Vor allem die beiden Parties, die von seinen Mitarbeitern am Vorabend von Prinz Philips Begräbnis gefeiert wurden. Johnson hat sich dafür gerade bei der Königin entschuldigt. Ich will eigentlich nicht über Johnson schreiben, sondern über Rembrandts Bild von der Anatomie des Dr Tulp, aber es gibt da eine Verbindung. In dem →coronarchiv der Universität Hamburg findet sich eine bösartige Karikatur von Rembrandts Gemälde, wo die Leiche von lauter Coronaleugnern umstanden wird. Boris ist auch dabei.

Heute vor 390 Jahren ist Rembrandt bei einer Vorlesung des Mediziners Nicolaes Tulp gewesen, der an jenem Tag die Leiche eines Straßenräubers namens Adriaan Adriaanszoon obduzierte. Im 17. Jahrhundert war das Sezieren ein öffentliches Spektakel. Möglich war das nur im Winter, wenn die Kälte den Körper lange genug vor der Verwesung bewahrte. Viele Stadtbewohner ließen sich diese Anlässe nicht entgehen. Anwesend waren wissbegierige Chirurgen und Ärzte, Vertreter der Obrigkeit und andere Schaulustige. Der Eintritt kostete sechs oder sieben Stuiver (etwa ein Drittel eines Gulden), sagt Hugh Aldersey-Williams in seinem Buch Anatomies: A Cultural History of the Human Body. Dieser Adriaan Adriaanszoon, den man gerade frisch vom Galgen genommen hat, ist wahrscheinlich der berühmteste Straßenräuber der Kunstgeschichte geworden, denn Rembrandt hat seine Leiche in das Bild Die Anatomie des Dr Tulp gemalt. Er findet sich auch in der Literatur wieder, weil W.G. Sebald ihn in das Buch Die Ringe des Saturn hineingeschrieben hat (lesen Sie →hier viel mehr dazu).

Ob der achtundzwanzigjährige übergewichtige Adriaan Adriaanszoon, der den Spitznamen Het Kint hat, wirklich so ausgesehen hat, wissen wir nicht. Bei den Herren in Schwarz kommt es darauf an, dass sie so aussehen, wie sie aussehen wollen. Bei dem Toten nicht. Sein Gesicht hat eine seltsame grünliche Farbe, mit der Rembrandt die Leichenstarre unterstreichen will. Der Straßenräuber liegt auf dem Seziertisch in der gleichen Pose wie der betrunkene Bauer auf einem Bild von Adriaen Brouwer, das in Rotterdam hängt. Kunst kommt von Kunst. Schon Karel van Mander gab jungen Malern in seinem Schilder-Boeck den Rat: Stehlt Arme, Beine, Körper, Hände, Füße. Hier ist es nicht verboten. Maler werden sich für Jahrhunderte daran halten.

Rembrandt ist nicht der erste, der die Anatomie eines Leichnams malt, schon 1603 hat Aert Pietersz diese Anatomiestunde des Dr Sebastiaen Egbertsz de Vrij gemalt. Als er das Bild vollendet hatte, waren schon fünf der Dargestellten verstorben. Keine Corona. Die Pest. Das Bild Die Anatomie des Dr. Tulp war schon mehrmals in diesem Blog. Es hat mit Anatomie schon einen langen Post, und die Tochter von Nicolaes Tulp hat auch schon einen langen Post. Bei dem Bild des Straßenräubers Adriaan Adriaanszoon fällt mir immer Gottfried Benns Gedicht mit dem ersoffenen Bierfahrer aus der Sammlung Morgue ein, aber das habe ich in Anatomie schon gesagt. Und das sehr schöne Gedicht aus dem Spätwerk von Heiner Müller habe ich in dem Post Chirurgie auch schon einmal zitiert:

Der Maler hält den Moment vor dem Verschwinden
fest, die kalte Sekunde, wenn der Körper zum
Farbton schrumpft, den letzten Atem, von
Malschichten wie vom Vergessen erstickt.
Der Maler malt das Vergessen. Das Bild vergißt
seinen Gegenstand. Der Maler ist Charon. Mit
jedem Pinselstrich
Ruderschlag verliert sein
Passagier an Substanz. Die Fahrt ist das Ziel,
das Sterben der Tod. Am anderen Ufer wird
Niemand aussteigen.

