Sonntag, 16. Februar 2025

Bremen wes bedächtig


Man schnappt Sprüche und Sätze auf, wenn man jung ist. Und behält sie fürs Leben. Was'n in Bremen so sacht un wo ein fein auf hören muß. Der Satz könnte von mir sein, ist aber schon ein Buchtitel. Ich meine jetzt nicht Sätze wie Ischa Freimaak oder Roland mit de spitze Knee, seg mal, deit di dat nich weh? Ich meine Bedeutungsschweres wie Buten un binnen, Wagen un Winnen und diesen Satz, der mit Bremen wes bedächtig anfängt. Den Roland, der hier schon den kulturhistorischen Post Charlemagne hat, lassen wir jetzt mal weg. Beim Freimarkt bekommt der regelmässig ein Lebkuchenherz mit Ischa Freimaak verpasst. Den Satz Buten un binnen, Wagen un Winnen hat der Bürgermeister Otto Gildemeister gedichtet, das steht seit 1899 auf einer Tafel am Schütting, dem Sitz der Kaufmannschaft.

Aber was bedeutet dieser Satz Bremen wes bedechtich, lat nich mer in, du seist ihrer mechtich? Wen soll man nicht in die Stadt lassen? Sind das Zuzugsrechte? Ausländer raus? Der Satz ist alt, ganz alt. Wir müssen einige Jahrhunderte zurückgehen, um ihn zu verstehen. Zurück ins 16. Jahrhundert. Der Satz hat etwas mit Holland zu tun, das 1526 der größte Handelspartner Bremens ist. Aber aus Holland kommen nicht nur Waren in die Hansestadt, aus Holland kommt auch Heinrich von Zütphen, der die Reformation nach Bremen bringt. Nachdem er auf der Durchreise in Bremen eine Predigt gehalten hat, lädt man ihn ein, in Bremen zu bleiben. Man weiß nicht mehr, was er predigte, aber man kennt das Datum: es war der 9. November 1522. Wieder einmal so ein Schicksalstag dieser 9. November. Zütphen zieht nach einiger Zeit weiter und wird in Holstein ermordet. Aber die Reformation ist da und mit ihr die Glaubenskämpfe zwischen Lutheranern und Reformierten, die sich gegenseitig aus der Stadt vertreiben wollen. Es ist wieder ein Holländer namens Albert Rizäus Hardenberg, der Domprediger wird und den Rat spalten wird. Einen Bildersturm haben wir auch gehabt, dafür wird Christoph Pezel sorgen. Der ehemalige Direktor des Focke Museums und Bremer Landesdenkmalpfleger Werner Kloos führt das Kunstbanausentum der Bremer auf den Bildersturm von Pezel zurück: Die Verarmung des bremischen Kunstbesitzes rührt aus jener Zeit, jedoch auch eine gewisse allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den Werten künstlerischer Aussage.  Zu diesem Thema steht schon viel in dem Post Bremer Klausel. Es ist ein religiöser Kampf, der erbittert geführt wird, Bremen wird deshalb auch aus der Hanse ausgeschlossen. Die Formen, die der Kampf in Münster annahm, wo man die Leichen der Wiedertäufer Jan van Leiden, Bernd Knipperdolling und Bernd Krechting am Turm von St. Lamberti aufhängte, hat er in Bremen aber nicht angenommen.

Der Satz, dass Bremen bedächtig sein soll, steht auf einem Wappenstein aus dem Jahre 1562, den der Bremer Bürgermeister Daniel von Büren, der in Wittenberg bei Martin Luther und Philipp Melanchthon studiert hatte, am Herdentor hat setzen lassen. Es ist ein fremdenfeindlicher Stein.1562 haben die Reformierten gesiegt. Diese Stein sagt auf gehässige Weise den Lutheranern Tschüss. Ein großer Teil der lutherischen Ratsmitglieder, fünf Pfarrer und drei Bürgermeister verließen die Stadt, vermoegende und ansehenliche luide. Durch die diplomatischen Bemühungen von Bürens kommen die vertriebenen Lutheraner 1568 nach Bremen zurück. Sie werden siebzig Jahre später den Dom (dank Friedrich von Dänemark) als Pfarrkirche erhalten, der Rest von Bremen gehört den Reformierten. Bremens Bürgermeister Johan Smidt, hat sich, als er mit Boehlendorff nach Italien reiste, noch schnell in der Schweiz calvinistisch ordinieren lassen. Smidt ist im 19. Jahrhundert immer noch da, wo man im 16. Jahrhundert war. Er hasst die Lutheraner und die Juden und wird es noch schaffen, bis zum Jahre 1830 der lutherischen Domgemeinde den Status einer Gemeinde (inklusive ihres Vermögens und Grundbesitzes) vorzuenthalten. 

Meinen Heimatort Vegesack betraf das alles nicht. Zum dreihundertsten Jahrestag der Reformation am 31. Oktober 1817 schlossen sich da Reformierte und Lutheraner nach preußischem Vorbild zu einer Gemeinde zusammen: ein Gott, ein Christus, eine Gemeinde steht über der Tür der klassizistischen Kirche. Aber das war kein Vorbild für den Rest Bremens, 1840 und 1845 gab es wieder einen Kirchenstreit. Das, was zur Zeit von Daniel von Büren begonnen hatte, dieser Streit zwischen Reformierten und Lutheranern, geht durch Jahrhunderte weiter. Niemand ist dabei bedächtig. Bei der Gründung der Bundesrepublik wird man deshalb die Bremer Klausel ins Grundgesetz schreiben, damit es einen bekenntnisfreien Religionsunterricht geben kann. 

Der Wappenstein mit dem Bremen wes ghedechtich  late neict mer in dv beist öhrer mechtich anno domini 1562 ist heute im Focke Museum zu sehen. Repliken davon sind an einigen Bremer Schulen angebracht. Es gibt beim Bremer Weser Kurier auf der Seite WK Geschichte eine interessante Seite zu dem Wappenstein. Das war früher der Blog Bremen History, der leider eingegangen ist, aber jetzt beim Weser Kurier eine neue Heimat gefunden hat.

Lesen Sie auch: Bremer Klausel, Reformationstag, Glasfenster, Pastoren

Mittwoch, 12. Februar 2025

Chronometer

Die Observatorien von Neuchâtel, Genf und Kew, die seit dem 18. Jahrhundert bestanden, haben neben dem Beobachten von Sternen auch Uhren getestet. Spätestens als John Harrison dem Board of Longitude die erste genaue Uhr der Welt lieferte (die Larcum Kendall nachbaute), wussten sie, dass sie in der Zukunft nicht nur Sterne beobachten würden. England brauchte genau gehende Marinechronometer, um die Seeherrschaft zu gewinnen. Das Britannia rule the waves verdankt England seinen Uhrmachern. Zuerst kamen nur Taschenuhren zur Prüfung, die als Marinechronometer bei der Flotte Einsatz fanden. Die hatten noch keine Ankerhemmung, die die Uhren heute haben, die hatten eine Chronometerhemmung. Wie diese Hemmung funktioniert, können Sie hier im Modell sehen. Nach den Uhren mit Chronometerhemmung kamen die sogenannten Halb-Chronometer. Das waren Uhren mit Schweizer Ankerhemmung und einer sehr großen Kompensationsunruhe, die in verschiedenen Lagen feingestellt waren. Der Begriff half-chronometer taucht in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf.

