Warum lesen plötzlich beinahe tausend Leute den sechs Jahre alten Post Ertrinken verboten, fragte ich mich. Die Antwort fand ich schnell, als ich das Fernsehen einschaltete (ja, ich habe wieder TV). Arte sendete gerade diesen schönen französischen Kriminalfilm mit den vielen schönen Frauen: Elisabeth Bourgine, Gabrielle Lazure und Marie Trintignant. Wir brauchen diese drei hübschen Frauen, nicht nur weil François Truffaut gesagt hat Le cinéma c'est de l'art de faire faire de jolies choses à de jolies femmes, sie sind für die Handlung unentbehrlich. Mehr sage ich nicht, falls Sie den Film noch nicht kennen.
Denn Sie können ✺Ertrinken verboten hier noch einige Tage sehen. Und für diejenigen, die immer auf die Autos in Filmen achten, möchte ich sagen, das Philippe Noiret in dem Film einen Rover 3500 V8 MkII fährt. Ich habe hier eine schöne Seite der →Internet Movie Cars Database, mit der man alle Autos in allen Filmen identifizieren kann. Die gibt es bei diesem kleinen Post als Bonus dazu.
Dienstag, 8. Juli 2025
Rätsel, schnell gelöst
Freitag, 4. Juli 2025
Wunderland + Untergrund
Erinnern Sie sich noch daran? Ging einem nicht mehr aus dem Kopf, Grace Slick und Jefferson Airplane mit dem ✺White Rabbit. Bis heute nicht vergessen. Es war damals die Zeit der Drogen, die angeblich das Bewusstsein erweiterten. Was zuerst eine Sache für die Dichter gewesen war - ich denke da an Henri Michaux und Aldous Huxley (die mit Meskalin experimentierten) - war jetzt etwas für jedermann. Ich kann da nicht mitreden, ich lehnte dankend jeden angebotenen Joint ab. Pfeifentabak und Whisky reichten mir. Einen kleinen psychedelischen Trip hatte ich aber doch einmal. Mein Hausarzt, ein Freund meiner Eltern, hatte mir Butazolidin wegen einer Sportverletzung verschrieben. Es gab keinen Beipackzettel, die Ärzte behandelten ihre Familien damals untereinander kostenlos. Und meistens mit Warenproben. Ich konnte also nicht lesen, dass man zu diesem Zeug keinen Whisky trinken sollte. Ich sah in der Nacht nur noch rotierende gelbe Kreise, Pizzascheiben des Teufels. Irgendwie fallen mir dazu immer Noel Harrisons ✺The Windmills of Your Mind und Grace Slicks White Rabbit ein.
Ich glaube, dass das Butazolidin heute nur noch bei Pferden verwendet wird, macht aus lahmen Gäulen Rennpferde. Ich habe einmal gelesen, dass Prince Philip es aus dem Pferdestall entwendete, um seine gichtigen Finger damit zu kurieren. Ich weiß nicht, ob er auch Whisky dazu getrunken hat. Meine persönlichen LSD Geschichten sind hier auch schon zu Ende. Bis auf diesen kleinen Zettel, den mir unser witziger amerikanischer Lektor Jack Daugherty einmal vor Jahrzehnten zusteckte. National LSD Day: Mind, how you go! steht darauf, ich habe den Zettel noch immer. Ich nehme an, Jack wollte mich testen, denn der kleine Zettel war in Wirklichkeit ein Gedicht. National LSD Day war der Titel, Mind, how you go! die einzige Gedichtzeile. Man beachte bitte das Komma zwischen mind und how - das war der Gag dieses Einzeilers, den Roger McGough geschrieben hatte. Der Dichter aus Liverpool, der mir einmal ein Buch signierte, ist in diesem Blog mehrfach erwähnt worden, lesen Sie doch einmal die Posts Kathedralen, Pilzköpfe und Delmore Schwartz.