Die Anatomien sind als Gegenstand der Malerei inzwischen aus der Mode gekommen, aber das Interesse an Autopsien, das die Bevölkerung in Rembrandts Zeit hatte, das gibt es heute immer noch. Nicht im wirklichen Leben, aber im Fernsehen. Seit der Serie Quincy, M.E. hat sich die Zahl der Gerichtsmediziner im Fernsehen vervielfacht. Früher waren Gerichtsmediziner in Krimiserien graue Mäuse, die sich erst zum genauen Todeszeitpunkt äußern wollten, wenn sie die Leiche auch ihrem Labortisch hatten. Aber seit Jack Klugman als Held von Quincy, M.E. solch großen Erfolg hatte, sind die Pathologen allgegenwärtig. Von Dr Donald (Ducky) Mallard in NCIS über Professor Boerne in Münster bis zu der Ex-Frau von Hubsi in Hubert und Staller, jeden Tag Gerichtsmediziner auf allen Kanälen. Häufig neuerdings Frauen, das Genre schreit nach Gleichberechtigung. Dr Laura Hobson, die wir aus Lewis – Der Oxford Krimi kennen, hatte schon in der Inspector Morse Serie (in The Way Through the Woods) einen ersten Auftritt. Wo ihr die Drehbuchautoren den wunderbaren ersten Satz in den Mund legten: Do you know where I might find a Detective Chief Inspector... looks like 'Mouse'?

Freitag, 14. Januar 2022

Gartenparty


Es hat natürlich keine Party im Mai 2020 im Garten der Downing Street No 10 gegeben. Das wäre ja blöd gewesen, im Garten von Number Ten eine Party an dem Tag zu machen, an dem der Lockdown verkündet wurde, der nur noch das Treffen mit einer Person im Freien erlaubte. Völlig blöd, sowas macht niemand.

Nein, es gab keine Party, sagte Boris Johnson, er hätte überhaupt nichts von einer Party gehört: I repeat that I have been repeatedly assured since these allegations emerged that there was no party and that no Covid rules were broken. Das ist nun das, was man als eine fette Lüge bezeichnet. Es gab eine Party. Und Boris Johnson war dabei. Und seine Gattin (damals noch seine Verlobte) auch. In kleinen Stückchen kommt die Wahrheit ans Licht. Inzwischen mit Photo. Vorgestern rang sich der Premiernminister zu einer Erklärung vor dem Parlament durch und las etwas vor, was ihm offenbar seine Juristen geschrieben hatten:

I know the rage they feel with me and the Government I lead when they think that in Downing Street itself, the rules aren't being followed properly by the people who make the rules.
     Though I cannot anticipate the conclusions of the current inquiry I have learned enough to know there were things we simply did not get right and I must take responsibility.
     Number 10 is a big department with the garden as an extension of the office, which has been in constant use due to the role of fresh air in stopping the virus.
     When I went into that garden just after 6pm on May 20, 2020, to thank groups of staff before going back into my office 25 minutes later to continue working, I believed implicitly this was a work event.
     With hindsight I should have sent everyone back inside. I should have found some other way to thank them and should have recognised, even if it could be said to fall technically within the guidance there would be millions and millions of people who simply wouldn't see it that way. People who suffered terribly, people who were forbidden from meeting loved ones at all, inside or outside and to to them and this house I offer my heartfelt apology. 

