Dienstag, 15. Oktober 2024

Caspar David Friedrich (8)


Eine Dame am Meer, einem Boot zuwinkend. Eine →Rückenfigur, sieht ein bisschen nach Caspar David Friedrich aus. Im Internet können wir lesen: Das Kunstwerk 'Dame am Strand' ist ein Gemälde, das zwischen 1830 und 1840 entstand. Das Kunstwerk, mit einer Breite von 0,295 Metern und einer Höhe von 0,21 Metern, befindet sich derzeit im Nationalmuseum in Stockholm, Schweden. Der Schöpfer dieses Werkes ist leider unbekannt

Wir bekommen auf der Seite auch noch eine Interpretation des Gemäldes: Das Gemälde zeigt eine einsame Frau, die auf einem großen Felsen an einem menschenleeren Strand thront. Die Frau, gekleidet in ein dunkles Gewand, hält ein weißes Tuch hoch, das im Wind weht. Das Meer um sie herum ist aufgewühlt, in Aufruhr versetzt von einem unsichtbaren Sturm. Ein einzelnes Segelboot kämpft in der Ferne gegen die Elemente und unterstreicht die Weite und Kraft der Natur. Der Himmel darüber ist eine turbulente Mischung aus dunklen und hellen Wolken, die das Drama erahnen lassen, das sich unten abspielt.

Wir könnten uns damit abfinden, wenn auf der Seite nicht noch stehen würde: Diese Beschreibung wurde von einem KI-Sprachmodell generiert und kann Ungenauigkeiten enthalten. Sie sollte als Interpretation und nicht als Analyse eines maßgeblichen menschlichen Experten betrachtet werden. Bitte prüfen Sie kritische Details an anderer Stelle. Hier wird uns wieder einmal vor Augen geführt, welchen Unsinn die sogenannte Künstliche Intelligenz anrichten kann. 

Die Interpretation, die eine große Dramatik in dem Bild sieht, ist natürlich völliger Quatsch. Die Dame auf dem Felsen sitzt da eher leger. Das Bild könnte ein Komplementärbild zu dem 1818 enstandenen Bild einer Frau am Strand von Rügen sein. Ist das Winken mit dem Tuch ein Abschiedswinken, so wie die kreolischen Schönheiten mit ihren foulards winkten, oder ist es nur ein Gruß für einen Vorbeisegelnden? Wir wissen es nicht, das Bild gibt an Details zu wenig her. Man wünschte sich, dass der Photograph, der das Bild einst ablichtete, einen Film mit weniger Körnigkeit verwendet hätte.

Wenn Sie im Stockholmer Nationalmuseum fragen, wo denn das Bild mit der Dame am Meer hängt und ob das wirklich ein Caspar David Friedrich ist, wird man Sie etwas seltsam angucken. Die haben das Bild nämlich gar nicht, haben auch kein Bild von Caspar David Friedrich. Auch Kopenhagen, wo er studierte, hat kein Bild von ihm. Nur im Nationalmuseum Oslo hängen zwei Bilder von ihm, eins ist diese Ansicht von Greifswald. Das Osloer Museum besitzt auch das vollständig erhaltene Skizzenbuch von 1807.

Aber wo ist das Bild, von dem wir diese Schwarzweiß Photographie haben? Wir werden es nie zu sehen bekommen, es ist am 6. Juni 1931 beim Brand des Münchner Glaspalastes verbrannt. Wie acht andere Ölgemälde von Friedrich. Manche der Bilder hatten dem Sammler Johann Friedrich Lahmann gehört, der die Bilder testamentarisch für die Kunsthalle Bremen und die Dresdner Galerie vorgesehen hatte.

Das Photo des Bildes, das im Internet kursiert, findet sich in dem Buch Verlorene Meisterwerke Deutscher Romantiker, das Georg Jacob Wolf zusammen mit der Glaspalast Künstlerhilfe München 1931 bei F. Bruckmann herausgegeben hatte. Das Bild hier zeigt die zweite Auflage von 1932 mit einem Gemälde von Philipp Otto Runge auf dem Cover. Man kann das Buch antiquarisch noch finden, mein Exemplar hat mich 2,75 € gekostet. Das verbrannte Bild hatte dem Herzoglichen Museum Gotha gehört, die es für die Münchener Ausstellung ausgeliehen hatten. Offenbar fanden sie das Bild Kreuz im Gebirge zu wichtig, um es 1931 nach München auszuleihen.

Das hier ist keine nachträglich kolorierte Photographie des Gemäldes, das ist ein Kunstwerk.  Slawomir Elsner hatte für eine Dresdner Galerie die neun verbrannten Bilder Friedrichs künstlerisch nachempfunden. Ich frage mich nur, warum niemand auf die Idee kommt, mit Hilfe der Artificial Intelligence aus dem Photo einen richtigen Caspar David Friedrich zu machen. Das müsste doch gehen, alte Filme kann man ja auch restaurieren. Ich hätte die winkende Dame gerne in bunt.

Sonntag, 13. Oktober 2024

Caspar David Friedrich (7)


Die Holländer hatten im 17. Jahrhundert die Landschaftsmalerei perfektioniert, den Horizont tief gelegt und viel Himmel gemalt. Im 18. Jahrhundert war die Landschaftsmalerei ein wenig in Vergessenheit geraten. Für Sir Joshua Reynolds war die Landschaftsmalerei kein Thema. Gainsborough möchte am liebsten Landschaften malen, aber er verdient sein Geld mit Portraits. John Constable möchte nur Landschaften und Himmel malen, aber er hat Schwierigkeiten, seine Bilder zu verkaufen. Caspar David Friedrich malt Landschaften, er kann nichts anderes. Wenn er Personen malen muss, sind es Rückenansichten. 

