Sonntag, 24. Januar 2010

Teddy Boys

Im Jahre 1948 sagt ein Verkäufer bei Simpson (Piccadilly) zu einer Dame der Londoner Gesellschaft, wie schön es wäre, wenn man Kleidung wieder frei kaufen könnte und dafür keinen Bezugsschein brauchte. Die Dame flüstert ihm zu, dass sie ihm voll zustimme. Sie könne das nur nicht laut sagen, denn ihr Ehemann sei Sir Stafford Cripps. Der verwaltet den Mangel, der jetzt überall herrscht, auch bei den Siegermächten. Ein Jahr später braucht man keine Coupons mehr, und die Schlange bei Simpson geht den ganzen Piccadilly entlang bis zur St. James Church. Während des Krieges hatte Simpson Uniformen produziert (und ihr modernistisches Geschäftshaus als Offiziersmesse für alle Waffengattungen zu Verfügung gestellt). Nach dem Krieg stellte man die demob Anzüge her, jeder britische Soldat bekommt einen Zivilanzug. Um getreu der Direktiven von Sir Stafford Cripps Stoff zu sparen, werden die Jacketts kürzer. Der Volksmund nennt so etwas bum freezer. Reinhold Beckmann trägt das ein halbes Jahrhundert später freiwillig und fühlt sich modisch auf der Höhe.

Aber diese Nachkriegsmode, aus der Not geboren, wird sich nicht lange halten. Wenig später verkündet die Savile Row den Neo Edwardian Style. Überlange Jacketts. Die Traditionshäuser der Row orientieren sich an Edward, dem Sohn von Victoria, der ein halbes Jahrhundert zuvor die Herrenmode revolutioniert hatte und ihr einen Stil für das 20. Jahrhundert gegeben hatte. Also gibt es jetzt lange, aber taillierte, Jacketts, häufig auch mit Seideneinfassung des Revers und vier statt drei Knöpfen. Enge Hosen und Brokatwesten, Samtkragen auf den Mänteln. Genau wie die Pariser Damenmode zeigt man, dass Stoff jetzt nicht mehr rationiert ist. Und man will sich auch von den weiten Gangsteranzügen der amerikanischen Mode absetzen. In Deutschland fühlen sich die wenigen Journalisten, die über Mode schreiben (und das ist beinahe nur der Alt-Nazi, Baron Hermann-Marten von Eeelking, in seinem Herrenjournal) an den Mayerlingstil der Jahrhundertwende erinnert.

Aber nun geschieht in England etwas ganz Seltsames. Der outrierte Dandy Look wird nicht von den Gentlemen angenommen, sondern von den Prollis der working class adaptiert. Die verdienen jetzt Geld bei Wiederaufbau von London, und sie geben Monatsgehälter bei Schneidern in Soho aus (bei Henry Poole würden sie sich wohl nicht in den Laden trauen), um solche Edwardian Style Anzüge zu bekommen. Natürlich noch etwas übertriebener und mit einigen amerikanischen Elementen gemischt, wie einem string tie und den brothel creepers mit der fetten Specksohle. Um sich dann in piekfeinen Klamotten Straßenschlachten mit anderen Gangs zu liefern.

Sie bekommen schnell den Namen Teddy Boys, die erste, klar erkennbare Jugendkultur ist geboren (wenn wir einmal von den zoot suits und den bobby soxers absehen). Aber es entstehen jetzt in der ersten Hälfte der Fifties in London noch andere Jugendkulturen. Da sind die modernists, auch Mods genannten. Die tragen scharfe enge Anzüge und Buttondown Hemden, haben einen Motorroller und hören Jazz. Und es kommen die ersten Motorradrocker, die schwarze Lederjacken tragen und so aussehen wie Marlon Brando in The Wild One. Und da sind die Jugendlichen aus den Einwandererfamilien aus der Karibik, die immer einen pork pie Hut tragen und Calypso und Reggae hören.

Der Stadtteil Notting Hill wird zu einem Problemstadtteil, er hat noch nichts von einem Schickeria Stadtteil an sich, in dem Julia Roberts plötzlich bei Hugh Grant im Buchladen auftaucht. Der Immobilienhändler Peter Rachman eignet sich halb London an, Gangster wie die Kray Zwillinge regieren Teile der Stadt. Soziale Spannungen entladen sich in Straßenschlachten, aber immer stilvoll mit Anzügen und Hüten. Die Mods fahren am Wochenende mit ihren Vespas und Lambrettas nach Brighton, einen Parka über ihren eleganten Klamotten, um sich am Strand mit den Lederjackenrockern zu kloppen.

Ist die Savile Row an allem schuld? Die feinen Schneider sind peinlich berührt, wie ihr neuer Edwardian Style adaptiert und degeneriert ist. Sie propagieren diese Mode auch nicht länger. Aber sie haben einer Jugendkultur ein Gesicht gegeben. Von nun an wird es wichtig, nicht nur zu einer bestimmten Jugendkultur zu gehören, sondern einen Stil zu haben. The Meaning of Style wird Dick Hebdige sein Buch Subculture untertiteln (das erste seriöse englische Buch über Jugendkulturen). Und am Center of Contemporary Culture in Birmingham bekommt Paul Willis einen akademischen Grad für eine Untersuchung der Lederjacken Rocker. Colin MacInnes hat Ende der Fifties eine Romantrilogie über London geschrieben, deren berühmtester Roman Absolute Beginners geworden ist (hat wenig mit der Musikfilmversion mit David Bowie gemein). Mods, Lambrettas, Jazz, Rassenunruhen: alles steht hier drin. Denn nicht nur die Kunden der Traditionsschneider der Savile Row sind klassenbewusst und stilbewusst, auch die working class hat ihren Stil. Wenn man ein Mann ist, braucht man in England in den Fifties einen Anzug, keine Jeans und Sweatshirts.

Der Londoner Radiomoderator Robert Elms hat das in The Way we Wore: A Life in Threads liebevoll beschrieben: Closing my eyes I see it now: petrol blue, wool and mohair, Italian cut, flat-fronted, side adjusters, zip fly, sixteen-inch bottoms, central vent on the jacket, flap pockets, ticket pocket, three button (only one done up, of course), high breaking, narrow lapels, buttonhole on the left, four buttons on the cuff - claret silk lining. Sein großer Bruder hatte lange dafür gespart, um sich diesen Anzug machen zu lassen. Und dazu die Musik von Otis Redding Too Hard to Handle. Damals hat die working class noch Stil, heute hat sie shell suits.


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