Freitag, 28. Oktober 2011

Der Fürst von Recklinghausen


Nee, nicht Atze Schröder. Einen Fürsten von Recklinghausen hat es wirklich einmal gegeben. Er hatte noch andere Titel, unter anderem war er der Herzog von Arenberg. Der wurde heute vor zweihundert Jahren in der Schlacht von Arroyo dos Molinos verwundet und von den Engländern gefangen genommen. Wenn  Sie mich jetzt fragen, was ein Fürst von Recklinghausen im Jahre 1811 in einem kleinen Kaff in Spanien nahe der Grenze zu Portugal macht, statt in Recklinghausen, Haselünne oder Meppen (diese Kaffs gehören ihm auch) zu sein, dann ist die Antwort nicht so ganz leicht. So kläglich seine Lebensumstände heute vor zweihundert Jahren sein mögen, er kann ja froh sein, dass er ein Gefangener von General Rowland Hill ist. Denn zuhause wird sein kleines Reich gerade von Napoleon neu geordnet. Die politische Landkarte Deutschlands ändert sich jetzt ständig. Wenn Napoleon keine Macht mehr hat, klauen die Preußen unserem Prosper Ludwig von Arenberg den Rest (Recklinghausen fällt an das Herzogtum Berg). Bis auf den Herzogstitel, den darf er behalten. Das alles fällt unter so schöne Schlagworte wie Rheinbund und Mediatisierung. Das ist alles sehr kompliziert. Ich fange lieber noch einmal von vorn an.

Am 28. Oktober des Jahres 1811 wird der Herzog Prosper Ludwig von Arenberg, der auch Fürst von Recklinghausen ist, in der Schlacht von Arroyo dos Molinos verwundet und gerät in englische Gefangenschaft. Er kann sicher sein, dass er gut behandelt wird. Der siegreiche General Rowland Hill (links) ist ein Mann von Ehre und ist dafür bekannt, wie fürsorglich er zu seinen Untergebenen und seinen Gefangenen ist. Seine Truppen nennen ihn schlicht Daddy Hill. Er wirkt auf viele zeitgenössische Betrachter wie ein Droschkenkutscher. Wellington vertraut ihm unbedingt. Wellington ist ein Gentleman von großer Zurückhaltung, er hat wenige Freunde. Er vertraut nur wenigen. Selbst wenigen seiner Waffengefährten während des Spanienfeldzuges (die beklagen sich auch ständig über die Gefühlskälte ihres Oberkommandierenden). Aber Daddy Hill vertraut er immer. Er hat allen Grund dazu, Hill wird ihn nie enttäuschen.

Eine Woche nach der Schlacht schreibt General Hill (hier ist er noch einmal) an seine Schwester:  I have time merely to inform you that on the morning of the 28th at daybreak I succeeded in surprising, attacking, and annihilating the French corps under General Girard at Arroyo dos Molinos. The enemy's force, when attacked, consisted of about 3,000 infantry, 1,600 cavalry and artillery. The result is the capture of one general (Bron), one colonel (the Prince d'Aremberg commander of the 27th Chasseurs), 35 lieutenant-colonels and inferior officers, 1,400 prisoners, and probably 500 killed. The others dispersed, having thrown away their arms; we have also got all the enemy's artillery, baggage, and magazines—in short, everything that belonged to the corps. Man wird ihn zum  Ritter des Most Honourable Military Order of the Bath machen. Aber Sie haben es in dem Brief gelesen, da taucht er auf unser Prince d'Aremberg. Die Engländer schreiben ihn (wie viele historische Quellen) immer mit einem M, der Ort schreibt sich heute auch Aremberg, die Familie schreibt sich aber bis zum heutigen Tag Arenberg.

Die 27. Chasseurs würde der Herzog lieber als die 27. Chevau-Légers d'Arenberg bezeichnet wissen, deren Oberst er von 1806-1814 ist. Und nicht nur so ein Ehrenoberst, nein wir haben hier den seltenen Fall, dass einer von den Rheinbundfürsten wirklich für seinen Verbündeten Napoleon in den Krieg zieht. Er ist mit seiner Truppe schon überall gewesen, Dänemark, Pommern und jetzt in Spanien. Das Regiment ist auch immer größer geworden, waren es 1806 nur wenig mehr als dreihundert belgische Kavalleristen, sind es jetzt mehr als tausend, die dieses fesche Grün tragen.