In dem ersten wichtigen Buch über die Geschichte der Landschaftsmalerei  Landscape into Art hat Kenneth Clark 1948 nur wenige Zeilen für Friedrich übrig: For Friedrich, for all the intensity of his imagination, worked in the frigid technique of his times, which could hardly inspire a school of modern painting. In seiner weltberühmten Serie Civilisation erwähnt er Friedrich einmal, in seinem Buch The Romantic Rebellion: Romantic Versus Classic Art auch einmal. Das ist alles. Wir mögen das als unfair empfinden, aber es ist etwas daran. Friedrichs Zeitgenosse Carl Blechen nimmt den Impressionismus vorweg, Friedrich nimmt nichts vorweg. Er begründet keine Schule, niemand wird ihm folgen. Der Maler Friedrich, für den Goethe kein gutes Wort übrig hatte, war nach seinem Tod schnell vergessen.

Ein Jahr Feiern zum 250. Geburtstag des Malers, viele Ausstellungen, viele Bücher. Alte Bücher wurden wieder aufgelegt, neue geschrieben. Florian Illies hat mit Zauber der Stille wahrscheinlich einen Bestseller geschrieben. Nicht wieder aufgelegt wurde das Buch Caspar David Friedrich Studien von Werner Sumowski, das Helmut Börsch-Supan 1970 als die wichtigste Arbeit, die bisher über Caspar David Friedrich erschienen ist, bezeichnete. Auch eine Neuauflage verdient hätte der Katalog der Hamburger Kunsthalle aus dem Jahre 1974. Den hatte ich das ganze Jahr über zur Hand, wenn ich über Caspar David Friedrich schrieb. Man kann den Katalog für zehn Euro bei ebay finden, das fünfzig Jahre alte Werk ist in keinem Punkt überholt. Von der kunsthistorischen Qualität ist er dem Hamburger Katalog von 2024 überlegen.

Das Beste, das dem Werk Caspar David Friedrichs passierte, war dass Karl Wilhelm Jähnig unter schwierigsten Bedingungen einen Katalog  der Gemälde, Druckgraphik und bildmäßigen Zeichnungen erstellte. Das Schlimmste, das dem Werk Caspar David Friedrichs zustieß, war dass Helmut Börsch-Supan den überarbeitet. Der Kunstkritiker der New York Times John Russell vernichtete Börsch-Supan in seiner Besprechung: But it is quite another thing to take Friedrich, as Dr. Börsch‐Supan does, and interpret every single one of his images in terms of a tight, unvarying formula. Friedrich may well have had the life to come continually in mind, and it may even be that many of his imaginings were structured by the contrast between that life and our own one. But it is quite implausible that an art as limited in its reverberations as Dr. Börsch‐Supan suggests would exert so lasting and so intense a thraldom upon us. Alles in Friedrichs Bildern, vom kleinsten Grashalm und fliegendem Piepmatz wird für Börsch-Supan zu einem christlichen Symbol. Dieses symbol hunting ist schon ein wenig pathologisch.

Im Dresdner Kunstblatt war wenige Tage nach Friedrichs Tod ein anonymer Nachruf zu lesen: ... Sein Leben war ein langes Unglück. Die Erinnerung an seinen Bruder, der ertrank, als er ihn beim Schlittschuhlaufen retten wollte, warf einen tiefen Schatten über sein ganzes Leben, da er sich als Ursache dieses Todes betrachtete. Er floh seine Heimat (Greifswald), kam hierher (Dresden) ohne Unterstützung und ernährte sich anfänglich durch Kolorieren schlechter Dresdener Prospekte für einen Bilderhändler, bis er allmählich durch seine Landschaften in Ruf kam. Seine Werke wurden nun geschätzt und gesucht, und er hätte mit den Seinen sorgenfrei leben können, wenn er nicht bis zum Übermaß gegen Dürftige wohltätig gewesen und oft auch gemißbraucht worden wäre. Im kräftigsten Alter fing er plötzlich an zu kränkeln, und war schon seit vielen Jahren untätig aus Schwäche des Körpers. Noch in den letzten Tagen seines Lebens erhielt er durch den russischen Thronfolger eine Unterstützung, die ihn für ein Jahr wenigstens aller Sorgen überhob, die er aber leider nicht selbst mehr genießen konnte.

Friedrichs Freund Carl Gustav Carus schreibt in seinen Lebenserinnerungen: Einen Freund, aber allerdings einen bereits längere Zeit mir halb Toten, nahm dieser Mai nun auch hinweg: meinen alten Friedrich! Er hatte so viele Kirchhöfe gemalt – er muss sich ganz heimisch dort vorgekommen sein! Carus war der Meinung, dass der Nachruf des Kunstblatts ein wenig mickrig ausgefallen war. Er veröffentlicht im Kunstblatt in zwei Heften einen längeren Nachruf mit dem Titel Friedrich der Landschaftsmaler, in dem er Friedrich als einen Erneuerer der deutschen Landschaftsmalerei sieht, die zur bloßen Prospektmalerei verkommen war. Das ist ein Thema, in dem Carus zuhause ist, denn er hatte 1831 seine Neun Briefe über Landschaftsmalerei veröffentlicht.

