Heute vor zweihundert Jahren wurde Charles Baudelaire geboren, er ist in diesem Blog immer wieder aufgetaucht. Als Dichter, als Kunstkritiker, als Dandy und als Übersetzer von Edgar Allan Poe. Er wird in vielen anderen Posts erwähnt, eine witzige kleine Geschichte findet sich in dem Post Textil/Text. Der Zweitausendeins Versand bietet gerade die Haffmanns Ausgabe von Die Paradiese des Teufels (Le Speeln de Paris) in der neuen Übersetzung von Fritz und Franziska Van Eycken an. Ein Werk, über das Baudelaire an Victor Hugo schrieb: Ich habe meine ganze Bitterkeit, meinen ganzen Hass hineingelegt. Ich hoffe, mir ist ein Werk gelungen, in dem sich das Schreckliche mit dem Komischen, der Zorn sich mit dem Zärtlichen noch kühner und einzigartiger verbindet als in den ‚Blumen des Bösen'.
Baudelaire wollte seinem Buch Les Fleurs du Mal ein Vorwort voranstellen, das den Leser auf das einstimmte, was ihn erwartete: Illustre Dichter haben seit langer Zeit schon die blumigsten Provinzen im Reiche der Poesie unter sich aufgeteilt. Es schien mir vergnüglich und umso genehmer als die Aufgabe die schwierigere war, die Schönheiten des Bösen zum Vorschein zu bringen. Dieses wesentlich unnütze und absolut unschuldige Buch ist einzig zu meinem Zeitvertreib entstanden und aus der leidenschaftlichen Lust, mich an Widerständen zu üben. Aber dann hat er auf das Vorwort verzichtet und das Gedicht Au Lecteur (hier in deutscher Übersetzung) an den Anfang gestellt. Stefan George fand das bei seiner Übersetzung von Les Fleurs du Mal ganz schrecklich. Und ließ das Gedicht einfach weg. George hat seine Übersetzung als Umdichtung bezeichnet, das Ganze hat wenig mit Baudelaire zu tun, es ist Stefan George, nicht Charles Baudelaire. Die Übersetzung von Carlo Schmid aus dem Jahre 1947 (Rainer Wunderlich Verlag) ist viel originalgetreuer. Vor vier Jahren hat der Rowohlt Verlag Die Blumen des Bösen in der Übersetzung von Simon Werle neu herausgebracht, obgleich es eigentlich Übersetzungen genug gibt.
Ich möchte heute aus den Fleurs du Mal ein Gedicht über den Abgrund hier einstellen, denn Die Blumen des Bösen sind voller Abgründe. Ich glaube, kein anderer Begriff als gouffre und abîme wird von Baudelaire in dem Werk so häufig verwendet:
Le Gouffre
Pascal avait son gouffre, avec lui se mouvant.
— Hélas! tout est abîme, — action, désir, rêve,
Parole! Et sur mon poil qui tout droit se relève
Mainte fois de la Peur je sens passer le vent.
En haut, en bas, partout, la profondeur, la grève,
Le silence, l'espace affreux et captivant...
Sur le fond de mes nuits Dieu de son doigt savant
Dessine un cauchemar multiforme et sans trêve.
J'ai peur du sommeil comme on a peur d'un grand trou,
Tout plein de vague horreur, menant on ne sait où;
Je ne vois qu'infini par toutes les fenêtres,
Et mon esprit, toujours du vertige hanté,
Jalouse du néant l'insensibilité.
— Ah! ne jamais sortir des Nombres et des Êtres!
Meine erste Übersetzung erscheint ungewöhnlich, es ist eine Prosaübersetzung. Die macht aber viel Sinn, wenn sie, wie diese Übersetzung von Friedhelm Kemp, in einer zweisprachigen Ausgabe dem Original gegenübergestellt ist.
Der Abgrund
Pascal hatte seinen Abgrund, der immer mit ihm ging.– Ach! alles ist Abgrund, – Tat, Wunsch, Traum,
Wort! und über das Haar meines Leibes, das steil sich sträubt,
streicht häufig, ich spüre es, der Wind der Angst.
Oben, unten, überall die Tiefe, der leere Strand,
Ich fürchte vor dem Schlaf mich, wie man vor einem großen Loch sich fürchtet,
Und mein Geist, vom Schwindel stets umkreist,
Ein Abgrund ist das All: Traum, Handlung, Wort, Verlangen!
Wie oft ist über mich der Wind des Schrecks gegangen,
Daß sich mein Haar erhob, von eisger Furcht gebannt.
Die Tiefen und die Höhn, das Graun, das uns umfangen,
Das Drehn des Weltenraums, der stummen Wüsten Land ...
Auf meiner Nächte Grund malt Gott mit kundger Hand
Die Schauer eines Traums voll endlos schwerem Bangen.
Ich fürchte mich vorm Schlaf, gleichwie ein Tor man scheut
Zu unbekanntem Land, wo finstrer Schrecken dräut,
Unendlichkeit seh fahl ich durch die Fenster strahlen,
Und meine Seele, die es schwindelt, füllt mit Neid
Das wesenlose Nichts in seiner Einsamkeit.
O! niemals mehr sein als Geschöpfe und als Zahlen!
Wie oft hob sich mein Haar in starrem Bangen,
Durchschauerte mich Grauen eisig kalt!
In Höh′n und Tiefen, wo kein Ton mehr hallt,
In Ländern, furchtbar und doch voller Prangen,
Ist Gottes Hand durch meinen Schlaf gegangen,
Ein Schreckbild malend, grausam, vielgestalt.
Ich fürchte mich vorm Schlaf, dein schwarzen Tor,
Das Unheil birgt, wenn man den Weg verlor:
Die Ewigkeit blickt starr durch alle Scheiben.
Mein Geist, hintaumelnd an des Wahnsinns Sumpf,
Beneidet, was da fühllos, kalt und stumpf.
– Ach, immer bei den Zahlen, Dingen bleiben!
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