In Deutschland wurden die Marinechronometer bei der 1874 gegründeten Deutschen Seewarte in Hamburg geprüft. Hier lieferten die Chronometermacher aus →Hamburg, →Glashütte und →Kiel ihre Uhren zur Prüfung an. Was die Firmen für die Prüfung einreichten, sah häufig nicht wie eine normale Uhr aus. Dies ist ein Movado Marinechronometer, der 1927 die höchste Genauigkeit erreichte. Werte, die meine beiden Movados nie erreichen werden, weder die 28-steinige Kingmatic noch der goldene alte Movado Celestograph.

Die Prüfung für Armbanduhren war für die Sternwarten lange Zeit kein Thema. Zwar ließen seit den 1920er Jahren immer wieder einzelne Hersteller, wie zum Beispiel Rolex, Einzelstücke und kleine Mengen von Uhren zu Werbezwecken testen, aber die umkämpften jährlichen Genauigkeitswettbewerbe in Neuchâtel begannen erst 1945. Zu diesen Wettbewerben reichten die Firmen nur kleine Zahlen von Uhren ein, häufig immer wieder dasselbe Werk. Max Studer, der Regleur und Technische Direktor von Patek, hat diese Uhren einmal als hochgezüchtete Formel 1 Renner bezeichnet. Das war die große Zeit von Omega mit ihrem Omega 30 T2 und Zenith mit dem Kaliber 135, die belegten immer die ersten Plätze. Rolex war da nie zu sehen, Hans Wilsdorf war beleidigt und stieg aus den Wettbewerben aus. Sagte, dass er nur noch in Kew prüfen lassen würde. Solche in Kew geprüfte Uhren hat es zwar gegeben, aber es waren in den meisten Fällen Einzelstücke.

Die Wettbewerbe in Neuchâtel fanden 1968, kaum dass sie bgonnen hatten, ein Ende, niemand weiß so Recht warum. Es wurde geargwöhnt, dass die Schweiz befürchtete, dass Seiko, die ab 1963 an den Wettbewerben teilnahmen, die ersten Plätze einnehmen würde. 1965 hatten drei Seiko Werke den Titel Chronometer bekommen, es reichte nur für den 114. Rang. Allerdings konnte Daini Seikosha einen sechsten Platz in der Gesamtwertung aller Hersteller erringen. 1966 qualifizierten sich 32 Seiko Werke, von denen das beste auf Rang neun kam. Daini Seikosha belegte in der Herstellerwertung den dritten Platz. Ein Jahr später waren Daini Seikosha und Suwa Seikosha mit ihren Uhren auf den Plätzen zwei und drei. Dass sich die Schweiz jetzt vor den Japanern fürchtete, was nur berechtigt. Aber wahrscheinlich lag der Abbruch an einem anderen Grund. Und das waren die Quarzuhren, die man zugelassen hatte, die natürlich jeden mechanischen Chronometer schlagen würden. Einen solchen Wettbewerb führen zu wollen, hieße Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
 
Die Japaner reisten nicht ab, sie glaubten an das per aspera ad astra. Und wechselten von Neuchâtel nach Genf, wo immer noch Chronometerwettbewerbe stattfanden. Die eigentlich nur für in Genf ansässige Firmen vorgesehen waren. Die kleine Sternwarte auf dem Rücken der Omega Constellation zeigt die Genfer Sternwarte, weil Omega damals eine Niederlassung in Genf hatte. Deshalb konnten sie auch eine Modell Geneve herausbringen. Wie Seiko es geschafft hat, in Genf zugelassen zu werden, weiß ich nicht. Aber der Wechsel von Neuchâtel nach Genf war eine gute Entscheidung, denn die Uhrmacherin Kyoko Nakayama wurde für das Werk, das sie einreguliert hatte, ausgezeichnet. Sie war die erste Frau, die an einem Schweizer Observatorium eine solche Auszeichnung erhalten hatte. Es war bisher eine Männerwelt gewesen, in der Regleure wie Alfred Jaccard (Omega), Ephrem Jobin (Zenith) und André Zibach  (Patek) einen Starstatus hatten. Nun sind auch Frauen dabei. Das japanische Arbeitsministerium verlieh Kyoko Nakayama 1971 den Titel Great Craftsperson in the Present World. Ihre Firma schenkte ihr eine Grand Seiko 62GS. Das fünfeckige Kaliber R-67 Uhrwerk, das sie 1968 einreguliert hatte, und all ihre Werkzeuge, mit denen sie gearbeitet hatte, sind heute im Seiko Museum zu besichtigen.

1968 war auch ein gutes Jahr für Daini Seikosha, die ihr neu entwickeltes Handaufzugswerk Kaliber 4500 (ein Verwandter des Kalibers 54 der Cronos) nach Genf brachten. Zwar erreichte ein Drittel der Uhren nicht die Bedingungen, aber der Rest bekam ein Zertifikat. Die Uhren wurden in Japan in Goldgehäuse eingeschalt und hatten Astronomical Chronometer Officially Certified auf dem Zifferblatt. Astronomisch war auch ihr Preis, die Uhren kosteten ein Mehrfaches einer Grand Seiko. Das Wort astronomisch stand deshalb auf der Uhr, weil Neuchâtel damals den Namen Observatoire Astronomique et Chronometrique de Neuchâtel führte. Die Uhren, die die Chronometernorm verfehlten, waren allerdings in Japan in hauseigenen Tests genau gegangen. Was war passiert? Wahrscheinlich hatten sich auf der langen Flugreise die Unruhspiralen magnetisiert, dieses Risiko bestand sogar bei Nivarox Spiralen immer. Bei den neuen Nivachron Spiralen soll eine Magnetisierung ausgeschlossen sein. 

In dem Konkurrenzkampf der Seiko Töchter hatte jetzt Daini Seikosha die Nase vorn. Das begann mit der King Seiko 44-9990, die viele Sammler heute für die schönste und beste Seiko halten. Daini nahm dieses Werk als Basis und erhöhte die Zahl der Halbschwingungen der Unruhe auf 36.000. Normalerweise haben Schnellschwinger eine ganz kleine Unruhe, aber Daini behielt die Größe der Unruhe des Kalibers 44 bei und setzte stattdessen auf eine enorm starke Feder. Fachleute empfehlen dem Sammler daher, die Uhr nicht ganz aufzuziehen. Bei Schnellschwingern, die mit einem speziellen Öl versehen sind, besteht immer die Gefahr, dass die Federkraft Zacken aus den Zahnrädern heraushaut.

