Sonntag, 26. September 2010

Fritz Wunderlich


Ich habe ihn einmal erlebt, das war zwei Jahre vor seinem Tod, und ich habe jetzt beinahe alle seine Aufnahmen. Obgleich man das kaum noch verfolgen kann, es kommt immer wieder etwas, zumeist aus den Rundfunkarchiven des SWR, hinzu. In diesem Jahr gab es schon ein Dutzend CDs. Die Deutsche Grammophon hat gerade eine De Luxe Edition Der unvergessene Fritz Wunderlich auf den Markt gebracht (mit Bonus CD und einer Vinyl Platte), allerdings in einer geschmacklich grässlichen Aufmachung. Wahrscheinlich stellt sich ein Jungdesigner so die fünfziger Jahre vor. Bei Haenssler Classics begeht man keine geschmacklichen Irrtümer beim Design der sieben Wunderlich CDs, die bei dieser Firma erschienen sind.

Der Tenor Fritz Wunderlich wäre heute achtzig geworden. Die exzellente Biographie von Werner Pfister ist auch rechtzeitig wieder aufgelegt worden. Es wäre toll, wenn eine Aufnahme der Winterreise auftauchen würde. Aber die hat er leider nie gesungen, Schuberts Schöne Müllerin schon. Das war auch meine erste Platte von ihm (ich glaube, es war auch seine erste Langspielplatte). Ein seltsames Label: Opera/Europäischer Phonoklub, sein Freund Kurt-Heinz Stoltze am Klavier, 1957. Später hat er den Zyklus noch einmal mit Hubert Giesen eingespielt (Deutsche Grammophon 1966). Da hatte die Deutsche Grammophon wohl nur ein Turnhallenklavier auftreiben können. Die völlig unausgewogene Klavierbegleitung Giesens wäre bei der Firma Decca nicht so betont worden, denn die hatte immer die beste Aufnahmetechnik. Ein bedeutender Pianist ist er nie gewesen (hat selbst Wunderlichs Tonmeister bei der DG gesagt). Wenn man Hubert Giesens geschwätziger Autobiographie vertraut, dann hätte es ohne Giesen niemals den Liedsänger Wunderlich gegeben. Alles verdankt er dem Hubert. Kurt-Heinz Stolze hat so etwas nie behauptet. Giesen hätte sich für seine Autobiographie mal lieber Gerald Moores Am I too Loud? zum Vorbild nehmen sollen.

Aber zwischen diesen beiden Aufnahmen liegt Wunderlichs ganze Karriere, liegt ein Jahrzehnt. Nicht mehr. Was hat er nicht alles gesungen in diesen zehn Jahren? Was hätte er noch singen können?

Vor den Liedern der Schönen Müllerin steht ein Prolog des Dichters, der von den Sängern niemals beachtet wird (es gibt allerdings eine Aufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau, die diesen Text  berücksichtigt), es ist eine Warnung vor der ganzen Romantik:

Ich lad euch, schöne Damen, kluge Herrn,
Und die ihr hört und schaut was Gutes gern,
Zu einem funkelnagelneuen Spiel
Im allerfunkelnagelneusten Stil;
Schlicht ausgedrechselt, kunstlos zugestutzt,
Mit edler deutscher Roheit aufgeputzt,
Keck wie ein Bursch im Stadtsoldatenstrauß,
Dazu wohl auch ein wenig fromm fürs Haus:
Das mag genug mir zur Empfehlung sein,
Wem die behagt, der trete nur herein.
Erhoffe, weil es grad ist Winterzeit,
Tut euch ein Stündlein hier im Grün nicht leid;
Denn wißt es nur, daß heut in meinem Lied
Der Lenz mit allen seinen Blumen blüht.
Im Freien geht die freie Handlung vor,
In reiner Luft, weit von der Städte Tor,
Durch Wald und Feld, in Gründen, auf den Höhn;
Und was nur in vier Wänden darf geschehn,
Das schaut ihr halb durchs offne Fenster an,
So ist der Kunst und euch genug getan.

Doch wenn ihr nach des Spiels Personen fragt,
So kann ich euch, den Musen sei's geklagt,
Nur eine präsentieren recht und echt,
Das ist ein junger blonder Müllersknecht.
Denn, ob der Bach zuletzt ein Wort auch spricht,
So wird ein Bach deshalb Person noch nicht.
Drum nehmt nur heut das Monodram vorlieb:
Wer mehr gibt, als er hat, der heißt ein Dieb.

Auch ist dafür die Szene reich geziert,
Mit grünem Sammet unten tapeziert,
Der ist mit tausend Blumen bunt gestickt,
Und Weg und Steg darüber ausgedrückt.
Die Sonne strahlt von oben hell herein
Und bricht in Tau und Tränen ihren Schein,
Und auch der Mond blickt aus der Wolken Flor
Schwermütig, wie's die Mode will, hervor.
Den Hintergrund umkränzt ein hoher Wald,
Der Hund schlägt an, das muntre Jagdhorn schallt;
Hier stürzt vom schroffen Fels der junge Quell
Und fließt im Tal als Bächlein silberhell;
Das Mühlrad braust, die Werke klappern drein,
Man hört die Vöglein kaum im nahen Hain.
Drum denkt, wenn euch zu rauh manch Liedchen klingt,
Daß das Lokal es also mit sich bringt.
Doch, was das Schönste bei den Rädern ist,
Das wird euch sagen mein Monodramist;
Verriet' ich's euch, verdürb ich ihm das Spiel:
Gehabt euch wohl und amüsiert euch viel!