Rhetorik und Schmalz beiseite, dann ist Johnsons Argumentation, die ihm die Juristen eingeredet haben (carefully worded and obviously lawyered, heißt es in der Presse), einfach: Die Downing Street No 10 hat einen Garten, den benutzen wir praktisch als Büro (the garden as an extension of the office), wir benutzen ihn wegen der frischen Luft, die Corona verhindert (in constant use due to the role of fresh air in stopping the virus). Ich bin in den Garten gegangen, um meinen Mitarbeitern zu danken. Ich habe gar nicht gemerkt, dass da eine Party war, ich hielt es für ein Arbeitstreffen (I believed implicitly this was a work event). Wenn das eine Party war, dann hätte man mir das sagen müssen. Der Independent titelte dazu: Boris Johnson’s No 10 party defence ‘nonsense’ that would be ‘laughed out of court,’ lawyers say. Dieses Photo ist bestimmt eine Fälschung. Der Mann neben der Blondine mit dem Baby ist ganz bestimmt nicht Boris Johnson.

Während seiner Rede haben viele im Parlament gelacht. Und der Satz I offer my heartfelt apology wird wohl niemanden überzeugen. In den sogenannten sozialen Medien hatte man dafür nur das Wort pathetic (jämmerlich, erbärmlich) übrig. Zur Bedeutung von apology kann man in dem Cambridge English Corpus lesen: Thus, a real apology is sincere and truly heartfelt; a false apology is not. Und auf der Seite von Bible Truths steht: A real apology, which only comes from a person that is truly sorry, is a request for mercy and forgiveness. It is like the Fruit of the Spirit (love, joy, peace, patience, kindness, goodness, faithfulness, gentleness, and self-control), which cannot be artificially added on from the outside, but flows out from a pure heart. A real, genuine, sincere apology is a blessing. But, nothing is worse than a faint apology, a false apology, a fake apology, or a non-apology. Boris Johnsons heartfelt apology ist nichts als Heuchelei und Rhetorik.

Bei You Tube ist sein Auftritt mit dem schönen Satz If Boris was Pinocchio his nose would have circumnavigated the world by now kommentiert worden. Da möchte man doch einmal den unsterblichen Satz von Abraham Lincoln zitieren: You can fool some of the people all of the time, and all of the people some of the time, but you can't fool all of the people all of the time.

Donnerstag, 13. Januar 2022

grüner wirds nicht

Die Stadt Kiel wurde auf einer Halbinsel gebaut, die von einem Seitenarm der Kieler Förde umgeben war. Von dem Seitenarm der Ostsee ist ein Binnengewässer übriggeblieben, das den Namen Kleiner Kiel hat. Am letzten Sonntag war der Kleine Kiel grün. Quietschegrün. Giftgrün. Was war passiert? Die Antwort war ein Bruch der Fernwärmeleitung am Dreicksplatz, da konnte das heiße Wasser dann schön die Bergstraße hinunterfließen. Es war nicht nur heiß, es war auch grün, weil die Stadtwerke im November des letzten Jahres das Wasser in den Fernwärmeleitungen grün eingefärbt hatten, um einer Leckage in der Leitung schneller auf die Spur zu kommen.

Die Ursache war am Sonntag schnell gefunden. So sah das sechzig Jahre alte Rohr mit dem meterlangen Riss aus, nachdem man es ausgebaut hatte. Die Reparatur dauerte noch bis zum Montag. Was nicht nur bedeutete, dass der Kleine Kiel grün wurde (die Farbe soll unbedenklich für Mensch und Natur und biologisch abbaubar sein), sondern dass es in tausenden von Wohnungen sehr kalt wurde. Durch den plötzlichen Druckabfall platzten auch an anderen Stellen im Ort die Leitungen. Bei mir stieg die Temperatur am Sonntagabend wieder an, aber viele rund um den Dreiecksplatz froren noch am Montag.

Eine innovative Idee aus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt: In dem 373 Kilometer langen Wärmenetz fließt seit kurzem Fernwärmewasser in fluoreszierendem Grün. Was giftig klingt, ist in Wahrheit schonend für Umwelt und Ressourcen, konnte man im Mai 2021 auf der Seite des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft lesen. Und dann hieß es noch: Der Farbstoff ist gesundheitlich und wasserbiologisch unbedenklich. Ich bin da nicht so sicher, was auf dem Photo wie Nebel aussieht, ist der Wasserdampf des 115 Grad heißen Wassers. Der kleine Kiel kocht. Was als innovative Idee verkauft wird, ist übrigens ein alter Hut, andere Städte haben die Kolorisierung des Wassers der Fernwärme schon lange.