Daini Seikosha baute dieses Werk von 1968 bis 1974, es war das letzte Handaufzugswerk der Firma. Es war auch das letzte Werk der Firma, das von Hand gebaut worden war, danach kam die Automatisierung der Herstellung. Das Werk fand sich nicht nur in der King Seiko, sondern auch in der Grand Seiko 45GS. Das Werk gab es in verschiedenen Qualitätsstufen, manche hatten Chronometer oder VFA (Very Fine Adjusted) auf dem Zifferblatt. Da, wo Chronometer draufsteht, ist nach fünfzig Jahren auch noch Chronometer drin. Meine 45KS, die hier schon im Januar auftaucht, würde heute noch so ein Bulletin de Marche bekommen.

Ich sah die Uhr bei kleinanzeigen, wo sich manchmal interessante Uhren finden. Der Preis für die wirklich seltene Uhr war fair, aber ich wollte sie nicht kaufen. Ich schrieb aber den Verkäufer an und gab ihm die Adresse meines Uhrenblogs, in dem schon viele Seikos waren. Der Blog gefiel ihm, und wir kamen ins Gespräch. Ich wollte den Seiko Chronometer immer noch nicht kaufen, er war teurer als mein Zenith Chronometer oder der Eterna Chronometer. Ich hatte mir eine Obergrenze gesetzt, und ich wollte ja auch keine Uhren mehr kaufen. Der nette Verkäufer sah mein Dilemma. Und er machte etwas Erstaunliches, er setzte den Preis, der eigentlich schon viel zu niedrig für diese Seiko in einem erstklassigen Zustand war, noch einmal herunter.

Den Preis hätte er niemand anderem gemacht, aber nachdem er sich durch den halben Uhrenblog gelesen und auch SILVAE nicht ausgelassen hatte, wusste er, dass sie Uhr in guten Händen war. Das mit den guten Händen sagen sie bei dem blöden Horst Lichter auch immer, und wir wissen, dass es eine Lügenfloskel ist. Nirgends wird über Uhren so gelogen und soviel Unsinn erzählt wie bei Lichter. Die 45KS hat natürlich noch ein Goldplättchen auf dem Boden, manche von den späteren 45KS haben das nicht mehr. Die Uhr ist jetzt an einem hellgrünen Krokoband von Cornelius Kaufmann, das habe ich mal billig vor Jahrzehnten von einem Händler bekommen. Bei dem Preis, den ich damals für eine Handvoll Bänder der Premium Kollektion (Swiss Made) bezahlt habe, vermute ich immer noch, dass die von einem Lastwagen gefallen waren. Ich bin dem Marcel dankbar, dass ich diese Uhr gekriegt habe, die es außerhalb Japans kaum geben wird. Er ist schon ein klein wenig traurig, dass er die Uhr verkauft hat, aber es tröstet ihn, dass sie jetzt wirklich in guten Händen ist. 

Samstag, 8. Februar 2025

Schwarz-Weiß-Film


Vor hundertzwanzig Jahren war Thomas Dixon, Jr. in Amerika ein berühmter Mann. Er war der bekannteste Baptistenprediger des amerikanischen Südens, und auch im Norden bewunderte man seine rhetorische Begabung: He can whirl words and ideas at an audience as few men can ... He spoke on the 'New America' before an audience that nearly filled the opera house. The people held their breath and listened, they clapped their hands, they laughed and sometimes some of them cried a little, and when the lecturer ... after a magnificent close, bowed himself off the platform, they felt wronged that they had paid fifty cents apiece to hear so short an address; then they looked at their watches to find that they had been listening two hours. Heute kennt ihn, wie man umgangssprachlich so schön sagt, kein Schwein mehr. Und diejenigen, die mit dem Namen etwas anfangen können, haben nur Spott und Verachtung für den Rassisten aus dem Süden übrig.

Als ihm die Wake Forest University einen Ehrendoktortitel verleihen wollte, hat er das abgelehnt und stattdessen einen Freund aus seinen Studientagen an der Johns Hopkins Universität vorgeschlagen. Den Namen Woodrow Wilson hatte damals noch niemand gehört. Dem wird Dixon später auch seinen Roman The Southener widmen: dedicated to our first southern-born President since Lincoln, my friend and collegemate Woodrow Wilson. Es ist für ihn wichtig, dass Wilson aus dem Süden kommt, denn Thomas Dixon ist auf der Welt, um die Ehre des Südens zu retten. Die Ehre des Süden basiert nach Mark Twain auf exzessiver Lektüre von Sir Walter Scott. Für Dixon ist die Ideologie des Lost Cause zur Religion geworden. Wir sollten vielleicht noch erwähnen, dass sein Vater Sklavenhalter und Ku Klux Klan Mitglied war.

Als er noch Prediger war, hatte er einmal Uncle Tom's Cabin auf einer Bühne gesehen. Für ihn war das eine Beleidigung des Südens: Finally, when the performance was over, he rose with tears in his eyes and vowed bitterly that he would someday tell the 'true story' of the South. Die einzig wahre Geschichte des amerikanischen Südens steht nach Meinung von Dixon, der im vorletzten Jahr des Bürgerkrieges geboren wurde, in seiner Trilogie von Romanen. Die The Leopard's SpotsThe Clansman und The Traitor heißen. Amazon bietet die drei Romane heute als The Reconstruction Trilogy an, das klingt unverfänglich. Der Titel von The Leopard's Spots bezieht sich auf Jeremiah 13:23: Can the Ethiopian change his skin, or the leopard his spots? then may ye also do good, that are accustomed to do evil. Und für Dixon bedeutet das - und das ist die Botschaft des Baptistenpredigers und seine true story of the South - dass alle Schwarzen Untermenschen sind: .. no amount of education of any kind, industrial, classical or religious, can make a Negro a white man or bridge the chasm of centuries which separate him from the white man in the evolution of human nature.

Wir lassen solch rassistischen Aussagen einmal unkommentiert, sie würden wahrscheinlich auch noch heute in manchen Teilen Amerikas auf Zustimmung stoßen. Ich bleibe mal einen Augenblick bei dem Romanautor Dixon. Der gar kein wirklicher Romanautor sein will, das Schreiben von Romanen ist für ihn nur ein Vehikel, um seine Botschaft ans Volk zu bringen. I have made no effort to write literature. I had no ambitions to shine as a literary gymnast. My sole purpose in writing was to reach and influence the minds of millions. I had a message and I wrote it as vividly and simply as I could. Millionen von Amerikanern werden Dixon lesen, The Clansman kann man heute noch kaufen oder hier beim Project Gutenberg (die auch noch andere Werke von Dixon gespeichert haben) lesen. Nicht, dass es sich lohnen würde, das zu tun. Viele von den Bestsellern dieser Zeit sind heute zu Recht vergessen. Owen Wisters The Virginian, der Teddy Roosevelt gewidmet war, hat überlebt. Edith Whartons The House of Mirth auch. Wie eben erstaunlicherweise auch The Clansman, das Dixon seinem Onkel gewidmet hatte: My Uncle, Colonel Leroy Mcafee Grand Titan of the Invisible Empire Ku Klux Klan.