Aber kommen wir zurück zu der kleinen Alice: 'Begin at the beginning,' the King said gravely, 'and go on till you come to the end: then stop.' Ich werde beim Ende aufhören, es wird Ihnen nicht gefallen. Und ich habe das One pill makes you larger, and one pill makes you small von Grace Slick nicht vergessen: and she had never forgotten that, if you drink much from a bottle marked "poison," it is almost certain to disagree with you, sooner or later. However, this bottle was not marked " poison" so Alice ventured to taste it and finding it very nice, (it had, in fact, a sort of mixed flavor of cherry-tart, custard, pine-apple, roast turkey, toffy, and hot buttered toast,) she very soon finished it off. "What a curious feeling ! " said Alice, " I must be shutting up like a telescope." And so it was indeed: she was now only ten inches high, and her face brightened up at the thought that she was now the right size for going through the little door into that lovely garden.
A boat beneath a sunny sky,
Lingering onward dreamily
In an evening of July--
Children three that nestle near,
Eager eye and willing ear,
Pleased a simple tale to hear--
Long has paled that sunny sky:
Echoes fade and memories die.
Autumn frosts have slain July.
Still she haunts me, phantomwise,
Alice moving under skies
Never seen by waking eyes.
Children yet, the tale to hear,
Eager eye and willing ear,
Lovingly shall nestle near.
In a Wonderland they lie,
Dreaming as the days go by,
Dreaming as the summers die:
Ever drifting down the stream--
Lingering in the golden gleam--
Life, what is it but a dream?
For he will have known the awe that falls on one in the presence of a spirit fresh from GOD's hands, on whom no shadow of sin, and but the outermost fringe of the shadow of sorrow, has yet fallen: he will have felt the bitter contrast between the haunting selfishness that spoils his best deeds and the life that is but an overflowing love--for I think a child's first attitude to the world is a simple love for all living things: and he will have learned that the best work a man can do is when he works for love's sake only, with no thought of name, or gain, or earthly reward.
Die Zeichnung (oben) von E. Gertrude Thomson mit den drei nackten Mädchen zu seinen →Three Sunsets and Other Poems von 1898 hat Dodgson sicher gefallen, zeigt sie doch perfekt dieses verlogene süßliche Kinderbild der Viktorianer. Dodgson schrieb damals an Gertrude Thomson: I confess I do not admire naked boys in pictures. They always seem... to need clothes, whereas one hardly sees why the lovely forms of girls should ever be covered up. Deshalb hat er die Schwester von Alice auch genau so photographiert. Man weiß nicht ganz genau, ob das →Photo, das man unlängst in einem französischen Museum fand, wirklich echt ist, aber es spricht vieles dafür. Ah, happy he who owns that tenderest joy, The heart-love of a child! schreibt Carroll in einem →Gedicht. Feed your head.
Darf man ein Kind so photographieren, wie Dodgson das 1858 tut?... watch the way she measures a man with agile studio eyes, with dimpled depravity. Adult emotions of love and grief glissade across the mask of childhood, a childhood that is only skin-deep. It is clever, but it cannot last. Her admirers – middle-aged men and clergymen – respond to her dubious coquetry, to the sight of her well-shaped and desirable little body, packed with enormous vitality, only because the safety curtain of story and dialogue drops between their intelligence and their desire. Das schreibt kein Kommentator dieses lasziven Photos, das schreibt Graham Greene über Shirley Temple.
Diese Filmkritik durfte nicht gedruckt werden (lesen Sie hier mehr dazu), Graham Greene verlässt sicherheitshalber das Land. Der Lord Chief Justice sagt am Ende der Verhandlung: This libel is simply a gross outrage, and I will take to see that suitable attention is directed to it. So etwas darf nicht sein. Shirley Temple als inszeniertes Sexobjekt schon, aber man darf es nicht sagen. Von den viktorianischen Gemälden mit nackten Frauen eines William Etty, den Photographien von Lewis Carroll, der Werbung von Pears Soap (hier im Bild) bis zu Christine Keeler versuchen die Engländer immer einen Schein von Anständigkeit für ihre Schmuddelphantasien zu wahren.
Der Sommer des Jahres 1862 bringt noch ein weiteres literarisches Produkt unseres Oxford Mathematikers hervor, nämlich den →Song über Miss Arabella Jones:
'Tis a melancholy song and it will not keep you long,
Tho I specs it will work upon your feelings very strong,
For the agonising moans of Miss Arabella Jones
Were warranted to melt the hearts of any paving stones.