Hier soll diese Einleitung nur auf eins uns hier zunächst Liegende  aufmerksam machen, nämlich, dass in der Landschaftsmalerei namentlich Friedrich es war, welcher mit einem durchaus tiefsinnigen und energischen Geiste und auf absolut originale Weise in den Wust des Alltäglichen, Prosaischen, Abgestandenen hineingriff, und, indem er ihm mit einer herben Melancholie niederschlug, aus dessen Mitte eine eigentümlich neue, leuchtende poetische Richtung hervorhob. Wir wollen damit keineswegs die Art seiner Auffassung der Landschaftskunst als die allein wahre und noch weniger als die allein zu verfolgende hervorheben, aber wer sich jenen früheren nachbetenden, trivialen Zustand dieser Kunst vergegenwärtigen will und noch vergegenwärtigen kann, der wird fühlen, dass das Auftauchen einer solchen neuen urgeistigen Richtung, wie sie Friedrich erschien, auf jedes empfängliche Gemüt durchaus anregend, ja erschütternd einwirken musste. […] Friedrich ist nun tot, schon mehrere Jahre war durch die Folge eines Schlagflusses seine geistige und künstlerische Tätigkeit gelähmt, allein noch fanden sich auf der Dresdner Kunstausstellung 1840 einige und besonders eines seiner letzten Bilder, welche beweisen, mit wie seltener und eisenfester Eigentümlichkeit er bis in seine letzten Lebensjahre dieselbe tief melancholische und immer geistig lebendige Romantik der Poesie in seinen Werken walten ließ. 

Als Carus diesen Aufsatz in Buchform veröffentlichte, fügte er ihm alles bei, was Caspar David Friedrich über die Landschaftsmalerei gesagt hatte. Beginnend mit dem Satz: Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht. Sonst werden seine Bilder den Spanischen Wänden gleichen, hinter denen man nur Kranke und Tote erwartet.


Donnerstag, 10. Oktober 2024

Thaddäus Kosciuszko


Heute vor zweihundertdreißig Jahren hat der General Thaddeus Kosciusko die Schlacht von Maciejowice gegen die Russen verloren. Das wissen Sie natürlich, weil Sie 2010 den Post Maciejowice gelesen haben. In dem Jahr gab es noch einen zweiten Post zu dem polnischen Nationalhelden, der Benjamin Wests 'Thaddäus Kosciuszko' heißt. Den Post hat damals kaum jemand gelesen, aber der Post über die Schlacht von Maciejowice im Oktober hatte dann schon vierstellige Leserzahlen. Wie bin ich auf den Mann gekommen, dass ich, kaum bin ich im Internet, gleich zweimal über ihn schreibe? Ich hatte das Gefühl, man müsse ihnvor dem Vergessen bewahren.

Für den amerikanischen Quäker Benjamin West war der polnische Edelmann ein amerikanischer Held. Und das ist er sicherlich auch gewesen. Benjamin West, der inzwischen zum Lieblingsmaler von George III geworden war, wollte Kosciuszko unbedingt in dem Londoner Hotelzimmer malen, in dem der General sich von den Wunden erholte, die er in der Schlacht von Maciejowice erlitten hatte. Der russische Zar Paul hatte ihn im Gefängnis besucht, er hatte gewisse Sympathien für diesen Mann, der für sein Heimatland Polen kämpfte. 

Ein Land, das Preußen, Österreich und Russland immer wieder für sich beanspruchten. Erste, zweite, dritte polnische Teilung: kennen wir alle noch aus dem Geschichtsunterricht. Wenn der Zar Kosciusko nach dem Tod seiner gehassten Mutter Katharina die Freiheit schenkt, wünscht er sich von ihm, einmal die Uniform zu sehen, die der Mann, der König von Polen hätte werden können, im Freiheitskampf trug. Als er ein Heer von Bauern mit Sensen anführte. Kosciusko bringt ihm die Uniform, aber er trägt sie nicht. Er trägt die Uniform eines amerikanischen Brigadegenerals mit weißen Epauletten, die er ein Jahrzehnt früher getragen hatte.

Der russische Zar lässt ihn allerdings trotz aller Freundlichkeiten in London von seinem Botschafter, dem Grafen Semyon (Simon) Woronzow, bespitzeln. Wir haben den Grafen hier, gemalt von Thomas Lawrence. Offiziell erkundigt sich Woronzow natürlich nur nach der Gesundheit des polnischen Freiheitskämpfers. Aber man möchte in Russland schon gerne wissen, was er vorhat. Wird er nach Amerika gehen? Wird er die 48.000 Rubel bei der Londoner Bank abheben, die der Zar dort als Geschenk für ihn deponiert hat? Der Graf Woronzow, der eines Tages das Vertrauen seines Zaren verlieren wird, bleibt bis zu seinem Lebensende in England. Er ist ein Londoner geworden, der bei seinem Tod ein kleines Vermögen für das Armenhaus der Gemeinde hinterlässt. Es gibt in London eine Woronzow Road, nördlich vom Regent's Park (oder für Beatles Fans: in der Nähe der Abbey Road).

Kosciuszko war 1776 nach Amerika gekommen, weil er als Offizier in der polnischen Armee keine Zukunft hatte. Und die amerikanische Kontinentalarmee war ja auch dankbar für gut ausgebildete Offiziere aus Europa, vor allem, wenn die adlig sind. Wenn auch in manchen Fällen, wie bei dem Baron von Steuben und dem Baron de Kalb, die Adelstitel ein klein wenig fiktiv sind. Kosciuszko, der sich für die Schiffsreise nach Amerika achtzig Dukaten von seinem Schwager geliehen hatte, hat andere Qualitäten als Steuben und de Kalb, er ist ein Ingenieur. Er hatte die königliche Offiziersschule in Warschau und die Ecole Militaire in Paris besucht. Er kann Festungsanlagen und Brücken bauen. Solche Leute braucht man jetzt in Amerika, man macht ihn sofort zum Colonel und wird ihm im Laufe des Krieges in den Südstaaten auch kleinere militärische Einheiten anvertrauen. Er rechtfertigt das Vertrauen, das er von Benkamin Franklin und George Washington erhielt. Er wird die Befestigungen des Forts West Point so anlegen, dass die Engländer es nie einnehmen können. Da müssen sie schon darauf hoffen, dass der Verräter Benedict Arnold ihnen die Pläne verkauft. Dieses Denkmal erinnert in West Point heute noch an Kosciusko .

Bevor Kosciuszko West Point ausbaute, hatte er 1777 sein Meisterstück in der Schlacht von Saratoga geliefert, einer Schlacht, in der die Engländer unter dem Generalmajor John Burgoyne eine ganze Armee verlieren. Das ist ein Wendepunkt des Unabhängigkeitskrieges, und die Schlacht hat hier mit Saratoga schon einen langen Post. Die Schlacht, die aus zwei Einzelschlachten besteht (Freeman’s Farm und Bemis Heights), gewinnen die Amerikaner, weil der adlige Colonel aus Polen so geschickt die Festungsanlagen um Bemis Heights herum plaziert hatte. 

The great tacticians of the campaign were hills and forests, which a young Polish Engineer was skilful enough to select for my encampment, wird der General Horatio Gates eines Tages schreiben. Auf dem Bild, das John Trumbull eines Tages von der Kapitulation von John Burgoyne malen wird, ist Thaddeus Kosciusko nicht zu sehen. Aber Historiker sagen heute, dass sein Anteil am Sieg ebenso groß gewesen sei wie der der Generäle. Es sind immer die Generäle, die auf dem Pferd sitzen und einen Säbel in der Hand haben, die man bewundert. Über die Militäringenieure, die Befestigungen bauen, redet niemand. Die finden wir bestenfalls in Laurence Sternes Roman Tristram Shandy.

George Washingtons Freund, der General Nathanael Greene wird über Kosciuszko sagen: Colonel Kosciuszko belonged to the number of my most useful and dearest comrades in arms. I can liken to nothing his zeal in the public service, and in the solution of important problems nothing could have been more helpful than his judgment, vigilance and diligence. In the execution of my recommendations in every department of the service he was always eager, capable, in one word impervious against every temptation to ease, unwearied by any labour, fearless of every danger. He was greatly distinguished for his unexampled modesty and entire unconsciousness that he had done anything unusual. He never manifested desires or claims for himself, and never let any opportunity pass of calling attention to and recommending the merits of others. 

Es wird etwas dauern, bis der amerikanischen Kongress die Verdienste von Kosciuszko anerkennt. Erst auf das Drängen von George Washington macht man ihn zum Brigadegeneral und beschliesst: that the secretary at war transmit to Colonel Kosciuszko the brevet commission of brigadier-general, and signify to that officer, that Congress entertain a high sense of his long, faithful, and meritorious services. Und er wird Ehrenmitglied der Society of the Cincinnati, das zeigt dieser kleine goldene Orden, der an seinem Kragen hängt. Washington wird auch dafür sorgen, dass Kosciuszkos farbiger Adjutant Agrippa Hull eine lebenslange Rente erhält. Der Kongress gewährt dem Brigadegeneral für seine Dienste ein Guthaben von 12.280 Dollar mit einer jährlichen Auszahlung von 6 Prozent Zinsen. Und den Anspruch auf 500 Acres Land, falls er in den Vereinigten Staaten bleiben wolle. Das Bild hier ist ein kolorierter Stich von Frederick  Girsch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Bild heißt Die Helden der Revolution, Kosciuszko ist der fünfte von links. Immerhin zählt man ihn damals zu den Helden der amerikanischen Revolution. 

1797 wird er Amerika wieder besuchen, man feiert ihn wie einen Nationalhelden. George Washington wird ihm schreiben: I beg you to be assured that no one has a higher respect and veneration for your character than I have; or one who more singularly wished during your arduous struggle in the cause of liberty and your country, that it might be crowned with Success. But the ways of Providence are inscrutable, and Mortals must submit. I pray you to believe, that at all times, and under any circumstances, it would make me happy to see you at my last retreat. Das Haus in Philadelphia, in dem Kosciuszko wohnte, ist heute ein Nationaldenkmal. Er wird seinen Lebensabend in Paris und der Schweiz verbringen. Aber zuvor hat der Mann, der die Worte Freiheit, Integrität und Unabhängigkeit auf seinem Wappenschild hatte, noch etwas Erstaunliches getan. Er setzt mit seinem Freund Thomas Jefferson sein Testament auf. Von den 12.280 Dollar (und den Zinsen) sollen Farbige freigekauft werden. Seinen polnischen Leibeigenen hatte er schon vorher die Freiheit gegeben. He is as pure a son of liberty, as I have ever known, and of that liberty which is to go to all, and not to the few or the rich alone, hat Jefferson über ihn gesagt. 

Einen Monat vor seinem Tod 1817 hat Thaddeus Kosciuszko seinem Freund Jefferson einen Brief geschrieben und hat ihn an das Testament erinnert. In dem man lesen kann: Thaddeus Kosciuszko being just in my departure from America do hereby declare and direct that should I make no other testamentary disposition of my property in the United States I hereby authorise my friend Thomas Jefferson to employ the whole thereof in purchasing Negroes from among his own or any others and giving them liberty in my name, in giving them an education in trades or otherwise and in having them instructed for their new condition in the duties of morality which may make them good neighbours, good fathers or mothers, husbands or wives and in their duties as citizens teaching them to be defenders of their liberty and Country and of the good order of society and in whatsoever may make them happy and useful and I make the said Thomas Jefferson my executor of this. Aber Jefferson hat das nicht hingekriegt, er bat aus Altersschwäche und Überarbeitung den Federal Court, einen anderen Testamentsvollstrecker zu bestellen. Dann landete das Ganze vor dem Supreme Court, der das Testament für nichtig erklärte, weil es angeblich noch andere Testamente gäbe. Der Brief von 1817 wird nicht berücksichtigt. In Sachen Sklaverei werden die amerikanischen Gerichte sehr unterschiedliche Urteile sprechen. Bis der Supreme Court im Fall Dred Scott versus Sandford ein katastrophales Urteil fällt. Es wird beinahe hundert Jahre dauern, bis Earl Warren ein neues Kapitel der amerikanischen Rechtsgeschichte schreiben wird.

Aber die 12.800 Dollar sind nicht verloren, sie werden einem guten Zweck zugeführt. Bei Booker T. Washington können wir 1911 lesen: Seven years after his death, a school (for former) slaves, known as the Kosciuszko School, was established in Newark, New Jersey. The sum left for the benefit of this school amounted to thirteen thousand dollars. The Polish patriot is buried in the cathedral at Cracow, which is the Westminster Abbey of Poland, and is filled with memorials of the honored names of that country. Kosciuszko lies in a vault beneath the marble floor of the cathedral. As I looked upon his tomb I thought how small the world is after all, and how curiously interwoven are the interests that bind people together. Here I was in this strange land, farther from my home than I ever expected to be in my life, and yet I was paying my respects to a man whom the members of my race owed one of the first permanent schools for them in the United States. When I visited the tomb of Kosciuszko I placed a rose on it in the name of my race.

Monica Mary Gardner, die als Schriftstellerin eine interessante Karriere hat, hat 1920 die Biographie →Kościuszko A Biography veröffentlicht. Sie ist hier im Internet lesbar, ist auch immer wieder neu aufgelegt worden, zuletzt 2022. Aber ein richtig gutes Buch über Kosciuszko gibt es meines Wissens nicht. Auch dies Buch des amerikanischen Journalisten Alex Storozynski The Peasant Prince: Thaddeus Kosciuszko and the Age of Revolution ist eher ein Roman als eine solide Biographie. Sie können aber hier den einstündigen Dokumentarfilm Kosciuszko: A Man Before His Time von Storozynski anschauen. Ist besser als nix. 

Die 48.000 Rubel hat Thaddeus Kosciuszko übrigens in London nie abgeholt, er wollte vom russischen Zaren nichts geschenkt bekommen.

Dienstag, 8. Oktober 2024

Blechgöttin


Am 8. Oktober 1955 stellte die französische Firma Citroën auf dem Pariser Autosalon ein neues Automobil vor, das ganz anders aussah als die Modelle, die man zuvor gebaut hatte. Angeblich sollen am Abend des ersten Tages der Show 12.000 Bestellungen eingegangen sein, aber das ist wohl ein kleines Märchen der Werbefuzzis. Der Firmengründer André Citroën hat diesen Tag nicht mehr erlebt, aber er hatte 1932 den italienischen Designer →Flaminio Bertoni eingestellt, der das Gesicht der Marke für ein Vierteljahrhundert prägen sollte und für das Design der DS 19 verantwortlich war.

Bertoni hatte für Citroen 1934 den Traction Avant und 1948 den Deux Chevaux entworfen (der natürlich mehr als zwei PS hatte, das mit den zwei Pferden bezieht sich auf die Steuerklasse). Der Citroen Traction Avant war ein Auto, das den schönen Beinamen Gangsterauto hatte. Wir kennen es auch vielen französischen Gangsterfilmen. Und man konnte auch aus la traction das Wort l'attraction bilden. Aber nun kommt die neue Zeit. Jetzt konnte sie jeder am 8. Oktober 1955 sehen: die Göttin. Aus der internen Modellbezeichnung DS wurde La Déesse

Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen ... ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake, hieß es ein halbes Jahrhundert zuvor in Marinettis Manifest des Futurismus. Das da links ist Marinetti mit seinem neuen Auto, das überhaupt nichts von der Nike von Samothrake an sich hatte - und er konnte auch überhaupt nicht damit umgehen. Zwischen den Worten des Dichters und der automobilen Realität sind doch Welten.

Obgleich das alte schwarze Gangsterauto für alle französischen Krimis toll war, kommt jetzt dank Flaminio Bertonis Design die ganz neue Zeit - passend zum nouveau roman und der nouvelle vague. Keine großen Rohre mehr, wie an Marinettis idealem Rennwagen. Stattdessen Stromlinie und Hydropneumatik (so etwas Ähnliches hatte der Borgward später auch). Und die Scheinwerfer, an die Lenkung gekoppelt, leuchteten um die Ecke. Roland Barthes hat in seinem Buch Mythologies eine Liebeserklärung an die Déesse gerichtet, wofür ihm die Firma Citroen sofort ein Exemplar hätte schenken müssen.

Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gothischen Kathedralen ist. Ich meine damit: Eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und die in ihrem Bild, wenn nicht überhaupt im Gebrauch von einem ganzen Volk benutzt wird, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet und aneignet. Der neue Citroën fällt ganz offenkundig insofern vom Himmel, als er sich zunächst als ein superlativisches Objekt darbietet. Man darf nicht vergessen, dass das Objekt der beste Bote der Übernatur ist: es gibt im Objekt zugleich eine Vollkommenheit und ein Fehlen des Ursprungs, etwas Abgeschlossenes und etwas Glänzendes, eine Umwandlung des Lebens in Materie (die Materie ist magischer als das Leben) und letztlich ein Schweigen, das der Ordnung des Wunderbaren angehört. Die „Déesse“ hat alle Wesenszüge (wenigstens beginnt das Publikum, sie ihr einmütig zuzuschreiben) eines jener Objekte, die aus der Welt herabgestiegen sind, von denen die Neomanie des 18. Jahrhunderts und die unserer Science-Fiction genährt wurden: Die Déesse ist zunächst ein neuer Nautilus.

Bei Marinetti war es noch die Nike von Samothrake, jetzt wird das Automobil zur gotischen Kathedrale. Von den Schriftstellern können die Werbeabteilungen noch viel lernen. Roland Barthes hat viele amüsante und kluge Dinge geschrieben, ich weiß nicht, ob ihn das schon wirklich zu einem Philosophen macht. Aber dieser ganze Strukturalismus mit signifiers und signs klingt natürlich gut. For Thursday, you should read the Roland Barthes essay, "The Death of the Author." In your comments I'd like you to tell me what Barthes meant to imply when he wrote, "The birth of the reader must be at the cost of the death of the Author." In case you're curious about how our man Roland actually died, here's a song from Colson Whitehead's 2001 book, "John Henry Days": 

Roland Barthes got hit by a truck
That's a signifier you can't duck
Life's an open text
From cradle to death. 

Das schreibt ein Blogger (ein amerikanischer Doktorand) und gibt seinen Lesern Hausaufgaben. Wollen Sie auch mal eben bis Donnerstag den Essay The Death of the Author lesen? Als Roland Barthes das geschrieben hatte, kursierten in Paris Witze, dass er jetzt in der Métro betteln würde, weil ihm seine Verlage keine Tantiemen mehr bezahlen. Weil er den Autor ja für tot erklärt habe. Aber Roland Barthes ist wirklich eines Tages gestorben, weil er von einem kleinen Wäschelaster angefahren wurde, es wäre noch tragischer gewesen, wenn es eine Citroen Déesse gewesen wäre. Zum Beispiel diese hier, von Pablo Picasso bemalt.

Dieses kleine Gedicht Roland Barthes got hit by a truck kommt in dem Roman John Henry Days von Colson Whitehead (übrigens ein sehr lesenswerter Roman) wirklich vor, auf der letzten Seite von Teil V. Ich weiß nicht, ob es wirklich von Colson Whitehead ist, ich kannte es schon, bevor ich den Roman gelesen hatte. Blöde Akademikerwitze kursieren immer sehr schnell, mein Seminar Englische Lyrik hat noch nicht angefangen, da hat schon ein Anonymus T.S. Eliot is an anagram for toilets an die Wandtafel geschrieben.

Als die Déesse neu war, schaute man gebannt zu, wie sie sich absenkte, nachdem der Fahrer den Wagen verlassen hatte. Allein, mit der Zeit verlor diese Neuigkeit ihren Reiz, und so toll sah sie ja auch nicht aus. Mit einem Facel Vega konnte die Göttin nun überhaupt nicht konkurrieren. Die Firma Facel Vega gehörte Jean Daninos, der 1928 bei Citroen als Ingenieur angefangen hatte und auch an der Entwicklung des Modells Traction Avant beteiligt gewesen war. Sein Bruder Pierre Daninos kommt hier schon in dem Post Engländer vor. Albert Camus hat mehrere Traction Avant Modelle besessen, er war damit zufrieden. Als er den Nobelpreis bekam, rief ihn sein Autohändler an und wollte ihm eine Déesse verkaufen. 

Er blieb dem Modell Traction Avant treu, er liebte das langsame Fahren. Er hat seinen Autos auch Namen wie Desdemona oder Penelope gegebenGestorben ist er in dem Facel Vega seines Verlegers Gallimard. Er hatte eine Bahnkarte für die Rückreise nach Paris von seinem gerade gekauften Landsitz im südfranzösischen Lourmarin in der Tasche. Aber dann bot ihm sein Verleger Gallimard eine Mitfahrt  mit seinem gerade gekauften Typ FV3B an. Camus hätte die Bahn nehmen sollen.

Niemand von uns Teenies, für die Autos in den fünfziger Jahren alles bedeuteten, wäre auf die Idee gekommen, den Citroen mit einer gotischen Kathedrale zu vergleichen. Einen Facel Vega mit einer griechischen Göttin schon eher. Und in den französischen Gangsterfilmen (wie hier in Jean-Pierre Melvilles Bob le flambeur) sah ein alter Citroen Traction Avant mit der Selbstmördertür einfach besser aus als die französische Flunder.

Das Zitat von Barthes über die Déesse geht folgendermaßen weiter: Deshalb interessiert man sich bei ihr weniger für die Substanz als für ihre Verbindungsstellen. Bekanntlich ist das Glatte immer ein Attribut der Perfektion, weil sein Gegenteil die technische und menschliche Operation der Bearbeitung verrät: Christi Gewand war ohne Naht, wie die Weltraumschiffe der Science-Fiction aus fugenlosem Metall sind. Die DS 19 erhebt keinen Anspruch auf eine völlig glatte Umhüllung, wenngleich ihre Gesamtform sehr eingehüllt ist, doch sind es die Übergangsstellen ihrer verschiedenen Flächen, die das Publikum am meisten interessieren. Es betastet voller Eifer die Einfassungen der Fenster, es streicht mit den Fingern den breiten Gummirillen entlang, die die Rückscheibe mit ihrer verchromten Einfassung verbinden. Wenn die Franzosen mal gedanklich abheben, dann aber richtig. Ich finde das mit dem Gewand Christi und den Raumschiffen der Science Fiction ein klein wenig gewagt. Und wieder einmal entfernt sich der Mann, der sechzig Jahre bei Mammi gelebt hat, in seinen Gedankenflügen ein bisschen von der Erde. Ich sage jetzt über französische Automobile der fünfziger und sechziger Jahre (und siebziger etc) nur ein einziges Wort: Spaltmaße!

Roland Barthes hat in den Jahren 1954 bis 1956 monatlich für die Zeitschrift Les Lettres Nouvelles geschrieben. Er hatte gerade den Sprachphilosophen de Saussure gelesen, und dekonstruiert jetzt die Mythen des Alltags mit Hilfe von de Saussure, Husserl, Freud und Marx. Die Franzosen haben es ja gerne kompliziert, William of Ockhams entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem gilt bei ihnen nichts. Und doch entgeht Barthes bei allen geistreichen Überlegungen das wahre Wesen des französischen Automobils. Dafür braucht man nicht so viele Wörter wie Barthes in The New Citroen. Da genügt wiederum eins: Rost. Heißt auf Französisch rouille, ist aber das Gleiche.

Das stand hier schon 2010, in meinem ersten Jahr als Blogger. Da kannten Sie mich vielleicht noch nicht. Ich habe den Text natürlich überarbeitet, ich stelle ihn deshalb ein, weil er mir immer noch gefällt.


Donnerstag, 3. Oktober 2024

Kris Kristofferson ✝


Sein Vater war General, er wünschte sich, dass sein Sohn auch eine militärische Karriere einschlug. Der studierte erst einmal an einem Elitecollege Englische Literatur und bekam ein Stipendium für das Merton College in Oxford. Dann ging er zur US Army und wurde Hubschrauberpilot. Er meldete sich freiwillig für den Einsatz in Vietnam, aber die Army hatte anderes mit dem Captain Kristofferson vor. Er sollte Professor für Englische Literatur in West Point werden. Kristofferson verließ die Army und fing etwas ganz anderes an. Der General Kristofferson hat das seinem Sohn nie verziehen.

Das hier war die erste Kris Kristofferson LP, die ich kaufte. Sie war in einem Grabbelkasten vor dem kleinen Schallplattenladen. Die Platte ist gut, nur das Cover ist etwas beschädigt, deshalb ist sie so billig, sagte mir der Ladenbesitzer. Ich wusste nicht, wer Kris Kristofferson war, aber Me And Bobby McGee hatte ich schon von Janis Joplin im Autoradio gehört. Ich wusste nicht, dass er das Lied geschrieben hatte. All seine Songs, mit denen andere berühmt wurden, sind auf dieser Platte: Me And Bobby McGeeHelp Me Make It Through The Night und Sunday Mornin' Comin' Down. Vieles, was er schrieb, ist die in die amerikanische Kultur eingegangen, nicht nur die Zeilen Freedom is just another word for nothin' left to lose.

He’s a poet, he’s a picker  He’s a prophet, he’s a pusher He’s a pilgrim and a preacher, and a problem when he’s stoned  He’s a walking contradiction, partly truth and partly fiction Takin’ ev’ry wrong direction on his lonely way back home, sagt die schnuckelige blonde Cybill Shepherd  in Taxi Driver zu Robert de Niro, auf die Frage, wie sie sich den richtigen Mann vorstellt. Die Zeilen, die sie aufsagt, sind aus Kristoffersons Song The Pilgrim, den er für Johnny Cash geschrieben hatte. Der hat den Song auch gesungen, auch ✺zusammen mit KristoffersonEmmylou Harris ist mit diesem Lied auch mit Kristofferson auf der Bühne gewesen.

Die Schweizer Dokumentarfilmerin Sophie Huber hat sich für ihren Film über Kristofferson Freund Harry Dean Stanton (mit dem er 2016 Help Me Make It Through The Night sang) auch etwas von diesem Text genommen, das partly fiction in ihrem Film Harry Dean Stanton: Partly Fiction stammt auch aus The Pilgrim. Kris Kristofferson ist im Alter von achtundachtzig Jahren gestorben. Vor fünf Jahren war er noch in Deutschland aufgetreten, wo er als Soldat lange stationiert war. Er hatte sich gewünscht, dass man die ersten Zeilen von Leonard Cohens Bird on the Wire auf seinen Grabstein schreiben sollte. Den Wunsch wird ihm seine Familie sicher erfüllen:

Like a bird on the wire
Like a drunk in a midnight choir
I have tried in my way to be free

Dienstag, 1. Oktober 2024

Quarzuhren (III)


Ist aber wirklich meine letzte Quarzuhrhabe ich in Quarzuhren (II) geschrieben. Einem Post, der viel mehr Leser hatte als die beiden letzten Posts zu Caspar David Friedrich. Ich muss noch einige Korrekturen zu diesem Post anfügen, da ich gegen meine guten Vorsätze verstoßen habe und mir doch noch eine Quarzuhr gekauft habe. Und ich noch erwähnen muss, dass die erste in Neuchâtel getestete Quarzuhr nicht von Seiko kam. Die kam 1967 aus der Schweiz, war aber nur ein Prototyp, von dem es lediglich wenige Exemplare gab. 

Sie hieß 
Beta 1 und hatte ein sehr großes rechteckiges Werk, das gerade mal in dieses rechteckige Gehäuse passt. Aber das Centre Electronique Horloger (CEH) wird dieses Werk nicht weiterbauen. Man hatte sich für den Bau des Kalibers →Beta 21 entschieden, das zwanzig Schweizer Firmen (wie zum Beispiel IWC, Jaeger-LeCoultre, Patek Philippe und Rolex) 1970 in ihren Armbanduhren haben werden. Aber nur in kleinen Zahlen, Rolex nimmt für seine Oysterquartz erstmal nur 320 Stück. Allerdings hatte auch das Werk keine wirkliche Zukunft, es wurde schnell wieder aufgegeben. 

Wenige Wochen, nachdem das Beta 1 vorgestellt worden war, tauchte auch Seiko mit einem Quarz Prototyp in Neuchâtel auf. Sie waren da ja schon zu Hause, weil sie in den Jahren zuvor kleine Tischuhren und Marinechronometer (also so etwas wie in diesem Bild) dort testen ließen. Wenn Sie diesen Link oben anklicken, können sie alle Uhrmacher von Seiko kennenlernen, die die Seiko Chronometer eingeregelt haben.

Die heutige Standardfrequenz der Quarzuhren von 32.768 Hertz wurde 1971 von Girard-Perregaux festgelegt, die unabhängig vom CEH einen ganz eigenen Weg gegangen waren. Ich habe meine Girard-Perregaux schon vor zehn Jahren in dem Post CD Player abgebildet. Das Kaliber GP 350 ist aber nicht mehr in der Uhr, mein Uhrmacher hatte das defekte Werk nicht reparieren können. Obgleich er viel von Elektrik verstand, bevor er seine Meisterprüfung als Uhrmacher beim Bremer Domuhrmacher Henning Paulsen machte, hatte er als Flugzeugelektriker die elektrischen Leitungen der Starfighter und F-86 Sabre überprüft, die in Lemwerder eingeflogen wurden.

Vier Wochen, bevor die Schweizer 1970 mit ihrem Beta 21 auf dem Markt waren, bot Seiko zu Weihnachten Uhren mit dem Quarzwerk Astron →35SQW an. Jedoch gab es nur einhundert Stück dieser Golduhren, die den Preis von 450.000 Yen hatten. Dafür konnte man sich auch schon einen Toyota Corolla kaufen. Trotz des Preises war die Uhr ein Verkaufserfolg, nach einem Monat waren alle hundert Uhren verkauft. Die New York Times hatte 5. Januar 1970 die Schlagzeile Accuracy accentuated by a crystal device in a Japanese watch und schrieb: If you're one of those rare persons who must be accurate within five seconds a month, the Japanese have a wristwatch for you. Right now it costs $1,250 and is available only in Japan in a solid 18‐karat gold model. But who would be interested in such a timepiece and at such a price? “There are many people in your country who want to be the first to own something new,” replied Reijiro Hattori, executive managing director of Seiko Watch‐K, Hattori and Company, Ltd., of Tokyo. “Then there are those in radio and television, and scientists and many others whom we consider potential buyers,” he added. Mr. Hattori was here last week on a business trip in his capacity as director of international marketing for Seiko.

Seikos Konkurrent Citizen kommt erst 1973 mit einer Quarzuhr auf den Markt. Die geht im Monat zehn Sekunden ungenau, das ist bei Quarzuhren zu der Zeit schon ein guter Wert. Aber 1975 bringt Citizen die Crystron Mega, die nur noch fünf Sekunden falsch geht. Nicht im Monat, im Jahr. Sie soll allerdings 15.000 Dollar gekostet haben, und der Dollar war damals etwas mehr wert als heute. Es gab eintausend Exemplare der Uhr in Gold, bei ebay findet sich noch eine, die zweitausend Pfund Sterling kosten soll.

Das ließ Seiko natürlich nicht ruhen. In den siebziger Jahren werden sie immer neuere und bessere Quarzwerke auf den Markt bringen. Die allerdings immer noch viel zu teuer sind. Eine goldene Uhr mit dem Werk 38SQW VFA kostete 1974 stolze 1.3 Millionen Yen. Das VFA hinter der Kalibernummer stand für Very Fine Adjusted. Bei Seiko weiß man, dass die Uhren preiswerter werden müssen, und in der neuen Linie Superior beginnen die Preise dann bei 200.000 Yen. Das ist das Doppelte des Preises einer Grand Seiko mit automatischem Aufzug. Der große Sprung nach vorne ist das  Kaliber 4883, das allerdings nur zwei Jahre gebaut wird, weil Seiko dann die Twin Quartz Werke (Kaliber →9980) in der Superior und der Grand Quartz auf den Markt bringt. Es ist eine seltsame Sache bei Seiko, dass sie erfolgreiche Modelle, die sie für Jahre bauen könnten, nach kurzer Zeit aufgeben. Dadurch werden diese Uhren heute für Sammler natürlich interessant.

War bisher die Grand Seiko für die Firma das Maß aller Dinge, dann ist es jetzt die Superior, darüber geht nichts. Grand Quartz, King Quartz und Lord Quartz waren jetzt weiter unten auf der Liste der Dinge, von denen man träumte. Die Superior, die zehn Jahre lang gebaut wurde, hatte immer das gleiche Design. Sie war aus gehärtetem Stahl (einer Spezialität von Seiko) und ist hochglanzpoliert, wahrscheinlich ist das die Zaratsu Politur. Die Uhr hatte statt des von Seiko so gerne verwendeten Mineralglases ein Saphirglas. Das Zifferblatt ist sehr aufwendig, die manuell aufgesetzten Indizes sind beidseitig hochglanzpoliert. Im Internet habe ich jemanden gefunden, dem das Zifferblatt nicht so gefällt: The 4883-8001, like all the Superiors is a killer watch - wear this thing and you can tell its expensive - they cost insane money when new - that dial ... come on, 1976. The quality of these Seiko's is extradionary which is why they are looking so good 40+ years later - modern stuff just not on the same page. Dabei ist das Zifferblatt eigentlich ein kleines Kunstwerk.

Ich habe die killer watch jetzt am Arm, und da bleibt sie auch für die nächste Woche. Eigentlich hätte ich die Uhr nicht gebraucht, weil ich ja nach der Grand Quartz gesagt hatte: Ist aber wirklich meine letzte Quarzuhr. Aber
Patrick Reitberger und Sam Wong von der Firma Tokei Japan haben mir als treuem Kunden ein Freundschaftsangebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte. Denn eine Superior aus dem Jahre 1978 in diesem Zustand und zu dem Freundschaftspreis findet man nicht so leicht. In Germania Superior ganz bestimmt nicht.