Ein junger Leutnant namens Robert Blakeney vom 28th (North Gloucestershire) Regiment of Foot hatte Arenberg gefangen genommen, hatte ihn aber sehr höflich behandelt. Blakeney ist 22 Jahre alt, ist aber schon ein Veteran des Peninsular War, er ist schon seit sieben Jahren dabei (er war der jüngste Fähnrich in dem Feldzug). Er ist auch froh, dass er noch lebt, im März des Jahres waren in der Schlacht von Barrosa alle Offiziere seines Regiments bis auf ihn und den Major Frederick Brown gefallen. Die beiden Überlebenden sollen als erstes nach der Schlacht einen loyal toast ausgebracht haben. Diese Szene wurde später auf einem Ölgemälde von Fortunino Matania verewigt, sie erlangte größere Verbreitung, weil man sie in England auch als Puzzle kaufen konnte. Robert Blakeney wird sich auch die nächsten Monate um den Herzog von Arenberg kümmern, er begleitet ihn nach Lissabon, wo Arenberg eine englische Fregatte erwartet. Und er antwortet ihm auf die Frage, wann er denn England erreichen würde: As soon as you are out of the Targus - all the seas are England. Ja, das ist englischer Nationalstolz. Arenberg vergisst beim Abschied übrigens nicht, für die Zeit nach dem Krieg eine Einladung auf sein Schloss bei Brüssel auszusprechen.

Wellington hätte Arenberg ja austauschen können, aber das will er nicht. Das teilt er mit dem Ausdruck des Bedauerns dem französischen General Comte d'Erlon mit. Und schreibt das auch dem General Hill. Dem Aussenminister Lord Liverpool sagt er klar und deutlich: he is too great a card to be so thrown away. Arenberg ist ihm wichtig, nicht weil er der Herzog eines Zwergenreichs im Emsland ist, nein, weil er ein entfernter Verwandter von Napoleon ist. Der hatte es nämlich arrangiert, dass der junge Arenberg 1808 in Paris eine Nichte seiner Frau Josephine heiratete. Und so kommt der Herzog von Arenberg nach England. Zuerst ist er in da etwas unglücklich, findet sich dann aber in der englischen High Society ganz gut zurecht. Er kann auch von England aus verfolgen, dass es mit seinem angeheirateten Verwandten Napoleon peu à peu bergab geht. Jetzt hofft er, dass die Engländer ihm vielleicht ein wenig von seinem Herzogtum bewahren. Am Vorabend der Schlacht von Waterloo ist er in Brüssel. Das kennt er, die Arenbergs haben da Besitzungen und Schlösser seit dem 15. Jahrhundert. Wegen dieser regionalen Verankerung der Arenbergs hatte Napoleon auch den Plan, unseren Prosper Ludwig zum Herrscher der Niederlande zu machen - und Prosper Ludwig hat sich ja später auch einmal erfolglos um die belgische Königskrone beworben.

Aber an diesem Abend ist er nicht nur in Brüssel im Egmontpalais, er ist da, wo tout le monde ist. Auf dem wichtigsten Ball des Jahrhunderts (da kann der Wiener Kongress tanzen so lange er will), dem Ball der Herzogin von Richmond am Abend des 15. Juni 1815. Arenberg steht auf Platz fünf der Einladungsliste. Selbst wenn ihm Recklinghausen nicht mehr gehört. Aber wenn man aus einer Familie kommt, wo man seit 1506 Graf und seit 1644 Herzog ist (und nebenbei noch Herzog von Aarschot), dann zählt das schon. Mark Twain konnte sich über die Dinge ja totlachen.

Unser Leutnant Robert Blakeney, der an General Hill bewunderte, dass er seine Jagdhunde für die Fuchsjagd mit nach Spanien gebracht hatte (was im übrigen auch viele junge Londoner Dandies tun, Wellington ärgert sich immer wieder darüber), hat Wellingtons Spanienfeldzug überlebt. Er wird, inzwischen Captain bei dem 36. Infantrie Regiment, in der Schlacht von Nivelle schwer verwundet. Da lässt er sich zu einem Baum tragen, damit der Stamm ihn abstützt, und feuert sein Regiment an. Wir wissen relativ viel über Blakeney, da er seine Erinnerungen an den Spanienfeldzug aufgeschrieben hat. Nach dem Sieg über Napoleon hat er selbstverständlich auch die Einladung des Herzogs von Arenberg (hier noch ein Bild von ihm) auf das Schloss Enghien bei Brüssel angenommen. Inklusive Wildschweinjagd.

General Hill zieht sich 1818 ins Privatleben zurück und widmet sich der Fuchsjagd. Als Wellington den Oberbefehl der englischen Armee abgibt, wird Viscount Hill sein Nachfolger. Der Herzog von Arenberg aus der englischen Gefangenschaft zurückgekehrt, wird er sich von seiner ungeliebten Frau scheiden lassen. Und wird ungeheuer viel Kinder mit seiner zweiten Frau haben, für das Überleben des Hauses Arenberg ist gesorgt. Es gibt sie heute noch. Und der letzte Herzog von Arenberg ist natürlich immer noch Fürst von Recklinghausen. Ob die das heute in Recklinghausen heute noch wissen?

1 Kommentar:

  1. Ein überaus interessanter und perfekt durchgearbeiteter Artikel, der jedem Feuilletonteil einer führenden Tageszeitung (NZZ, FAZ & Co.), ja sogar einer Essay-Sammlung zur Ehre gereichen könnte!

    Danke!

    Ich erlaube mir, auf Ihren Artikel zu verlinken.

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