Simon Smith was tall and slim, and she doted upon him,
Im Jahre 1921schrieb der englische Schriftsteller J.B. Priestley: Alice in Wonderland and Through the Looking-Glass are, I understand, to be published for the first time in German. When I first learned this important fact, it surprised me for a moment, for I had thought that both these classics had by this time passed into all civilized tongues; but after some little reflection, I soon realized that if they had been popular in Germany, we should have known about it. It is not difficult to imagine what will happen when the Alice books are well known there, for we know what happened to Shakespeare. A cloud of commentators will gather, and a thousand solemn Teutons will sit down to write huge volumes of comment and criticism; they will contrast and compare the characters (there will even be a short chapter on Bill the Lizard), and will offer numerous conflicting interpretations of the jokes. After that, Freud and Jung and their followers will inevitably arrive upon the scene, and they will give us appalling volumes on Sexualtheorie of Alice in Wonderland, on the Assoziationsfähigkeit und Assoziationsstudien of Jabberwocky, on the inner meaning of the conflict between Tweedledum and Tweedledee from the psychoanalytische und psychopathologische points of view. Das wird alles kommen, da kennt Priestley den deutschen faustischen Geist, der alles ergründen will, schon recht gut. Ich mache mir das mit der Rezeption des Werkes einfach und verweise auf das Buch Lewis Carroll - Alice in Wonderland and Through the Looking- Glass von Eberhard Kreutzer. Da steht alles drin, was man wissen will.
Wenn Charles Lutwidge Dodgson am 4. Juli 1862 im Boot die Geschichte von der kleinen Alice erzählt, die sich langweilte - so wie Alice Liddell sich gerade langweilt - dann heißt das nicht, dass er das ganze Buch schon im Kopf hat. Er wird drei Jahre dafür brauchen. Aber das Konzept zu dem Ganzen, das gewinnt er während einer Eisenbahnfahrt nach London. Er wollte die Weltausstellung mit ihrer Wunderwelt besuchen. Er liebte die Eisenbahn. Schon als Elfjähriger hatte er für seine Geschwister ein Eisenbahnspiel ersonnen, das von seinen vielen Geschwistern nach den von ihm festgelegten Regeln gespielt wurde (das Manuskript dazu liegt heute in Harvard). Es ist immer Lutwidge, der die Regeln festlegt, nach denen die Kinder spielen. So beherrscht er sie. Wie er Alice mit seinen Erzählungen beherrschen will - der Zauberer, der Kinder fängt.
Aber, um einen Filmtitel der fünfziger Jahre zu zitieren, sie tanzte nur einen Sommer, da brach der Dean von Christ Church Henry George Liddell die Beziehungen zu Dodgson ab. Hatte er die pädophilen Gelüste seines theologischen Kollegen erraten? Wir werden es nie erfahren, die Erben von Dodgson haben alle Seiten seines Tagebuchs aus dieser Zeit vernichtet. Wir wissen auch, dass Alices Mutter alle Briefe von Dodgson an die kleine Alice beseitigt hat.
I charm in vain; for never again,
All keenly as my glance I bend,
Will Memory, goddess coy,
Embody for my joy
Departed days, nor let me gaze
On thee, my fairy friend!
Was immer geschehen ist, die Katze lässt das Mausen nicht. Seit Ende der 1860er Jahre baut er sein →Photostudio in seinem College aus, er legt auch Listen seiner Opfer an. Einhundert und sieben Namen stehen darin. Don Giovanni hatte ein wenig mehr: Ma in Ispagna son già mille e tre, aber das waren richtige Frauen, keine Kinder. 1867 macht Dodgson seine erste Nacktaufnahme: Mrs. L. brought Beatrice, and I took a photograph of the two; and several of Beatrice alone, 'sans habilement [sic ]. Beatrice ist Beatrice Hatch, die jetzt sein bevorzugtes Modell wird. Und dann ist da noch ihre Schwester Evelyn, von der er dieses schöne, geschmackvolle Photo macht.