Wir wollen mal hoffen, dass das so schnell nicht wieder vorkommt. Ich schließe diesen kleinen Katastrophenbericht mit einem Gedicht von Ralph Grüneberger, in dem viel Grün drin vorkommt:

Ich suche das Grün

Ich suche das Grün
Deiner Augen und halte
Eine Flasche ins Licht.

Der winterkühne Spross
Eines Baumes
Neigt sich mir zu
Doch kann auch er für das Grün
Deiner Augen nicht taugen.

Auch der Vogel auf dem Wasser
Hat es nicht, obgleich
Er das Kleid dreier
Regenbogen trägt.

Ich stehe auf der Brücke
Und denke dein
Gesicht auf den Fluss:
Rauschgrüne Augen.

Sonntag, 9. Januar 2022

Peter Bogdanovich ✝


Am Anfang des Films The Searchers von John Ford wird eine Tür geöffnet, die Dunkelheit des Rahmens weicht der Helligkeit. Eine Pioniersfrau blickt in die Landschaft, aus deren Mittelgrund ein Reiter auf das Haus zureitet. Drei Jahre nach Ende des Bürgerkriegs kommt Ethan Edwards (in der Uniform eines Kavalleristen der Südstaaten) zum Haus seines Bruders zurück. Seinen Säbel hat er immer noch, Symbol dafür, dass er sich nie ergeben hat. Drei Jahre hat er sich herumgetrieben, vielleicht war er auf der Seite Maximilians in Mexiko (so wie Gary Cooper in Vera Cruz). Jetzt ist er wieder zuhause, aber es ist nicht sein Zuhause: he was just a plain loner - could never really be a part of the family, hat John Ford über die Rolle von Ethan Edwards, den John Wayne spielt, gesagt. Zwischen dem Anfang des Films und dem Ende liegen viele Jahre einer geradezu epischen Suche nach der Nichte Debbie (die junge Debbie am Anfang des Films wird von der kleinen Schwester von Natalie Wood gespielt).

Ethan Edwards Schwägerin liebt ihn, wir sehen das in einer rührenden Szene, wenn sie zärtlich über seinen angelegten Mantel streicht. Wieder ist das als Bild im Bild gerahmt, im Hintergrund, beinahe wie ein Vermeer Bild. Es sind keine zehn Sekunden, aber wir haben es alle verstanden. Und zur Verdeutlichung erklingt die gleiche Musik wie am Anfang des Films: Lorena, das beliebteste Lied des amerikanischen Bürgerkriegs. Als Peter Bogdanovich John Ford in seinem berühmten Interview die etwas überflüssige Frage stellte, ob diese Szene bedeutete, dass Martha Edwards in ihren Schwager verliebt sei, bekam er die patzige Antwort: Well, I thought it was pretty obvious – that his brother’s wife was in love with Wayne; you couldn’t hit it on the nose, but I think it’s very plain to anyone with intelligence. Manches bleibt eben besser ungesagt. 

Wie diese scheue Liebe. Alles in einer Minute Bildsprache. In einem Interview hat Peter Bogdanovich später gesagt: Einer der interessantesten Aspekte von 'The Searchers' ist die Beziehung zwischen Ethan und seiner Schwägerin. Dass die beiden unerfüllte Gefühle füreinander hegen, wird nur mit Blicken vermittelt. Es gibt keinen einzigen Dialogsatz. Heutzutage würde man das zu Tode quatschen. Denn die jetzige Generation von Filmemachern weiß nicht, wie sie eine Geschichte visuell erzählen soll. Das ist etwas, was wir heute in jedem neuen Film sehen können. Denn sie wissen es heute nicht, weil sie jede Sekunde hin- und her schneiden. Aber das bedeutet ja nicht, dass sie ihre Geschichte visuell erzählen. Sie wissen bloß nicht, was sie wollen. Hier zeigt sich der unselige Einfluss von MTV und Werbung, wo Schnitte rein um ihrer selbst willen erfolgen. Das ist pure Dekadenz. Dadurch wirken die meisten Filme wie ohne jeglichen Orientierungssinn. Nahaufnahmen werden wahllos eingesetzt. Und bräuchte man eine, gibt es keine.