Ich hätte darauf verzichten können, Thomas Dixon aus seiner literarischen Gruft hervorzuholen, wenn nicht heute vor einhundertzehn Jahren der Film The Birth of a Nation von David Wark Griffith in Los Angeles vor 2.500 Zuschauern aufgeführt worden wäre. Der Film sollte zuerst The Clansman heißen, weil Dixons Roman die Basis für den Film war. Der, so ideologisch katastrophal wie er ist, eines der größten Filmkunstwerke des 20. Jahrhunderts ist. He achieved what no other known man has achieved. To watch his work is like being witness to the beginning of melody, or the first conscious use of the lever or the wheel; the emergence, coordination and first eloquence of language; the birth of an art: and to realize that this is all the work of one man, hat James Agee nach dem Tod von Griffith 1948 in The Nation geschrieben. 1992 entschied die Library of Congress, dass der Film culturally, historically, or aesthetically significant sei und nahm ihn in die National Film Registry auf. 

Der dreistündige Film war der erste Blockbuster Hollywoods und der erste Film, der im Weißen Haus gezeigt wurde. Für den Präsidenten Woodrow Wilson (dem sein Freund Thomas Dixon diese Aufführung vermittelt hatte) war es like writing history with lightning. Es ist aber etwas umstritten, ob er das wirklich gesagt hat. Für einen Teenie aus Atlanta namens Margaret Mitchell war der Film die Keimzelle für ihren Roman Gone with the Wind. Der Film wurde umgehend in einzelnen Bundesstaaten der USA verboten. Und der Regisseur David Wark Griffith nahm sich die Proteste so zu Herzen, dass er sofort den Film Intolerance drehte. 

Der Regisseur David Wark Griffith kam wie Thomas Dixon aus dem Süden, sein Vater war Colonel in der Südstaatenarmee gewesen, ein paar Sklaven hatte die Familie auch gehabt. Griffith konnte sich noch an einige erinnern. Aber die Familie ist arm, der Ex-Colonel ist ein Säufer. Die Familie Griffith ist das, was man bösartig als poor white trash bezeichnet. Teile von dem, was ideologisch im Kopf von Dixon vorging, wird Griffith auch im Kopf gehabt haben. Also, diese Sache mit dem lost cause des Südens. Den Bestseller der Südstaaten When Knighthood Was in Flower hatte Griffith auch schon in einem Kurzfilm verarbeitet. Dass er mit The Birth of a Nation, den er in vier Monaten gedreht hatte, Ärger haben würde, wusste Griffith. Verschiedene Versionen des Films zeigten am Anfang eine Tafel mit diesem Text: A plea for the Art of the Motion Picture: We do not fear censorship, for we have no wish to offend with improprieties or obscenities, but we do demand, as a right, the liberty to show the dark side of wrong, that we may illuminate the bright side of virtue—the same liberty that is conceded to the art of the written word—that art to which we owe the Bible and the works of Shakespeare and if in this work we have conveyed to the mind the ravages of war to the end that war may be held in abhorrence, this effort will not have been in vain.

Der Literaturkritiker Leslie A. Fiedler hat in seinem Buch The Inadvertent Epic (1979) Thomas Dixon in einen größeren Zusammenhang gestellt. Für Fiedler sind die Romane Dixons Teil eines nationalen Epos: understood as a single work, composed over more than a century, in many media, and by many hands, these constitute a hitherto unperceived Popular Epic. Die anderen Bestandteile dieses synthetischen Epos sind neben Dixons Romanen und Griffith' Film, Harriet Beecher Stowes Uncle Tom's Cabin, Margaret Mitchell Gone with the Wind und Alex Haleys Roots und die gleichnamige Fernsehserie. Dieser originelle Gedanke ist von Fiedler in den prestigeträchtigen Massey Lectures vorgetragen worden, und Fiedler zeigt sich hier als the wild man of American literary criticism wieder einmal von seiner besten Seite. Ich habe Thomas Dixon gelesen, ich würde es kein zweites Mal tun. Den Film von Griffith (der auf DVD erreichbar ist) würde ich mir aber jederzeit wieder ansehen. Schauen Sie sich hier einmal den Film an, das ist aufregendes Kino, wenn man bedenkt, dass The Birth of a Nation hundertzehn Jahre alt ist. In dem Film ist alles drin, die Schlacht von Gettysburg, die Kapitulation von General Lee und die Ermordung von Präsident Lincoln. Und die bösartigen Schwarzen sind alle schwarz angemalte weiße Schauspieler.

Woodrow Wilson, der erste amerikanische Präsident, der The Birth of a Nation im Weißen Haus sah, äußerte sich sein Leben lang rassistisch über Schwarze. Als Präsident von Princeton sorgte er dafür, dass kein farbiger Student einen Studienplatz bekam. Als Präsident der USA sorgte er dafür, dass kein Farbiger einen Spitzenjob in der Verwaltung erhielt. Rassentrennung und die Verbreitung des Mythos vom lost cause waren das größte Ziel des ersten Präsidenten aus den Südstaaten seit dem Bürgerkrieg. In seinem Buch A History of the American People fand er großes Verständnis für den Ku Klux Klan: The white men of the South were aroused by the mere instinct of self-preservation to rid themselves, by fair means or foul, of the intolerable burden of governments sustained by the votes of ignorant negroes and conducted in the interest of adventurers; (…) Every country-side wished to have its own Ku Klux, founded in secrecy and mystery like the mother ‘Den’ at Pulaski, until at last there had sprung into existence a great Ku Klux Klan, an ‘Invisible Empire of the South’, bound together in loose organization to protect the southern country from some of the ugliest hazards of a time of revolution. Solche Zitate sind als Bildtafeln in den Film hineingewandert. Das sind natürlich Sätze, die Griffith gefallen haben, der über seinen Film sagte: ... the Civil War was fought fifty years ago. But the real nation has only existed in the last fifteen or twenty years . . . The birth of a nation began . . . with the Ku Klux Klan, and we have shown that. Auf jeden Fall. Der Ku Klux Klan, den man schon vergessen glaubte, bekam nach dem Film neue Konjunktur. Der Rassenhass auch.

A Hundred Years Later, 'The Birth of a Nation' Hasn’t Gone Away betitelte 2015 die Historikerin Allyson Hobbs ihren kurzen Artikel im New Yorker. Nein, der Film geht nicht weg. Da kann man mit Lady Macbeth ausrufen: Out, damned spot! Out, I say! Was Allyson Hobbs nicht im Traum eingefallen wäre, ist die Tatsache, dass Donald Trump, gerade wenige Monate im Amt, den Film am Osterfest 2017 vor dem Weißen Haus gezeigt hat. Und dazu gesagt hat: It is a great film about our great country. It’s a great way to celebrate our Christian heritage. Was der erste Satz mit dem zweiten zu tun hat, weiß ich wirklich nicht. Über den rassistischen  Präsidenten, der diesen Film 1915 im Weißen Haus zu sehen bekam, sagte Trump: Wilson was a winner, and when he was president America was winning. And I’m a winner too, so now that I’m president we will win again too. Bigly. Und über den rassistischen Inhalt des Films hatte Trump auch etwas zu sagen: I am the least racist person there is. Nobody respects minorities more than me. Wer würde ihm widersprechen?

Dienstag, 4. Februar 2025

The Gulf of Mexico


Heute heißt Country Music nicht mehr Johnny Cash, sondern Taylor Swift. Aber die muss jetzt vorsichtig sein, Donald Trump hasst sie. I hate Taylor Swift, konnte man in den asozialen Medien lesen. Es gab eine schnelle Antwort von Ana NavarroDonald Trump has lost what little sanity he had left. Taylor Swift broke him. Kaum hatte Swift sich für Kamala Harris ausgesprochen, da tauchte in den Medien dieses Bild auf. Die Lügenmaschine der Trump Fans war wieder bei der Arbeit gewesen. Für so etwas ist Künstliche Intelligenz gut, wahrscheinlich für nichts anderes. Da wir beim Thema Musik sind: Donald Trump spielt im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger (lesen Sie mehr in I hear America Singing) kein Instrument. Aber er liebt Country Music, vor allem, was der 82-jährige Lee Greenwood singt. Dessen Lied God Bless the USA hatte Trump ja schon in seine Bibel aufgenommen, wahrscheinlich wird es demnächst die Nationalhymne der USA. Bei Trumps Amtseinführung sang die Country Sängerin Carrie Underwood das Lied America the Beautiful, aber von beautiful konnte bei ihrem Gesang keine Rede sein. Wäre Kamala Harris Präsidentin geworden, hätte wahrscheinlich Taylor Swift im Weißen Haus gesungen. Bei der Gala für Jimmy Carter im Januar 1977 hatte Aretha Franklin God Bless America gesungen, die Crème de la Crème von Pop und Country war an diesem Abend da. Auch bei Joe Bidens Inauguration gab es viel musikalische  Exzellenz. Donald Trump hat nur diesen Greenwood und den traurigen Rest der Country Music.

Country & Western Musik war von Anfang an in diesem Blog, das begann 2010 mit dem Post Grand Ole Opry, die anderen Posts liste ich mal da unten auf. Über diese amerikanische Musik habe ich schon vor dreißig Jahren zwei Aufsätze in der Zeitschrift Studies in the Western von Peter Bischoff geschrieben. Ich hatte schon eine Menge C&W im Kopf, bevor ich zu bloggen begann. Ich bin dank AFN und BFN mit amerikanischer Musik aufgewachsen, meine Heimatstadt Bremen war amerikanisch besetzt. Die ersten Jahre im Gymnasium hatte ich dank eines Austauschprogramms einen amerikanischen Englischlehrer. Dass John und Alan Lomax Amerikas Lieder aufgezeichnet haben, das wusste ich schon früh. Dass Moses Asch das Label Folkways gegründet hatte, wusste ich auch. Freunde in Amerika schickten mir die LPs zu. Für die ich 1960 beim Hauptzollamt Bremen immer argwöhnisch angeguckt wurde: genügt Dir denn die deutsche Musik nicht, dass Du sowas importieren musst? 

Als der junge Moses Asch in den dreißiger Jahren ein Interview mit Albert Einstein mit seinem Tonbandgerät aufnehmen sollte, sagte der Mathematikstudent in der Kaffeepause des Interviews, dass er eigentlich viel lieber die Volksmusik Amerikas aufzeichnen sollte;  es wäre doch ein schönes Unternehmen, das alles mit der neuen Technik aufzuzeichnen. Und da sagt Einstein: ... mach das, das Gerät, das Du da hast, das ist die Zukunft. Arbeitslose Mathematiker gibt es schon genug. Und er fügt hinzu: You're exactly right. Americans don't appreciate their culture. It'll be a Polish Jew like you who will do the job. Nach dem Tode von Asch im Jahre 1986 wird die Smithsonian Institution das Label Folkways kaufen, so dass das nationale musikanische Erbe Amerikas gesichert ist. Heute heißt Folkways Folkways/Smithsonian. Aus dem kleinen Label von Moses Asch ist ein riesiges Museum amerikanischer Folklore geworden.

Es gibt kleinere Labels wie Rounder Records, die mal Blues, Blues-Rock, Stringbands und Bluegrass anfingen, sie haben heute tausende von Titel im Programm. Auch sie sind schon ein kleines Museum amerikanischer Folklore. Und dann gibt es solche Labels, die sich auf die Wiederveröffentlichung spezialisiert haben und sehr schöne Zusammenstellungen herausbringen. Wie Bear Family Records (die erstaunlicherweise nicht in Nashville oder Bakersfield sitzen, sondern in der Nähe von Bremen ihre Heimat haben). Heute gibt es hier bei mir Clint Black, denn der hat heute Geburtstag. Er war in den neunziger Jahren ein Star, hatte dreizehn Titel auf Platz Eins der Billboard Country Songs. Sein Lied The Gulf of Mexico war auf seiner zweiten Platte Put Yourself In My Shoes, die 111 Wochen in den Charts war.

The Gulf of Mexico

The Texas coastline hold her
Close just like a lady
And in their time they've
Weathered a storm or two.
The river feed her waters like
I feed your memory.
The deeper I go the more I'm turning blue.
The sandy beaches drift in time
And the changing tide I know
Won't bring me back to yesterday
And the Gulf of Mexico.
The sails out on the water will
Come take you away.
When your ship comes in I know its time to go
And the waves along the seawall
Tell me nothings here to stay
And no man is an island but I'm still all alone.
I'm weighing anchors from the past
As the south winds start to blow
Sailing out of yesterday
And the Gulf of Mexico.
I'll be sailing out of yesterday
And the Gulf of Mexico.

Ja, damals durfte man noch Lieder über den Golf von Mexiko singen. Rod Stewart und Bruce Springsteen haben das auch getan. Heute heißt der Golf nicht mehr so. Hat Donald Trump gesagt. All diese schönen Popsongs wird irgendwann keiner mehr verstehen, titelte die Welt zu diesem Thema. Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum schlug nach Trumps Namensänderung vor, den Süden der USA América Mexicana zu benennen. So hieß er einmal auf den Weltkarten des 17. Jahrhunderts: Warum nennen wir es nicht mexikanisches Amerika? Klingt gut, nicht wahr? Wir warten mal ab, was daraus wird. Und lassen einmal Dolly Parton ein patriotisches Lied singen. Das hat nur eine Strophe, aber Donald Trump hat das noch nie hingekriegt.

Lesen Sie auch: Emmylou, Emmylou Harris, Jackson, Traumpaare, Grand Ole Opry, All I NeedTownes van Zandtein anderes Amerika, Jessi Colter, Jessi, Waylon Jennings, Country Roads, Kris Kristofferson ✝, Patsy Cline, Johnny Cash, Richard Nixon, The One on the Right Is on the Left, Volver, volver, Hank Williams, The Yellow Rose of TexasWarren Oates

Sonntag, 2. Februar 2025

Mina Loys Ulysses


Am 2. Februar 1922 erschien der Roman Ulysses von James Joyce. Wenn Sie den Romantitel mit dem Pfeil und dem irischgrünen Feld anklicken, sind Sie schon drin in Dublin, denn ich habe einen englischen Volltext für Sie. Der Penguin Verlag bietet hier auf 85 Seiten eine Leseprobe der deutschen Übersetzung von Georg Goyert aus dem Jahre 1927 an, das ist immerhin ein Zehntel des Romans. Und hier können Sie den Anfang des Romans in der Übersetzung von Hans Wollschläger aus dem Jahre 1973 lesen. Wollschlägers Übersetzung gibt es bei ebay ab 3,33€. Sie ist fehlerhaft und umstritten, aber eine korrigierte Version durfte dank einer Krimiautorin, die die Rechte an dem Text besitzt, nicht veröffentlicht werden. Sie können aber hier das Vorwort zu diesem nicht zugänglichen Text lesen. Und das erste wichtige Buch zum Ulysses von Stuart Gilbert aus dem Jahre 1930 habe ich hier auch noch im Volltext für Sie.

Den Tag des Erscheinens seines Romans hatte Joyce selbst bestimmt, es war sein vierzigster Geburtstag. Er feierte seinen Geburtstag am Abend mit Nora Barnacle (die er immer noch nicht geheiratet hatte) in dem italienischen Restaurant Ferrari's. In Richard Ellmans →Biographie (hier auch im Volltext) können wir lesen: He had brought with him a package containing his copy of 'Ulysses', and placed it under his chair. Nora remarked that he had thought about the book for sixteen years, and spent seven years writing it. Everyone asked to see it opened, but he seemed to shrink from producing it. After the dessert he at last untied the parcel and laid the book on the table. It was bound in the Greek colours - white letters on a blue field - that he considered lucky for him, and suggesting the myth of Greece and Homer, the white island raising from the sea. There was a toast to the book and its author which left Joyce deeply moved. 

Es gab an dem Abend erst zwei Exemplare des Buches, die vorab gedruckt und gebunden waren. Der Drucker Maurice Darantiere
hatte sie mit dem Schnellzug von Dijon nach Paris geschickt. Die anderen 998 Bücher waren noch nicht gedruckt. Sylvia Beach hatte die Bücher am Bahnhof abgeholt. Eins schickte sie mit dem Taxi zu James Joyce, das andere legte sie in das Schaufenster ihres Ladens. Eine Erstausgabe mit der Signatur von Joyce kostet heute 300.000 Euro. Zur Hundertjahrfeier des Ereignisses gab  es in diesem Blog am 2. Februar 2022 den Post Hundert Jahre 'Ulysses'. Auf dem Photo von Gisèle Freund im oberen Absatz trägt Joyce eine Armbanduhr, aber ich weiß nicht, von welcher Firma die Uhr ist. Angeblich soll Joyce immer mehrere Uhren bei sich gehabt haben, die alle verschiedene Zeiten anzeigten. Im Text von Ulysses findet sich der Satz: Very strange about my watch. Wristwatches are always going wrong. Wahrscheinlich trägt er deshalb eine Armbanduhr. Was bedeutet dem Genie schon Zeit? Er hätte sich für das Ereignis eine neue Uhr kaufen können, so etwas hätte ich getan. Aber er kauft sich einen neuen Ring. Auf den Photos von Gisèle Freund kann man seine Ringe sehen.

Heute habe ich zur Feier des Tages ein Gedicht von Mina Loy (hier im Bild), das den Titel James Joyce's Ulysses hat. Wenn man will, kann man den Titel auch als James Joyce is Ulysses lesen. Die Modernisten sind gut mit kleinen Wortspielen, James Joyce zeigt uns das auf jeder Seite. In einem Interview aus dem Jahre 1965 wird die 83-jährige Mina Loy sagen: I knew Joyce quite well, this was the time—I don’t know how they managed to get any printed. I’ve forgotten all that story. [Isn’t that the Sylvia Beach story? Yes, and . . . ] He had a terrible wife. Das mit dem terrible wife hat James Joyce nicht so gesehen, für ihn war Nora Barnacle seine Muse, auch wenn er siebenundzwanzig Jahre brauchte, um sie zu heiraten. Er hat sie als Molly in den Ulysses geschrieben.

Mina Loy, die Joyce auch gezeichnet hat, hat noch ein zweites Gedicht auf Joyce geschrieben, das Apology of Genius heißt. Sie und James Joyce haben sich nicht häufig getroffen. Aber sie standen sich nahe mit dem, was sie wollten und waren immer in Verbindung: What was Joyce like? He had a nice gentle smile, and I don’t know what basis our friendship was on, wird sie im Alter sagen. Sie hatte ihn 1965 beinahe vergessen. Aber dass sie das Gedicht James Joyce's Ulysses geschrieben hatte, das wusste sie noch, sie hat es in dem Interview vorgelesen (klicken Sie hier die Nummer 42 an).

Der in Paris privat gedruckte Roman Ulysses war sofort im Heimatland von Joyce (und in den USA) verboten. D.H. Lawrence wird mit seinem Roman  Lady Chatterly's Lover sechs Jahre später Ähnliches erleben. Aber es gab in England schon erste Rezensionen, so konnte man 1922 im Guardian lesen: No book has ever been more eagerly and curiously awaited by the strange little inner circle of book-lovers and littérateurs than James Joyce’s Ulysses. It is folly to be afraid of uttering big words because big words are abused and have become almost empty of meaning in many mouths; and with all my courage I will repeat what a few folk in somewhat precious cénacles have been saying – that Mr James Joyce is a man of genius. I believe the assertion to be strictly justified, though Mr Joyce must remain, for special reasons, caviar to the general. I confess that I cannot see how the work upon which Mr Joyce spent seven strenuous years, years of wrestling and of agony, can ever be given to the public. Es wird einige Zeit dauern, bis die Welt erkennt, was da am 2. Februar 1922 erschienen ist. Mina Loy hatte das sofort erkannt, James Joyce's Ulysses ist eine Buchrezension in Form eines Gedichts:

James Joyce's Ulysses

The Normal Monster
sings in the Green Sahara

The voice and offal
of the image of God

make Celtic noises
in these lyrical hells

Hurricanes
of reasoned musics
reap the uncensored earth

The loquent consciousness
of living things
pours in torrential languages

The elderly colloquists
the Spirit and the Flesh
are out of tongue

The Spirit
is impaled upon the phallus

Phoenix
of Irish fires
lighten the Occident

with Ireland’s wings
flap pandemoniums
of Olympian prose

and satinize
the imperial Rose
of Gaelic perfumes—
England
the sadistic mother
embraces Erin

Master
of meteoric idiom
present

The word made flesh
and feeding upon itself
with erudite fangs
The sanguine
introspection of the womb

Don Juan
of Judea
upon a pilgrimage
to the Libido

The press
purring
its lullabies to sanity

Christ capitalized
scourging
incontrite usurers of destiny
in hole and corner temples

And hang
The soul’s advertisements
outside the ecclesiast’s Zoo

A gravid day
spawns
gutteral gargoyles
upon the Tower of Babel

Empyrean emporium
where the
rejector-recreator
Joyce
flashes the giant reflector
on the sub-rosa



Noch mehr James Joyce in diesem Blog: Hundert Jahre 'Ulysses'Bloomsday, Abendgesellschaft, Quark, Dublin, The Lass of Aughrim, Parnell, Versäumtes, Stephen Dedalus, Molly

Freitag, 31. Januar 2025

der Januar 2025

Wird's besser? Wird’s schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich! hat Erich Kästner geschrieben. Der erste Monat des Jahres ist herum. Amerika hat einen neuen Präsidenten, wir werden jetzt jeden Tag neue Nachrichten von Donald Trump und Elon Musk aus Washington bekommen. Sollen wir darauf hören? Der Januar fing für diesen Blogger gut an, 38.694 Leser haben SILVAE angeklickt. Ich gucke immer mal in die Statistik, es ist für mich interessant, was die Leser lesen. Otto & Sohn ist die Nummer Eins der letzten Woche. Aber der meistgelesene Post der letzten vier Wochen ist mein kleiner Nachruf auf meinen Studienfreund Dr Hartmut Krüger. Sein Sohn hat einen Kommentar geschrieben, in dem steht, dass dieser Text seinem Vater gefallen hätte. Das hat mich sehr gerührt.

Auch wenn es von den Leserzahlen her ein guter Monat war, es gab kleinere Zwischenfälle im Bereich der Technik. Da war der kleine Computerabsturz, ein Fachmann musste eine Viertelstunde mit Hilfe des TeamViewer in meinem Computer herumwühlen, bis er den Fehler gefunden hatte. Und ich hatte sieben Tage kein Fernsehen, aber das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun. Inzwischen läuft alles wieder. 

Ich habe mir im Januar eine Uhr gekauft, das hätten Sie sich vielleicht schon gedacht. Es war aber doch eher ein Zufall als ein geplanter Kauf. Die Uhr wird irgendwann hier im Blog auftauchen. Es ist wieder eine Seiko, dieses Handaufzugsmodell ist wahrscheinlich die beste Uhr, die Seiko Ende der sechziger Jahre gebaut hat. Das Uhrwerk dieses King Seiko Chronometers war auch in der Grand Seiko zu finden. Und es war 1968 das einzige japanische Werk, das in Genf Zertifikate bekam. Das war ein ziemlicher Schock für die Schweizer Hersteller. Der noch größer wurde, als Seiko wenige Monate später die erste kommerzielle Quarzuhr auf den Markt brachte. 

Aber das lassen wir jetzt mal beiseite und kommen zu etwas Anderem. Heute ist der Geburtstag von Franz Schubert, einem Komponisten, der immer in diesem Blog war. Wahrscheinlich häufiger als die Uhren von Seiko. Zum ersten Mal wird Schuberts Name im Januar 2010 in dem Post Kurze Geschichte der amerikanischen Literatur genannt. Das mag jetzt etwas irritieren, aber es hat seinen Grund. Im November 1828 schreibt er an seinen Freund Schober: 
Ich bin krank. Ich habe schon elf Tage nichts gegessen und nichts getrunken, und wandle matt und schwankend vom Sessel zu Bett und zurück. Doktor Rinna behandelt mich. Wenn ich auch etwas genieße, so muß ich es gleich von mir geben. Sei also so gut, mir in dieser verzweiflungsvollen Lage durch Lektüre zu Hilfe zu kommen. Von Cooper habe ich gelesen: 'Den letzten der Mohikaner', den 'Spion', den 'Lotsen' und die 'Ansiedler'. Solltest Du vielleicht noch was von ihm haben, so beschwöre ich Dich, mir solches bei der Frau v. Bogner im Kaffeehaus zu depositieren. Mein Bruder, die Gewissenhaftigkeit selbst, wird solches am gewissenhaftesten mir überbringen. Oder auch etwas anderes. 
Dein Freund Schubert.
Das Krankenbett wird sein Totenbett sein, er hat die Winterreise fertig, hat den halben Cooper gelesen und verlangt nach mehr von Amerikas bekanntestem Schriftsteller.

Ich habe die Schubert Posts einmal zusammengestellt, von denen manche erstaunliche Leserzahlen erreicht haben. Der Post Tränenregen hat zum Beispiel mehr als fünftausend Leser, und Hans Peter Blochwitz kommt auf dreitausend Leser. Wenn man die Posts alle zusammenfügt, wäre das schon ein kleines Schubert Buch:


Montag, 27. Januar 2025

Otto & Sohn

Den Kalender links auf dem Bild hat mir meine Cousine Hannelore zu Weihnachten geschenkt. Er enthält Bilder aus dem Buch Vegesack - Leben am Fluss in den 50er und 60er Jahren, das der Buchhändler Martin Marder und Kai Rücker, der Sohn des Photographen Helmut Schröder zusammen gestaltet haben. Es ist exklusiv bei der Buchhandlung Otto & Sohn in Vegesack erhältlich. Dass dieses Buch im Entstehen war, weiß ich, weil mir Martin Mader (der schon mehrfach in diesem Blog erwähnt wurde) einige Photos aus den fünfziger Jahren geschickt hatte, die ich noch nie gesehen hatte. 

Das Buch mit den nostalgischen Photos wird das letzte Buch der Firma Otto & Sohn sein, die vor vier Jahre Fritz Theodor Overbecks Büchlein Vegesack Du schönes Städtchen wieder aufgelegt hatte. Im Sommer des Jahres wird Martin Mader die Buchhandlung in der Breiten Straße, die es seit achtundneunzig Jahren gibt, schließen. Als Mader die Buchhandlung 1992 übernahm, war sie schon nicht mehr im Familienbesitz der Ottos. Aber es gab damals noch eine Buchhandlung Otto im Ort, nämlich die von Conrad Claus Otto. Das Adreßbuch für den deutschsprachigen Buchhandel vermerkte 1958, dass es hier zu Verwechslungen kommen könnte. Die Buchhandlung von C.C. Otto habe ich schon in dem Post Catch-22 erwähnt. Der junge Conrad Claus Otto (1931-2007) hatte 1955 in der Bismarckstraße (die heute Sagerstraße heißt) eine ganz andere Buchhandlung aufgemacht, die beste des Ortes. 

Es war eine erstaunliche Buchhandlung für so ein kleines Nest wie Vegesack, sie lebte natürlich von der Persönlichkeit des jungen Buchhändlers. Der auch noch die schönste Frau unserer Schule geheiratet hatte, kaum dass die achtzehn war. Sie hatten sich bei den Proben zu Hindemiths Oper Die Harmonie der Welt kennengelernt, bei denen unser Schulchor mitwirkte (wie sie hier lesen können). Seine Frau Doris hat aus Liebe zu ihm in Lübeck eine Buchhändlerausbildung gemacht. Conrad Claus Otto war für Bremen-Nord so etwas wie Eckart Cordes in Kiel, obgleich der Kieler Kulturpreisträger vielleicht noch mehr berühmte Autoren in seine Buchhandlung gelockt hat als Conrad Claus Otto in seine. Aber immerhin hatte er 1980 zum 25jährigen Bestehen der Firma Walter Kempowski als Gast. Doris Otto hat nach seinem Tod den Laden, der inzwischen in die Gerhard Rohlfs Straße umgezogen war, noch fünf Jahre weitergeführt, aber dann musste sie aufgeben. 
 

Die Familie Otto war seit 1860 in Vegesack im Geschäft mit Büchern und Papier. Da hatte nämlich der Buchbinder Christoph Christian Otto (1831-1902) am Kleinen Markt in der Bahnhofstraße eine Buchbinderei, Papier- und Buchhandlung eröffnet. Die Bahnhofstraße, in der mein Opa mal wohnte, als er am Anfang des Jahrhunderts in den Ort kam, heißt heute Reeder Bischoff Straße; der Kleine Markt heißt heute Botschafter Duckwitz Platz. Benannt nach Georg Ferdinand Duckwitz, der hier schon in dem Post Arnold Duckwitz erwähnt wird. Die Postkarte ist hundert Jahre alt, Bäume gibt es da heute nicht mehr auf dem kleinen Platz, jetzt gibt es da einen Marktbrunnen. Die Buchhandlung, die noch bis Anfang der siebziger Jahre bestand, ist da irgendwo links auf dem Bild. Neben dem Uhrmacher Hugo Molgedei, bei dem meine Eltern mir meine Tissot Seastar gekauft haben. Ganz links, hier nicht mehr auf dem Bild, wohnte meine Tante Cilly.

Christoph Christian Ottos Sohn Albert (1905-1984) übernimmt von seinem Vater die Buchhandlung am Kleinen Markt, er wird sie bis in die 1970er Jahre behalten. 1960 gönnt sich die Firma zum hundertjährigen Bestehen noch eine kleine Festschrift. C.C. Ottos Sohn Theodor Otto (1867-1949) kauft 1905 die Buchhandlung von Carl Eduard Jantzen in der Breiten Straße. Die hatte es dort als Buchhandlung, Kunst- und Musikhandlung nebst Leihbücherei seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gegeben. Unter der Leitung von Theodors Sohn Christel Otto (1899-1966) bekommt die Jantzensche Buchhandlung in den 1920er Jahren den Namen Th. Otto & Sohn. Christel Ottos Ehefrau arbeitete in der Buchhandlung mit, sie hatte sogar Prokura. Sie kam aus der Familie von F. W. L. Borowsky, die unten neben der Post eine Druckerei hatte. Es ist eine praktische Sache, wenn Buchbinder und Drucker zusammenkommen.

Ich ging auf dem Schulweg jeden Tag an der Buchhandlung vorbei. Ich guckte selten in die Schaufenster. Viel interessanter war die Eisdiele von Chiamulera genau gegenüber. Die einzelnen Läden ds Ortes, bei denen es sich lohnte, in die Schaufenster zu gucken, waren Harjes und Karl Kass. Und Erich Maack, nicht wegen seiner Tochter Annegret. Wegen der Photoapparate. In meinen Träumen geh ich manchmal wieder die Breite Straße entlang. Wenn meine Eltern mich in den Laden schickten, weil sie dort etwas bestellt hatten, bekam ich immer eine Quittung mit, auf der Praxisbedarf stand. So etwas erkennt heute kein Finanzamt mehr an, aber damals ging das. Die Bücher, die ich da gekauft habe, unter anderem zwei Bände von Proust Recherche, haben alle noch dieses kleine grüne Etikett, auf dem Th. Otto  & Sohn steht. Als ich begann, englische Bücher bei ihnen zu bestellen, guckten sie mich in der Buchhandlung etwas missmutig an. Englische Bücher gab es vor über sechzig Jahren kaum in deutschen Buchhandlungen, auch nicht im amerikanisch besetzten Bremen. Die einzige Ausnahme war Marga Schoeller in Berlin, die eine große Abteilung für englische Bücher hatte. Aber Otto & Sohn bestellte mir knurrend die Bücher. Mein Exemplar von Walt Whitmans Leaves of Grass hat auch noch das kleine grüne Otto & Sohn Etikett eingeklebt.

Das hier war der Kommentar von Til Mette auf die Prämierung der Hansestadt als Literaturstadt Bremen. Das Sterben der Buchhandlungen hört nicht auf. Vor Jahren hat die traditionsreiche Buchhandlung Leuwer in Bremen zugemacht, jetzt schließt Otto & Sohn. Da bleibt im Ort nur noch Thalia, nicht die Muse der komischen Dichtung und der Unterhaltung, die Ladenkette. Aber wozu braucht man Buchhandlungen? Lesen tut der Bremer ja nicht so gerne, Klaus Groth wird das erfahren, wenn er eine Bremerin heiratet. Und schon vorher hat Friedrich Engels, Volontär in der Bremer Leinenhandlung H. Leupold, konstatiert: Eine Teilnahme an der fortlaufenden Literatur des Gesamtvaterlandes findet hier nicht statt: Man ist so ziemlich der Ansicht, dass mit Goethe und Schiller die Schlusssteine in das Gewölbe der deutschen Literatur gelegt seien, und lässt allenfalls die Romantiker noch für später angebrachte Verzierungen gelten. Und im gleichen Jahr 1840 sagte Arnold Duckwitz: Ein Lesen, Studieren und Forschen ohne praktischen Zweck ist hier nicht zu Hause und muss da gesucht werden, wo man die Zeit hat.

Die Nachricht von der drohenden Schließung der Buchhandlung hat Aufsehen erregt, auch über Bremen hinaus. Jan Böhmermann hat in seinem Podcast  geschrieben: Otto & Sohn ist eine Institution. Wenn wir solche Buchhandlungen verlieren, verlieren wir ein Stück unserer Kultur und Gemeinschaft. Vielleicht gibt es noch eine klitzekleine Chance, dass Martin Mader das Geschäft nicht im August schließen muss.

Wenn das mit dem Sterben der Buchhandlungen so weitergeht, dann wird sich meine schöne Buchhändlerin nach einem neuen Beruf umsehen müssen.

Die Buchhandlung Otto & Sohn war schon häufiger in diesem Blog, so in den Posts die örtlichen Buchhandlungen, Nobelpreisträger, Literaturstadt Bremen, silvae: Wälder: Lesen, Eine Liebe von Swann, Geistiges Bremen und Buchhändler