Mabel Amy Burton, die er 1877 als Achtjährige kennenlernte, erinnerte sich As a small child I much disliked strangers, but the personality of this gentleman attracted me and I chatted away with him quite freely. Sie sprach nach seinem Tod von einem irreparable loss in the hearts of many who had been his child-friends. Der irreparable Schaden ist noch größer. Vielleicht sollte man Alice in Wonderland in Malice in Wonderland umbenennen. Auf den Gag war Dodgson selbst auch schon gekommen, so schreibt er 1867 in einem Brief an Agnes Argyle: Dear Miss Dolly, I have a message for you from a friend of mine, Mr. Lewis Carroll, who is a queer sort of creature, rather too fond of talking nonsense. He told me you had once asked him to write another book like one you had read - I forget the name - I think it was about “Malice.” 2015 (da stand der größte Teil dieses Post hier schon einmal) ist nicht nur das Jahr von 150 Jahren Alice, es ist auch das Jahr, in dem dieses Photo vom Reverend Charles Lutwidge Dodgson und der kleinen Alice auftauchte. Muss man noch mehr sagen? Mind, where you go.
Lesen Sie auch: Charles Lutwidge Dodgson, Alice, Penelope Boothby
Mittwoch, 2. Juli 2025
Wimbledon
Are losing theirs and blaming it on you,
If you can trust yourself when all men doubt you,
But make allowance for their doubting too;
If you can wait and not be tired by waiting,
Or being lied about, don't deal in lies,
Or being hated, don't give way to hating,
And yet don't look too good, nor talk too wise:
If you can dream—and not make dreams your master;
If you can think—and not make thoughts your aim;
If you can meet with Triumph and Disaster
And treat those two impostors just the same;
If you can bear to hear the truth you've spoken
Twisted by knaves to make a trap for fools,
Or watch the things you gave your life to, broken,
And stoop and build 'em up with worn-out tools:
If you can make one heap of all your winnings
And risk it on one turn of pitch-and-toss,
And lose, and start again at your beginnings
And never breathe a word about your loss;
If you can force your heart and nerve and sinew
To serve your turn long after they are gone,
And so hold on when there is nothing in you
Except the Will which says to them: 'Hold on!'
If you can talk with crowds and keep your virtue,
Or walk with Kings—nor lose the common touch,
If neither foes nor loving friends can hurt you,
If all men count with you, but none too much;
If you can fill the unforgiving minute
With sixty seconds' worth of distance run,
Yours is the Earth and everything that's in it,
And—which is more—you'll be a Man, my son!
Yet not make puffs and curls your chief delight;
If you can swim and row, be strong and active,
But of the gentler graces lose not sight;
If you can dance without a craze for dancing,
Play without giving play too strong a hold,
Enjoy the love of friends without romancing,
Care for the weak, the friendless and the old;
If you can master French and Greek and Latin,
And not acquire, as well, a priggish mien,
If you can feel the touch of silk and satin
Without despising calico and jean;
If you can ply a saw and use a hammer,
Can do a man's work when the need occurs,
Can sing when asked, without excuse or stammer,
Can rise above unfriendly snubs and slurs;
If you can make good bread as well as fudges,
Can sew with skill and have an eye for dust,
If you can be a friend and hold no grudges,
A girl whom all will love because they must;
If sometime you should meet and love another
And make a home with faith and peace enshrined,
And you its soul—a loyal wife and mother—
You 'll work out pretty nearly to my mind
The plan that 's been developed through the ages,
And win the best that life can have in store,
You 'll be, my girl, the model for the sages—
A woman whom the world will bow before.
Sonntag, 29. Juni 2025
The Misfits
Noch mehr Marilyn in diesem Blog: Marilyn Monroe, John Huston, Method Acting, Dorothy Parker, Delmore Schwartz, What do I wear in bed?