Peter Bogdanovich, der am 6. Januar 2022 starb, war nicht nur Regisseur. Er schrieb auch Drehbücher, schrieb über Filme und interviewte Kollegen. Niemand als er hat mehr Interviews mit den bedeutenden Regisseuren und Schauspielern aus Hollywoods großer Zeit geführt. Ein großer Teil seiner Interviews ist im Jahr 2000 im Haffmanns Verlag unter dem Titel Wer hat denn den gedreht? auf deutsch erschienen. In gewisser Weise war er der François Truffaut oder der Jean-Luc Godard von Amerika; was die Franzosen in den Cahiers du cinéma schrieben, das hatte er alles gelesen. Über den schwierigen Interviewpartner Ford hat das Wunderkind des New Hollywood natürlich ein Buch geschrieben und einen Dokumentarfilm gedreht. Aber die Frage nach Martha Edwards hätte er im Interview wohl besser nicht gestellt. 

Am Ende von The Searchers haben wir wieder den ✺Rahmen der Tür. Einsam bleibt John Wayne in diesem Rahmen stehen und entfernt sich dann immer weiter vom Haus. Ein einsamer alter Mann, der seinen Hass auf die Rothäute überwunden hat, der seine Nichte Debbie nicht getötet hat. Und dann erklingt die Titelmelodie von The SearchersA man will search his heart and soul go searching way out there. His peace of mind he knows he'll find. But where, o Lord, Lord, where. Ride away. Ride away. Ride away. Und dann ist der Film zu Ende. Als Peter Bogdanovich John Ford die Frage stellte: What was the meaning of the door opening on him at the start and closing at the end? hat Ford geantwortet: Mmhmm. Das war wahrscheinlich das bedeutungsvollste Mmhmm der Filmgeschichte. John Ford hat nach dem Interview Bogdanovich seine liebste Schmeißfliege genannt.

Bogdanovichs erster Film war Targets (Bewegliche Ziele), ein Film über ein Thema, das Amerika jede Woche bewegt, ein Film über einen jungen Mann, der sinnlos Menschen erschiesst. Und der am Schluss durch den Grand Old Man des Horrorfilms Boris Karloff überwältigt wird, hier kommen Fiktion und Wirklichkeit, Horrorfilm und Amerikas alltäglicher Schrecken, zusammen. Der Film war der eine Auftragsarbeit für Roger Corman, der damals eine Kaderschmiede für die Regisseure des New Hollywood war, auch der Two-Lane Blacktop Regisseur Monte Hellman und viele Regisseure des New Hollywood hatten bei Corman gelernt. Targets wurde gedreht, bevor Martin Luther King und Bobby Kennedy erschossen wurden. Paramount hatte den Film gekauft, weil er gute Kritiken bekommen hatte, aber nach dem Tod von Martin Luther King und Bobby Kennedy wussten sie nicht, ob sie den Film wirklich ins Kino bringen sollten.

Aus den Filmresten, die ihm Roger Corman überlassen hatte, hatte Bogdanovich mit Hilfe von Samuel Fuller (der eines Tages den Tatort Tote Taube in der Beethovenstraße drehte) das beste gemacht. Nun konnte sich der Assistent Cormans an seinen wirklich ersten eigenen Film wagen: die Verfllmung des Romans The Last Picture Show von Larry McMurtry. Das Drehbuch (hier das Script als Volltext) schrieben Bogdanovich und McMurtry zusammen, sie erhielten auch zusammen die Oscar Nominierung für das beste Drehbuch. Cybill Shepherd, mit der Bogdanovich die nächsten Jahre zusammenlebte, war seine Entdeckung für diesen Film, der acht Oscar Nominierungen und zwei Oscars bekam. Sie war genau die Richtige für diesen Film, und ich will nichts Böses über Cybill Shepherd sagen (die hier schon einen Post hat), aber Bogdanovich glaubte, dass er sie zu einem ganz großen Star aufbauen konnte.