Ist das nicht gemein? Hier macht sich jemand über die romantische Welt der deutschen Innerlichkeit lustig, desavouiert die Liebestragödie. Die Plattenfirmen wissen schon, warum sie diesen Text niemals mit abdrucken, wenn sie so ein kleines Heftchen mit den Liedtexten in die CD Hülle schieben. Denn wir wollen und sollen mitleiden mit dem Müllerburschen, der in dem Lied Wohin? von dem Rauschen des Bachs gefangen wird: Ich hört ein Bächlein rauschen / Wohl aus dem Felsenquell, / Hinab zum Tale rauschen / So frisch und wunderhell. Und dieser Bach wird zu seinem Schicksal, bis er zum Schluss in Des Baches Wiegenlied singt Gute Nacht, gute Nacht! Bis alles wacht, / Schlaf aus deine Freude, schlaf aus dein Leid! / Der Vollmond steigt, Der Nebel weicht, / Und der Himmel da oben, wie ist er so weit! Herzzerreißend, ich könnte da immer heulen. Besonders wenn Wunderlich das singt. Und es hilft einem ja auch nichts, dass da eigentlich noch etwas hingehörte, was Schubert nicht vertont hat. Nämlich der Epilog des Dichters. Wenn etwas einen Prolog hat, muss es auch einen Epilog haben, da ist Wilhelm Müller konsequent:

Weil gern man schließt mit einer runden Zahl,
Tret ich noch einmal in den vollen Saal,
Als letztes, fünfundzwanzigstes Gedicht,
Als Epilog, der gern das Klügste spricht.
Doch pfuschte mir der Bach ins Handwerk schon
Mit seiner Leichenred im nassen Ton.
Aus solchem hohlen Wasserorgelschall
Zieht jeder selbst sich besser die Moral;
Ich geb es auf, und lasse diesen Zwist,
Weil Widerspruch nicht meines Amtes ist.
So hab ich denn nichts lieber hier zu tun,
Als euch zum Schluß zu wünschen, wohl zu ruhn.
Wir blasen unsre Sonn und Sternlein aus –
Nun findet euch im Dunkel gut nach Haus,
Und wollt ihr träumen einen leichten Traum,
So denkt an Mühlenrad und Wasserschaum,
Wenn ihr die Augen schließt zu langer Nacht,
Bis es den Kopf zum Drehen euch gebracht.
Und wer ein Mädchen führt an seiner Hand,
Der bitte scheidend um ein Liebespfand,
Und gibt sie heute, was sie oft versagt,
So sei des treuen Müllers treu gedacht
Bei jedem Händedruck, bei jedem Kuß,
Bei jedem heißen Herzensüberfluß:
Geb' ihm die Liebe für sein kurzes Leid
In eurem Busen lange Seligkeit!


Der letzte Auftritt von Fritz Wunderlich war ein Liederabend in Edinburgh am 4. September 1966 (wieder mit Hubert Giesen am Klavier). Der Abend endete mit Schuberts An die Musik:

Oft hat ein Seufzer, deiner Harf entflossen, 
Ein süßer, heiliger Akkord von dir
Den Himmel beßrer Zeiten mir erschlossen,
Du holde Kunst, ich danke dir dafür!

Und damit wollen wir auch mal aufhören. Fritz Wunderlich ist nicht tot, er singt immer noch. Er ist auch keine achtzig, er bleibt ewig sechsunddreißig Jahre alt.

Mehr zur Schönen Müllerin finden Sie ➱hier.


1 Kommentar:

  1. In den elf Jahren, 1955 bis 1966,hat Wunderlich mehr aufgenommen,als die meisten SängerInnen. Jede Aufnahme wird aus Archiven herausgekramt.
    Er ist Kult und nach wie vor ein Seller.

    Wie könnte man bei dieser Stimme auch kritisch sein? Wenn man es ist, bekommt man die geballte Wut der Gemeinde zu spüren.

    Die Traviata Aufnahme von 1965 bewies, dass die beste Zeit für die Stimme noch bevorgestanden hätte. Da ist eine besondere Tragik drin.

    Wenn ich glaube, dass Wunderlich weder die optimale Besetzung von Lied und Mozart war, aber für den lyrischen Tenor im italienischen Fach,dann ist da eben eine große Lücke. Es gibt zwar die ein oder anderen Kostproben auf Querschnitten (deutsch gesungen),aber meist mit weniger überzeugenden KollegInnen und eigentlich ein wenig zu früh für die Stimme.
    Also bleibt diese Lücke...

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