Freitag, 27. Juni 2025
Reprise
Ich habe dann längere Posts geschrieben, ich war im Januar 2010 ja noch am Üben, aber irgendwie finde ich diesen Post in seiner Kürze perfekt. Wenige Zeilen, die viel sagen. Der Walfang war mir seit der Kindheit vertraut, nicht nur, weil wir Walkiefer am Utkiek stehen hatten. Die Häuser in unserer Straße hatten beinahe alle Kapitänen gehört (unser Haus auch), von denen viele im 19. Jahrhundert gutes Geld mit dem Walfang gemacht haben. Vieles davon war im Heimatmuseum gelandet.
Heute vor 54 Jahren hatte John Hustons Moby-Dick Verfilmung Premiere. Fiel, trotz des künstlerischen Aufwandes bei Kritik und Publikum, glatt durch. Man lobte Orson Welles's Auftritt als Father Mapple, aber Gregory Pecks Ahab konnte keinen begeistern. Am wenigsten Leslie A. Fiedler, den wilden Mann der amerikanischen Literaturkritik. Gregory Peck hätte besser den Wal gespielt, höhnte er in seinem Buch Waiting for the End. Fiedler ist ein Mann der wunderbar gewagten Formulierungen, wie jeder weiß, der einmal sein fetziges Buch Love and Death in the American Novel gelesen hat. Fiedler hat auch einmal in einem Vortrag gesagt, dass die einzige überzeugende Frauenfigur in der amerikanischen Literatur der weiße Wal in Melvilles Roman Moby-Dick sei. Er hatte auch kein gutes Wort für John Barrymore übrig, der in den Moby-Dick Verfilmungen von 1926 und 1930 (die von 1930 ist eigentlich nur ein Tonfilm Remake der Version von 1926) den Kapitän Ahab als einen leicht irren John Barrymore gespielt hatte.
Enttäuschte Liebe hat in diesem Film Kapitän Ahab zur Jagd nach dem Wal gebracht, diesen love interest finden wir im Buch ja nun gar nicht, aber Barrymore hatte für seine jeweilige Geliebte das Drehbuch umschreiben lassen. Wer interessiert sich schon für Herman Melville, wenn sich die ganze Welt der Traumfabrik Hollywood nur für John Barrymore interessiert? Dabei hatte sich John Huston mit dem Film große Mühe gegeben, er ist auch einer der wenigen amerikanischen Regisseure, der kommerzielle Interessen (zum Leidwesen der Studios) gegenüber der Originaltreue bei einer Literaturverfilmung zurückstellte. Die junge Journalistin Lillian Ross vom New Yorker hatte Hustons Dreharbeiten von The Red Badge of Courage begleitet und darüber im New Yorker geschrieben. Die Reportage ist später in Buchform unter dem Titel Picture erschienen.
Es ist eins der besten Bücher, die über eine Literaturverfilmung geschrieben worden sind (man kann es heute noch kaufen und die deutsche Übersetzung Film gibt es bei Amazon ab 0,47 €). Und man merkt bei Ross (die zwei Jahre zuvor im New Yorker die Macho Attitüden von Hemingway demontiert hatte) auf jeder Seite, wie Huston gegen das Studio um den Originaltext kämpft. Huston wird (wie jeder Leser von Moby-Dick) gewusst haben, dass Moby-Dick unverfilmbar ist, aber er hat versucht, das Unmögliche möglich zu machen. Sein Film ist nicht nur eine einfache Abenteuergeschichte. Dafür hat schon sein Drehbuchautor gesorgt, kein Hollywood Profi, sondern Ray Bradbury, der gerade Fahrenheit 451 geschrieben hatte. Und auch für die Filmmusik hatte Huston auf jemanden gesetzt, der nichts mit Hollywood zu tun hatte. Der englische Komponist →Philip Sainton schrieb die Musik, die ein wenig an Debussy, Delius und Korngold erinnert. Das Label Marco Polo hat 1998 die ✺Filmmusik auf einer CD herausgebracht. Die Dreharbeiten des Films dauerten drei Jahre, fünfzig Prozent waren Außenaufnahmen in Irland, vor der Küste von Wales und vor Madeira (alles, was im Roman im Pazifik spielt, wurde dort gedreht). Die andere Hälfte wurde in den Elstree Studios in London gedreht. Nichts in Amerika. John Huston, der seit 1947 die Hexenjagd der HUAC Komitees bekämpft hat, ist jetzt irischer Staatsbürger.