Und drehte Daisy Miller, die Verfilmung eines Henry James Romans, mit ihr. So groß der Erfolg von The Last Picture Show gewesen war, so groß war jetzt der Niedergang. Dies war der größte Flop in Bogdanovichs Karriere, die immer einer Achterbahnfahrt glich. Er hatte sich mit dem Drehbuchautor überworfen (lesen Sie mehr dazu in dem Post Frederic Raphael), und er hat später bereut, diesen Film gedreht zu haben. Cybill Shepherd drehte mit ihm zwanzig Jahre später noch Texasville, ein Sequel zu The Last Picture Show, aber sie ging ihren eigenen Weg. Wir kennen sie aus siebenundachtzig Folgen ihrer Sendung Cybill und als Sängerin

Vierzig Jahre nach den Dreharbeiten von The Last Picture Show trafen sich Regisseur und Darsteller wieder, das Treffen können sie hier sehen. Und The Last Picture Show können Sie hier natürlich auch sehen. Der letzte Film, der in The Last Picture Show in dem Kino der kleinen texanischen Stadt gespielt wird, bevor es geschlossen wird, ist Red River mit John Wayne. Bogdanovichs Film ist eine Verbeugung vor den Meistern des Westernfilms wie Howard Hawks und John Ford, und so haben das die Kritiker auch gesehen: I was moved by the reviews. The picture seems to have brought a melancholy poetry out of the critics by which I feel quite flattered. All the reviews were strangely personal. I suspect most of the critics are of an age to have grown up at the time of the movie.

Bogdanovich hatte große Talente, aber manchmal wollte er zuviel. In den achtziger und neunziger Jahren musste er zweimal Privatinsolvenz anmelden. Großen Erfolgen wie Is' was Doc? mit Barbra Streisand folgten große Flops wie They all laughed. Der Film war eine Tragödie für Bogdanovich, weil seine neue Liebe Dorothy Stratten kurz nach Ende der Dreharbeiten umgebracht wurde: It was a nightmare. Dorothy was murdered and I went crazy. I decided I would buy the film back from Fox and I lost my shirt distributing it myself which was insanity. Unfortunately, nobody stopped me. So it didn’t get great distribution because you can’t self-distribute. It's impossible. Acht Jahre nach Dorothys Tod hat er ihre jüngere Schwester Louise geheiratet, die er angeblich schon als Dreizehnjährige verführt hatte. Die Ehe hat zwölf Jahre gehalten.

1920 hatte der Filmregisseur Allan Dwan, den Bogdanovich durch sein Buch The Last Pioneer vor dem Vergessen bewahrte, gesagt: And I say it’s the doggone most fascinating game there is — directing motion pictures. It’s a sense of power and a sense of creation in one. It’s a gamble. Even if you know something about it, you’re not sure you know anything about it at all. Es ist ein Satz, der sicher auch für Bogdanovich gegolten hat. May he sleep in bliss for eternity, enjoying the thrill of our applause forever, hat Francis Ford Coppola gerade geschrieben.

Peter Bogdanovich war schon häufig in diesem Blog. Sie finden ihn in den Posts Larry McMurtryCybill ShepherdFrederic Raphael, Natalie Wood, Spätwestern und Hal Ashby.

Freitag, 7. Januar 2022

Honi soit


Die Geliebte des Königs hat beim Tanzen ein Strumpfband verloren, die Gesellschaft kichert, aber der König hebt das blaue Band der Gräfin auf, bindet es sich an sein Bein und ruft Honi soit qui mal y pense, ein Schurke, wer Böses dabei denkt. So ist der Hosenbandorden 1348 entstanden. Oder so ähnlich, wir wissen es nicht genau. Aber es gibt ihn immer noch als die höchste englische Auszeichnung, die den Träger in den Adel erhebt. Es ist allerdings nicht der höchste Orden, den der Monarch vergeben kann. Davor kommen noch das Victoria Cross und das George Cross, aber diese Orden verleihen keinen Adelsrang.

In der London Gazette wird am 31. Dezember des Jahres die Honours Liste für das nächste Jahr veröffentlicht. In der Kategorie des Most Noble Order of the Garter finden sich drei Namen. Das sind zuerst zwei Damen: Camilla, Duchess of Cornwall und die Baroness Valerie Ann Amos. Und dann haben wir noch einen Herrn, und der heißt Anthony Charles Lynton Blair, wir kennen ihn als Tony Blair. Oder wie manche sagen: Tony BLiar. Das letzte Mal, dass der Lügner Tony hier im Blog auftauchte, da war er gerade Angestellter in Bernard Arnaults Louis Vuitton Konzern geworden. Tanya Gold schrieb damals im Guardian: Why is Blair doing it? I can only imagine it is for money, final proof that socialism was never remotely close to his heart. The only consolation is – it is a beautiful metaphor about what Blair did to Britain. He took us further into the temple of pointless greed and consumerism. The gulf between rich and poor became a chasm. And in that gap, I suppose, lies leather goods. Happy handbag flogging, Tony.

Dass ein ehemaliger Premierminister für einen Luxuskonzern arbeitet, ist zweifellos geschmacklos, aber es gibt schlimmere Dinge, die man über Tony Blair sagen kann. Der Guardian beschrieb damals den Chilcot Bericht über Englands Rolle im Irak-Krieg als an unprecedented, devastating indictment of how a prime minister was allowed to make decisions by discarding all pretence at cabinet government, subverting the intelligence agencies, and making exaggerated claims about threats to Britain’s national security. Und das haben die Engländer nicht vergessen. Jetzt, wo Blair einer der vierundzwanzig Mitglieder des Most Noble Order of the Garter geworden ist, kommt der Zorn wieder hoch. Honi soit qui mal y pense? Da sind jetzt über neunhundertsechzigtausend Schurken im Königreich, die Böses denken.

Und die in einer Petition verlangen, dass der Tony seinen schönen Titel wieder verliert: Tony Blair is to be knighted with the highest possible ranking in the new year honours list, Buckingham Palace has said.
     Sir Tony, who held the keys to No 10 between 1997 and 2007, will be appointed a Knight Companion of the Most Noble Order of the Garter, the oldest and most senior British Order of Chivalry.
     Tony Blair caused irreparable damage to both the constitution of the United Kingdom and to the very fabric of the nation's society. He was personally responsible for causing the death of countless innocent, civilian lives and servicement in various conflicts. For this alone he should be held accountable for war crimes.
     Tony Blair is the least deserving person of any public honour, particularly anything awarded by Her Majesty the Queen. 
     We petition the Prime Minister to petition Her Majesty to have this honour removed.

Einen Orden bekam Silvester auch der Herr hier neben der Königin. Wir kennen ihn als James Bond, aber wir wissen, dass er Daniel Craig heißt. Er hat The Most Distinguished Order of Saint Michael and Saint George bekommen, damit ist allerdings kein Titel verbunden. Ich glaube, die Queen hatte Humor, als sie ihm diesen Orden verliehen hat. Denn Ian Flemings Commander James Bond hatte auch diesen Orden, wie man in den Romanen From Russia, with Love und On Her Majesty's Secret Service lesen kann.

Auf der Liste der Petition, aber leider nicht auf der Liste der New Year Honours, steht dieser Mann. Er heißt Twiggy Garcia und ist Discjockey. 2014 hat er versucht, Tony Blair beim Mittagessen in einem Restaurant (in dem er als Aushilfskraft arbeitete) festzunehmen. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: Mr Blair, this is a citizen's arrest for a crime against peace, namely your decision to launch an unprovoked war against Iraq. Nun hat ein citizens’ arrest allerdings nicht die juristische Bedeutung, die eine Festnahme durch einen Polizisten hat, aber eine schöne Geste war es doch.

Mittwoch, 5. Januar 2022

Untiefen


Weihnachten bedeutete wieder Bücher, aufeinander gestapelt mehr als fünfzig Zentimeter. Die Verfasser kannte ich nicht. Vor allem nicht Sebastian Stuertz, der einen Roman mit dem Titel Das eiserne Herz des Charlie Berg geschrieben hat. Ein wildes Buch, schrill und komisch. Wenn ich es durch habe, gibt es hier vielleicht einen Post dazu. Das Buch hat 720 Seiten, aber es liest sich schneller als Anna Karenina. Über den Autor kann man im Buch erfahren: Sebastian Stuertz, *1974, ist Medienkünstler, Musikproduzent und Podcaster, hauptberuflich animiert er Grafiken für Film und Fernsehen. Er wuchs am Steinhuder Meer auf, das man zu Fuß durchschreiten kann, so flach ist es. Seit Beginn des Jahrtausends lebt und arbeitet er in Hamburg. Und hier habe ich leichte Bedenken. Man kann durch den Dümmer, den Arno Schmidt in die deutsche Literatur geschrieben hat, hindurchgehen, weil er so flach ist. Das Steinhuder Meer ist zwar auch flach, aber, und das ist jetzt ein großes Aber: es gibt im Steinhuder Meer Stellen, die drei Meter tief sind.

Tiefen, Untiefen, da sind wir bei einem schwierigen Wort. Wörter, die mit dem Affix un- anfangen, bezeichnen normalerweise eine Negation. Un-artig ist nicht artig, un-weit ist nicht weit. Und die Untiefe? Sie ist un-tief, schon im 10. Jahrhundert gibt es das Worta untiufī im Althochdeutschen. Das ist die erste Bedeutung des Wortes, und so wird es immer noch in der seemännischen Fachsprache gebraucht, das können Sie im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm nachlesen. Aber im 18. Jahrhundert gibt es in manchen Gegenden Deutschlands eine ganz andere Bedeutung des Wortes, die flache Stelle wird zu einer ungeheuren Tiefe. Das Wörterbuch hat da auch ein Beispiel:

wie ich stand an des abgrunds saum,
hinab in die grauenhafte
untiefe wagt ich zu blicken kaum,
die gähnend vor mir klaffte

Die Beispiele finden sich zuerst im Oberdeutschen, also zum Beispiel im Bairischen, an der Küste bleibt die Untiefe eine Untiefe in der eigentlichen Bedeutung. Nicht, dass man in Süddeutschland keine flachen Stellen in den Gewässern hätte, der Teufelstisch im Bodensee wäre ein Beispiel für eine Untiefe. Wir haben es bei der Untiefe mit einem Januswort zu tun, ein Wort mit zwei gegenteiligen Bedeutungen, davon gibt es glücklicherweise nicht so viele in der Sprache. 

Wir lassen der Untiefe mal ihre originale Bedeutung. Im frühen 19. Jahrhundert verwenden Literaturkritiker das Wort gerne, um die französische Literatur zu beschreiben. Untief sei sie, oberflächlich: Die allgemein verbreitete Sprache der Franzosen machte uns nicht allein vertrauter mit ihren reichen, feinen Wendungen, sie ließ uns den flüchtigen Champagnergeist ihres Geistes erkennen , und die Nichts tiefe (manche sprechen: Untiefe) der Producte französischer Dichter gestattet eine leichte, weit verbreitete Auffassung. Steht so 1803 in der Wiener-Moden-Zeitung und Zeitschrift für Kunst, schöne Literatur und Theater. Und der flüchtige Champagnergeist ist natürlich nichts gegen die Deutsche Tiefe ®, die wir seit der Romantik als Markenzeichen unserer Literatur haben. Otto Jägersberg hat sich Deutsche Tiefe als Titel eines Gedichtsbandes genommen, aber ich glaube, der meinte das eher ironisch. Man kann die doppeldeutge Untiefe immer noch als Kategorie der Literaturkritik gebrauchen, das beweist Thomas Stangl mit seinem Essay Ist das Schlamm? Oder lebt das?. Wenn Ihnen das zu tief ist, habe ich zum Abschluss noch ein kleines Gedicht von Günter Eich, das beitrag zum dantejahr heißt. Ein Gedicht, bei dem ich nie weiß, ob es tief oder untief ist:

chandler ist tot
und dashiell hammett
mir liegts nicht
mich an das boese schlechthin
zu halten und
dante zu lesen