Montag, 16. Mai 2011
Friedrich Gulda
In seinem Roman Der Untergeher hat Thomas Bernhard für Friedrich Gulda nur Schmäh übrig (für Alfred Brendel auch). Bernards Werk besteht ja eigentlich nur aus Schmäh. Das können Österreicher prima. Der einzige Pianist, den der Autor gelten lässt, ist Glenn Gould. Dagegen ist ja nichts einzuwenden. Von Musik versteht Bernhard etwas, schließlich hat er einmal Musik studiert. Aber er konnte bestimmt nicht so gut Klavier spielen wie Friedrich Gulda.
Denn das konnte Gulda. Unbestritten. Sein Mozart, sein Beethoven und sein Bach werden heute immer noch von Kritikern gerühmt. Aber wie für den zwei Jahre jüngeren Glenn Gould war die Einsamkeit im Frack auf der Bühne auf die Dauer nichts. Und während Gould nur noch im Studio spielte, im kanadischen Rundfunk Country&Western moderierte und The Idea of the North montierte, interessierte sich Gulda nur noch für Jazz. Ich bin bei solchen Transgressionen immer etwas skeptisch. Natürlich ist jeder Konzertpianist in der Lage, Jelly Roll Morton zu spielen. Aber irgendetwas wird da fehlen. Sicherlich ist Keith Jarretts Köln Concert toll, aber kann er Mozart spielen? Ich höre diese Aufnahmen nur ungern.
Künstler können uns nie recht machen, wir haben an jedem Pianisten und an jedem Sänger etwas zu mäkeln. Und dann fing Gulda auch noch an, auf der Bühne seltsame Sachen zu tragen. Manchmal trug er auch gar nichts und erschien nackt auf dem Podium. Er trug jetzt auch immer so seltsame Kappen. Ob er das Ernst Fuchs (links) nachmachen wollte? Oder war das in Wien damals le dernier cri, und ich habe das nicht richtig mitbekommen? Mich erinnerte das immer an einen anderen großen Darstellungskünstler, der am gleichen Tag (16. Mai) Geburtstag hatte wie Gulda. Und der in noch schrilleren Outfits auf die Bühne kam als Gulda.
Der konnte sicherlich nicht so gut Klavier spielen wie Gulda. Aber in Punkto Geschmacklosigkeit hat Liberace schon Maßstäbe gesetzt. Ich kann ja verstehen, dass die Routine des Konzertalltags ermüdend langweilig sein kann und man nicht immer das gleiche machen will. Andererseits haben auch die Profis meinen Respekt, die sich dieser Routine stellen. Ich habe vor beinahe einem halben Jahrhundert einmal Helmut Qualtinger erlebt, hatte eine Karte für die Lesung von Die letzten Tage der Menschheit in Hannover. Im Beethovensaal hatten sich kümmerliche 13 Zuhörer eingefunden. Qualtinger, Wiener wie Gulda und beinahe gleich alt, kam auf die Bühne und blickte in den leeren Saal. Wenn ich Qualtinger gewesen wäre, ich wäre jetzt wieder gegangen. Aber er zögert nur eine Sekunde und bittet dann die Zuschauer im schönsten Wienerisch, sich doch um ihn herum in die erste Reihe zu setzen, san’s kommod. Setzt sich auf die Bühnenkante, zum Greifen nahe und rezitiert das ganze Stück von Karl Kraus, ganz privat und ohne den Text zu konsultieren. Wenn irgendjemand wirklich cool war, dann war es Helmut Qualtinger an diesem Abend.
Meine Lieblings CD von Gulda: Das wohltemperierte Clavier von Johann Sebastian Bach (Philips). 270 Minuten der schönste Bach. Gut, man kann das auch von Glenn Gould, Rosalyn Tureck oder Zhu Xiao-Mei kaufen. Und natürlich ist Wilhelm Kempff auch nicht schlecht, aber ich schwöre auf Friedrich Gulda. Mit seltsamer Mütze oder ohne. Zur gleichen Zeit, als Gulda das aufnahm, sollte er beim 5. Internationalen Musikforum in Viktring (Klagenfurt) das als Eröffnungskonzert spielen. Doch statt des Wohltemperierten Claviers spielte er sehr seltsame Gulda-Musik. Als er damit nach zweieinhalb Stunden fertig war, hatte der größte Teil der Zuhörer den Saal verlassen. Da spielte Gulda dann zwei Stunden lang aus dem angekündigten Wohltemperierten Clavier.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
So ähnlich hat es auch Frank Zappa gemacht, wie man sich erzählt. Hat ein Konzert damit angefangen, dass er nur Krach gemacht hat, nur laut, nur schrecklich. Und als die meisten dann weg waren, fing er an, seine Lieder zu spielen, wie nur er sie spielen konnte. ("Now that the motherfuckers are gone...", soll er gesagt haben.)
AntwortenLöschen