Huston hatte sich vor den Dreharbeiten alte kolorierte Stiche und Lithographien aus dem 19. Jahrhundert angesehen. Und er wollte seinen Film trotz der satten Farben von Technicolor bewusst in diesem Stil haben. Sein Kameramann hielt sich an diese Anweisungen, und so gibt es in diesem Film immer eine gewisse Unschärfe und Farben, die eher milchig wirken.
Huston hatte vorher schon mit Ähnlichem experimentiert, bei Moulin Rouge hatte er einen Schwarzweißfilm über den Farbfilm kopiert, was im Ergebnis an eine malerische Technik erinnerte. Und auch in Moby-Dick haben die Bilder häufig etwas Malerisches, einen trüben Lichtschimmer und eine glanzlose Gischt mit der die pessimistische Grundstimmung Melvilles mit einer schleierlosen Kälte, aber nicht ohne den Schimmer düsterer eschatologischer Romantik gezeigt wird (auf jeden Fall so im Verständnis des anonymen Rezensenten, der im ersten Heft der neuen Zeitschrift Filmkritik 1957 den Artikel Melville zum Gruß schrieb). Oswald Morris, der mit Huston schon Moulin Rouge gedreht hatte (und noch in vielen Filmen sein Kameramann sein wird), hat das Filmmaterial beim Entwickeln nachbehandelt, bis er diese milchigen Pastelltöne hinbekommen hat.
Eigentlich hätte man das Ganze auch gleich in Schwarzweiß drehen können. Ray Bradbury war mit seiner Familie nach Irland zu Huston gezogen. Er hatte Huston in Kalifornien kennengelernt, und er hatte einmal als junger Autor auf die Frage Wann schreibst Du denn mal ein Drehbuch? die scherzhafte Antwort gegeben Wenn John Huston mich anruft. Nun hatte John Huston angerufen. Bradbury war nicht zuhause gewesen, weil er mit seinem Freund Ray Harryhausen in den Antiquariaten von Venice herumstöberte, auf der Suche nach Büchern über Monster. Wir sind in den frühen fünfziger Jahren, da gibt es noch nicht so viele Bücher über Monster. Das hat sich heute geändert. Und alles, was Ray Harryhausen für die Welt der filmischen Monster erfunden hat, braucht man heute nicht mehr. Ich habe Ray Harryhausen einmal kennengelernt und ihn mit einer kleinen Einleitung dem Publikum vorgestellt. Dafür durfte ich dann auch bei seinem Vortrag neben ihm sitzen und hatte einen Logenplatz, als er ein kleines hochkompliziertes Monster nach dem anderen aus seinem Koffer holte. Die kleine mechanische Eule, die in Clash of the Titans (1981) durchs Bild saust, ich habe sie in der Hand gehabt. Das war ein netter Abend. Warum Bradbury Huston seinen Freund Harryhausen nicht als Trickfilmspezialisten empfohlen hat, weiß ich nicht. Die beiden Rays sind heute immer noch Kumpel (sie werden in diesem Jahr beide neunzig Jahre alt).
Aber als John Huston zum zweiten Mal anrief, war Bradbury zuhause. Musste allerdings zugeben, dass er den Roman noch nie gelesen hatte. Von dem Abend an hat er für das nächste Jahr nichts anderes mehr getan, eines Tages guckte er morgens in den Spiegel und sagte: I am Herman Melville. Und schrieb den Rest des Drehbuchs. Hat er in einem Interview gesagt, aber er hat viele widersprüchliche Dinge über seine Zusammenarbeit mit Huston gesagt. In dem Interview mit Sight & Sound 1974 hat er auch gesagt, dass Gregory Peck eine Fehlbesetzung war.
Gut, wir haben ihn ja alle lieber als Captain Hornblower (links), aber war er wirklich so falsch als Ahab? Ist Patrick Stewart vom Raumschiff Enterprise 1998 besser? In dieser Verfilmung durfte der Ahab von 1956 den Father Mapple spielen. Bradbury lenkt mit solchen Sätzen davon ab, dass sein Drehbuch den Text von Moby-Dick an entscheidenden Stellen elementar verändert hat (der Filmkritiker Brandon French fand das in Lost at Sea katastrophal). Ich glaube manchmal, dass Peck gegen Bradburys Text noch etwas von Melvilles Ahab zu retten versuchte. Aber es steht fest, dass Huston Peck nicht gewollt hat, den hatte ihm das Studio (Warner Bros.) aufgedrückt, damit wenigstens ein bekannter amerikanischer Schauspieler im Film war. Wäre der Film besser geworden, wenn er länger geworden wäre? Sergei Bondartschuk nimmt sich für Krieg und Frieden 484 Minuten Zeit, Moby-Dick ist (bei gleicher Länge des Romans) nur 116 Minuten lang. Es wird niemandem gelingen, Prousts Suche nach der verlorenen Zeit zu verfilmen. Obgleich Raoul Ruiz Le temps retrouvé (1999) sicher als gelungen zu bezeichnen ist.
Nach einem halben Jahrhundert ist man als Kritiker gegenüber dem Film sicherlich milder gestimmt. Man hat mittlerweile so viele schlechte Filme gesehen, dass einem Moby-Dick jetzt schon wieder gut vorkommt. Als Melville den Roman schrieb, hatte der Walfang als Amerikas nationale Industrie längst seinen Höhepunkt hinter sich. Und heute hat der Walfang einen ganz anderen Stellenwert als 1851. Niemand würde ein Epos über einen japanischen Walfänger schreiben, der hinter einer Kanone auf einem japanischen Walfangschiff steht. Das Abenteuer, das den jungen Melville auf der Acushnet begeisterte, ist dem unsinnigen mechanisierten Morden gewichen. Kein faustischer Ahab versucht mehr, the whiteness of the whale zu ergründen.
Ray Bradbury lässt in seinem Drehbuch Moby Dick sterben, aber in Melvilles Roman stirbt er nicht. Moby Dick wird niemals sterben, wird immer ein Rätsel und ein Geheimnis bleiben. Ebenso wie der Roman immer ein Rätsel bleiben wird, so oft man ihn auch liest. Hustons Film hat große Momente, so fehlerhaft er ist. Er kann auch Zuschauer dazu bringen, einmal den Roman zu lesen.
John Hustons Film ist als DVD leicht erreichbar, es gibt ihn oben auch zum Anklicken. Mit guten Moby-Dick Ausgaben sieht es schon schwieriger aus. Da die Ausgabe von Mansfield und Vincent (Hendricks House 1952) nicht mehr erreichbar ist, steht die von Harold Beaver kommentierte Penguin Ausgabe (über 300 Seiten Kommentar!) bei mir an zweiter Stelle der Empfehlungen. Gefolgt von der Norton Critical Edition, die Harrison Hayford und Hershel Parker herausgegeben habe. Im Internet gibt es einen ganz vorzüglichen →Power Moby-Dick. Bei deutschen Übersetzungen überwiegen die schlechten und schlimmen Texte. Meine Lieblingsübersetzung bleibt die bei Manesse erschienene Übersetzung von Fritz Güttinger. Es hat im letzten Jahrzehnt zwei deutsche Neuübersetzungen gegeben, wobei die von Daniel Göske herausgegebene Übersetzung von Matthias Jendis die lesbarste ist. Die von →Friedhelm Rathjen bei Zweitausendeins erschienene Übersetzung hat den Vorteil, dass das Buch die schönen Illustrationen von Rockwell Kent enthält. Allerdings haben sich prominente Kritiker vernichtend über Rathjens Übersetzung geäußert. Ich auch. Die beste und lesbarste neuere Biographie zu Melville ist von Andrew Delbanco (Knopf 2005), die es inzwischen glücklicherweise auch schon in einer deutschen Übersetzung gibt. Man kann natürlich auch Moby-Dick lesen und dabei die ✺Songs of the Humpback Whale hören. Was aber sicher gar nicht geht, ist das hier unten: