Dienstag, 8. Februar 2022

in Flammen


Ich hätte nicht gewusst, dass Paul Auster ein Buch über Stephen Crane geschrieben hat, wenn mir der Volker das nicht erzählt hätte. Der quälte sich gerade durch 1.200 Seiten Text, er musste das Buch bis zu einem bestimmten Datum gelesen haben, weil er einen Termin für ein Interview mit Paul Auster hatte. Rowohlt hat das Buch, das im amerikanischen Original nur 783 Seiten hat, von Werner Schmitz übersetzen lassen. Der ist ja Spezialist für amerikanische Literatur, er hat beinahe alles von Paul Auster übersetzt, seine Hemingway Übersetzungen sind gerühmt worden. Der Rowohlt Verlag bietet von Austers In Flammen: Leben und Werk von Stephen Crane im Netz eine Leseprobe an, die 121 Seiten lang ist. Das ist ein Zehntel des Buches, man bekommt einen sehr guten Eindruck vom Buch. Aber muss man es haben? 

Biographien von Stephen Crane gibt es schon genug. Angefangen mit der Biographie von dem Dichter John Berryman aus dem Jahre 1950, die 1962 in einer überarbeiteten Ausgabe erschien und im letzten Jahr nachgedruckt wurde. Ich kann davon hier auch eine Leseprobe anbieten. Edmund Wilson schrieb im New Yorker in seiner Rezension: Mr Berryman's work is an important one, and not merely because at the moment it stands alone ... We are not likely soon to get anything better on the critical and psychological sides. Stephen Crane war im Jahre 1900 gestorben, und erst ein halbes Jahrhundert später erscheint die erste Biographie (die sich A Critical Biography nennt) des Autors. Das ist erstaunlich, zeigt aber, dass die Amerikaner mit Cranes Werk nicht so viel anfangen konnten. Berryman ist Dichter, kein Literaturwissenschaftler und kein professioneller Biograph. Sein Schwergewicht liegt darauf, dass hier ein Dichter einen anderen Dichter zu verstehen sucht, und Psychologie und Psychoanalyse spielen in seinem Buch eine große Rolle. In der zweiten Auflage gibt Berryman zu, dass sein psychoanalytischer Ansatz certainly not literary criticism ist. Und er bedauert, dass er die Hauptwerke von Crane überhaupt nicht gewürdigt hat.  

Es hatte vor Berrymans Biographie schon ein anderes Werk gegeben, dem er sich stark verpflichtet fühlte, nämlich Thomas Beers Stephen Crane: A Study in American Letters im Jahre 1923. Berryman hatte Thomas Beer bewundert und im Vorwort zur überarbeiteten Auflage seines Buches geschrieben: On the whole, I think the curious reader is still stuck with either my picture or Thomas Beer's, to the degree that those pictures differ. Man wünschte, es wäre nicht so. Ein Buchhändler im Internet hat das Buch von Beer mit einer Warnung versehen: BEWARE! This biography has been described as 'a tissue of lies'. It was shown in 1990 by Crane scholars Paul Sorrentino and John Clendenning that Thomas Beer freely invented incidents and associates in Crane's life, as well as forging from scratch dozens of letters from Crane. Not only does this make this biography worthless, except as a curiosity, but it infected later Crane biographies, for instance those by John Berryman (1950) and RW Stallman (1968), with misinformation. If you want a Crane bio there are at least two major ones written since the discrediting of Thomas Beer: Christopher Benfey's (1992) and Paul Sorrentino's (2014). Joseph Conrad, der Stephen Crane schätzte (I confess to an abiding affection for that energetic, slight, fragile, intensely living and transient figure), hatte arglos das Vorwort zu dem tissue of lies beigesteuert.

Zwei Jahre nach Berrymans Biographie veröffentlichte Robert Wooster Stallman Stephen Crane: An Omnibus, in dem der amerikanische Leser das Wichtigste von Crane finden konnte. Insbesonders den ersten Nachdruck von The Red Badge of Courage nach der Originalausgabe. Carlos Baker schrieb 1968 im New York Times Book Review über Stallmans Stephen Crane: A Biography, der Autor sei the world's foremost authority on what Crane wrote, thought and did. Er wusste, wie man eine gute Biographie schreibt, er war gerade dabei seine Hemingway Biographie zu vollenden. Stallman hat wenig Gutes über Beers und Berryman zu sagen. Drei Jahre vor seinem Tod hat er alles über seine Stephen Crane Forschung in That Crane, that albatross around my neck: a self-interview veröffentlicht. Wenn Sie den Titel anklicken, kommen Sie auf eine Seite, von der man den wunderbaren, als Interview getarnten, Aufsatz herunterladen kann. Es ist Professor Stallmans persönliche Beschreibung des Dschungels der akademischen Welt. Berryman hat er nie getroffen, obgleich der einmal an Stallmans Universität seine Gedichte vorgelesen hat. Er kam stockbesoffen an und hat in der Nacht sein Bett vollgepinkelt. Das hat keinen guten Eindruck an der Universität von Connecticut gemacht. Stallmans zwanzigseitiger Essay ist voll mit solch kleinen Bosheiten. Im englischen Wikipedia Artikel zu Stephen Crane wird Stallman nicht erwähnt, aber mit ihm fängt die ernsthafte Stephen Crane Forschung an. In den ersten zwanzig Jahren nach Stephen Crane: An Omnibus hat es mehr als zweihundert Publikationen  zu Stephen Crane gegeben. 2014 hat Paul Sorrentino bei der Harvard University Press noch eine Biographie veröffentlicht, und nun dachte man, es ist genug.

Aber jetzt kommt Paul Auster. Der sich in Interviews daran erinnerte, dass er als Fünfzehnjähriger The Red Badge of Courage gelesen hatte. Das Buch hatte ihn stark beeindruckt: What I have wanted to do is communicate something about the experience of reading Crane and how it feels to encounter his work for the first time - a raw and direct response to what is sitting in front of us on the page, the words themselves, and the thoughts and images the words provoke in us as we move from one sentence to the next. Ich weiß nicht, wann ich The Red Badge of Courage zum erstenmal gelesen habe, ich weiß nicht mal mehr, wann ich Stephen Crane an der Uni in einem Seminar behandelt habe. Aber ich weiß noch, dass Peter Nicolaisen mir gesagt hat, ich müsse unbedingt The Open Boat lesen. Und ich weiß auch, dass es in meinem ersten Jahr als Blogger hier einen Post Stephen Crane gab.

Paul Auster war nach seinem Roman 4321 in einer leichten Sinnkrise: After I finished 4321, I was really exhausted and knew that I wouldn’t be able to write for some time. Das haben Autoren ja häufiger. Als Joyce Ulysses beendet hatte, konnte er für ein ganzes Jahr nichts schreiben. After I finished '4321', I was really exhausted and knew that I wouldn’t be able to write for some time so I took several months off to regroup. During that time, I read a lot of things that I had been meaning to read all my life. I started reading Crane again. The first thing I read was 'The Monster', which I’d never even heard of. I was so overpowered by its brilliance - it took me by storm and I was shocked at how good and deep and resonant it was. That inspired me to read everything else he’d written. My admiration kept growing. By the time I was done with his work I started investigating his life and realised how deeply fascinating that was. Finally, I decided to write a short appreciation of Crane.

Das war der Plan, ein kurzes Buch. Es ist ein langes Buch geworden, a new member of the Rocky Mountain chain, wie Auster es formulierte. Biographie und Besprechung des Werks halten sich die Waage, das ist anders als bei Berryman, den die Besprechung des Werks nicht interessierte. Für jemanden, der nur achtundzwanzig Jahre alt wurde, hat Crane ein immenses Werk geschaffen. In einem seiner Gedichte, die nur aus einzelnen ungereimten Versen bestehen, heißt es:

There was a man who lived a life of fire.
Even upon the fabric of time,
Where purple becomes orange
And orange purple,
This life glowed,
A dire red stain, indelible;
Yet when he was dead,
He saw that he had not lived.

Für Harold Bloom war das an anxious meditation on his own action-obsessed life. Der Rezensent des Jahres 1895 kommentierte das Gedicht mit dem Satz remark upon the above would be a mere waste of words. Ich lasse die Lyrik von Stephen Crane mal weg, die Kritiker sind sich da auch uneins, ob diese kleinen Verse wirklich Lyrik sind. Ein Kritiker hat sie als abgemagerten Walt Whitman und aufgeblähte Emily Dickinson bezeichnet, das fand ich witzig. Die Bildlichkeit mit dem verzehrenden Feuer haben Paul Sorrention mit dem Titel seiner Biographie Stephen Crane: A Life of Fire und Paul Auster mit Burning Boy (deutsch: In Flammen) aufgenommen.

Das letzte Jahr seines Lebnes verbringt Crane mit Cora, mit der er seit vier Jahren zusammenlebt, in England. Er hat neue Freunde: Joseph Conrad, Henry James, Ford Maddox Ford und H.G. Wells. Weihnachten feiert er mit ihnen noch eine mehrtägige Party, aber es geht zuende, ein Blutsturz folgt dem anderen. Er verlässt das gemietete Schloss, das keine Heizung und nur ein Plumpsklo draußen hat, und reist nach Badenweiler. Von der Luft des Schwarzwalds erhofft er sich eine Besserung. Joseph Conrad trifft ihn noch einmal vor seiner Abreise: I saw Stephen Crane a few days after his arrival in London. I saw him for the last time on his last day in England. It was in Dover, in a big hotel, in a bedroom with a large window looking on to the sea. He had been very ill and Mrs. Crane was taking him to some place in Germany, but one glance at that wasted face was enough to tell me that it was the most forlorn of all hopes. The last words he breathed out to me were: 'I am tired. Give my love to your wife and child.' When I stopped at the door for another look I saw that he had turned his head on the pillow and was staring wistfully out of the window at the sails of a cutter yacht that glided slowly across the frame, like a dim shadow against the grey sky. Those who have read his little tale, 'Horses,' and the story, 'The Open Boat,' in the volume of that name, know with what fine understanding he loved horses and the sea. And his passage on this earth was like that of a horseman riding swiftly in the dawn of a day fated to be short and without sunshine.

Er wird in Badenweiler sterben, wo vier Jahre nach ihm auch Anton Tschechow stirbt. Der deutsche Schriftsteller Andreas Kollender hat in seinem Roman Mr Crane noch eine heiße Liebesaffaire erfunden, die Crane in der Woche vor seinem Tod mit einer Krankenschwester gehabt haben soll, aber das ist Fiktion. Cora, die ehemalige Bordellwirtin, die er nie geheiratet hat, ist bis zu seinem Tod an seiner Seite. Henry James, der nicht zu emphatischen Äußerungen neigte, schrieb What a brutal, needless extinction — what an unmitigated, unredeemed catastrophe! I think of him with such a sense of possibilities and powers!

I will be glad if I can feel on my death - bed that my life has been just and kind according to my ability and that every particle of my little ridiculous stock of eloquence and wisdom has been applied for the benefit of my kind. From this moment to that deathbed may be a short time or a long one but at any rate it means a life of labor and sorrow. I do not confront it blithely. I confront it with desperate resolution. Das schreibt Crane 1896 in einem seiner Liebesbriefe an Nellie Crouse, einer Frau, die er nur einmal getroffen hat. Ich weiß nicht, ob das nur schöne Rhetorik ist oder ob er es ernst meint.

Paul Austers In Flammen ist im letzten Monat bei Rowohlt erschienen. Zu der amerikanischen Erstausgabe hatte Adam Gopnik im New Yorker eine sehr schöne Rezension geschrieben. Mein Freund Volker hat Paul Auster telephonisch pünktlich zum Termin interviewt, er hat mir den Text geschickt, der viel länger als das ist, was seine Zeitung gedruckt hat. Aber in dem Interview sagt Auster nichts, was er nicht schon anderen Interviewpartnern gesagt hätte. Doch er hat viel über amerikanische Politik gesagt. Wenn Sie Stephen Crane lesen wollen, dann wäre meine Empfehlung: der Roman The Red Badge of Courage (der hier schon einen Post hat) und die Kurzgeschichten The Open Boat, The Blue Hotel und The Bride Comes to Yellow Sky.

Freitag, 4. Februar 2022

Nakieksel

Ich wuste nicht, dass es die Wikipedia auch auf Plattdeutsch gibt, dat fre’e Nakieksel, wo jedereen an mitwarken kann. Mit 83.234 Artikels op Plattdüütsch. Und da können wir unter dem Datum vom 4. Februar lesen: 1730: In de Nacht vun'n 4. up den 5. Februar 1730 versocht de Kroonprinz vun Preußen, Frederik, ut de Gewalt vun sien Vadder Frederik Willem I. un ut sien Vaderland ut to büxen un af to neihen na England. Man he warrt upgrepen un kummt wegen Hoochverrat in't Kaschott. Sien Vadder is bass vergrellt un will em henrichten laten. Auf Platt klingt klingt das ja irgendwie nett mit dem utbüxen, aber für den König ist das Fahnenflucht, und die wird in Preußen nun mal mit dem Tode bestraft. Wenn Sie alles zu der Geschichte wissen wollen, dann gibt es natürlich nur einen, der die Geschichte erzählen kann: Theodor Fontane

Mein Opa sprach das Platt aus dem Osnabrücker Land, mein Vater das Platt von Nordfriesland. Ich kann es auch noch ein bisschen. Und es kommt auch häufig in diesem Blog vor, die wichtigsten Posts sind wohl: MandalayKlaus Groth, Min JehannPlattdeutschRegiolekt, de Kiserliche Warf, GermanistenReimer Bull ✝, Theodor Storm


Mittwoch, 2. Februar 2022

Hundert Jahre 'Ulysses'


Vor hundert Jahren erschien in Paris bei Sylvia Beach die Erstausgabe von James Joyces Roman Ulysses. Sie war um einige Passagen gekürzt, die zu dieser Zeit als obszön galten. Die Erstausgabe hatte eine Auflage von tausend Exemplaren, ein nummeriertes Exemplar kostet heute einen Liebhaber schon hunderttausend Dollar. In Irland, England oder Amerika hätte der Roman keine Chance gehabt, veröffentlicht zu werden. Teile des Romans waren von 1918 bis 1920 in Amerika in The Little Review veröffentlicht worden, waren aber sofort wegen Obszönität verboten worden. Ezra Pound, der die ersten Teile im Little Review lanciert hatte, wusste das: I suppose we'll be damn well suppressed if we print the text as it stands. BUT it is damn wellworth it.

Erst mit dem berühmt gewordenen Urteil vom 6. Dezember 1933 in dem Verfahren Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen das Buch mit dem Titel 'Ulysses' hob der Richter John Munro Woolsey den Bann der Zensur auf. Irland folgte 1934, England 1936, Kanada allerdings erst 1949. D.H. Lawrences Roman Lady Chatterley's Lover von 1928 brauchte noch viele Jahre mehr, bis er nicht mehr von der Zensur verfolgt wurde. Der 2. Februar 1922 war auch der vierzigste Geburtstag von Joyce gewesen, er hatte den Termin der Publikation selbst gesetzt. Er feiert die Vollendung des Werks am Abend mit seiner Frau Nora in einem italienischen Restaurant, als ihm ein Taxifahrer ein Päckchen bringt, das erste Exemplar von Ulysses. Sieben Jahre hat er daran geschrieben, jetzt ist es das Buch da. Wenige Monate später trafen sich Joyce und Proust im Pariser Majestic Hotel. Joyce kam, schon etwas besoffen, im einfachen Straßenanzug, Proust im Frack. Die beiden Herren hatten sich wenig zu sagen (lesen Sie hier mehr). Joyce hat Proust nicht gelesen, Proust kannte das Werk von Joyce nicht. Sein Englisch war marginal, und er hatte nur noch wenige Monate zu leben. Es hätte nicht gereicht, um Ulysses zu lesen, er schrieb verzweifelt seine Recherche zuende.

Der erste Rezensent des Werkes schrieb in der New York Times 1922 unter anderem: Finally, I venture a prophecy: Not ten men or women out of a hundred can read 'Ulysses' through, and of the ten who succeed in doing so, five of them will do it as a tour de force. I am probably the only person, aside from the author, that has ever read it twice from beginning to end. I have learned more psychology and psychiatry from it than I did in ten years at the Neurological Institute. There are other angles at which 'Ulysses' can be viewed profitably, but they are not many. Der Rezensent hieß Dr Joseph Collins, er war kein Literaturwissenschaftler, er war Professor für Neurologie.

Ich habe zur Feier des Tages meine Ulysses Ausgabe aus dem Regal geholt. Das ist die alte Penguin Ausgabe, die mir von allen anderen im Regal die liebste ist. Vorne steht mit Bleistift notiert, dass ich das Buch 1968 gelesen habe. In meiner deutschen Leinenausgabe, deren irisches Grün schon ziemlich verblasst ist, habe ich kaum auffindbar das Datum Dezember 1960 hineingeschrieben. Es ist die alte Übersetzung von Georg Goyert, vom Verfasser autorisierte Fassung Übersetzung steht im Buch. In dieser revidierten Ausgabe von 1956 findet sich auch der Hinweis, das man bisher 48.000 Exemplare des Buches verkauft hat.

Joyce hatte Teile davon gelesen, aber seine Deutschkenntnisse waren nicht so toll. Er war ja froh, dass er Geld vom Rhein Verlag in Zürich bekam, da autorisiert man auch schon mal eine Übersetzung. Es sollen achtundachtzig Seiten gewesen sein, die Joyce und Goyert, der mit dem getippten Manuskript aus München nach Paris gekommen war, gemeinsam durchgearbeitet haben. Joyce und Goyert standen in der Folgezeit in brieflicher Verbindung. Dies war die erste Übersetzung von Ulysses, sie erschien 1927 in drei Bänden mit einer Auflage von tausend Exemplaren. Es gab den Roman also in deutscher Sprache, bevor er in England oder Amerika erschien. Die französische Übersetzung erschien zwei Jahre nach der deutschen. 1930 erschien eine zweite Auflage in zwei Bänden, in der Goyert angeblich sechstausend Änderungen vorgenommen hatte.

Dr Georg Goyert, den der Rhein Verlag durch einen Übersetzungwettbewerb gefunden hatte, hat danach für den Zürcher Verlag noch viel mehr von Joyce übersetzt. Sogar Stuart Gilberts Buch Das Rätsel 'Ulysses': Eine Studie (in dem sich diese nützliche Skizze findet) hat er 1932 übersetzt. An Finnegans Wake hat Goyert sich aber nicht herangetraut. Allerdings hat er 1946 in der Zeitschrift Die Fähre das Kapitel Anna Livia Plurabelle veröffentlicht. Der Übersetzer der lieferbaren Suhrkamp Ausgabe von Anna Livia Plurabelle ist aber nicht Goyert, sondern Wolfgang Hildesheimer. Der über seine Übersetzungsversuche von Finnegans Wake gesagt hat: Was ich hier als deutsche Version anzubieten habe, kommt bestenfalls dem Original streckenweise nah, beleuchtet vielleicht auch Methode und Machart, kann aber nicht sein Idiom wiedergeben. Im gewissen Sinne handelt es sich also um eine Demonstration der Unübersetzbarkeit.

Natürlich besitze ich auch die neue Ulysses Übersetzung von Hans Wollschläger, über die der Übersetzer sagte: Unter der Schwierigkeit der Übersetzung war ich am Anfang so resigniert, daß ich eine richtige Wut hatte auf das Buch und den Mann. Acht Jahre hat er daran gearbeitet, und der Suhrkamp Verlag hat ihm dafür jeden Monat das Gehalt eines Oberstudienrats gezahlt (es gibt hier einen interessanten Artikel von Dieter E. Zimmer zu der Übersetzung). Soviel Geld hat James Joyce in den Jahren 1918 bis 1922 nicht für sein Werk bekommen. Der Zürcher Rhein Verlag hatte zwar mehrfach angekündigt, dass er die Goyertsche Übersetzung überarbeiten lassen wollte, aber es ist nie dazu gekommen. Der Verlag, der auch Hermann Broch und Albert Vigoleis Thelen zu seinen Autoren zählte, wurde von dem Südwest Verlag gekauft, dessen Bestseller in den fünfziger Jahren ein Benimmbuch war, an dem die berüchtigte Benimmpäpstin Erica Pappritz mitgearbeitet hatte (über die hat Friedrich Sieburg einmal gesagt: Allen Beteiligten wäre gedient, wenn Fräulein Pappritz… in den wohlverdienten Ruhestand träte). Der Geschäftsführer des Südwest Verlags sagte nach dem Kauf des Rhein Verlags: Wir entwickeln keinen literarischen Ehrgeiz, sondern beobachten den Markt. Und verkaufte die Rechte an Ulysses 1966 an Suhrkamp. Samuel Beckett soll angeblich Tränen der Freude in den Augen gehabt haben, als er hörte, dass Joyce nun zu einem Suhrkamp Autor geworden war. Heute hat ja niemand mehr Tränen der Freude in den Augen, wenn er den Namen Suhrkamp hört.

Es ist eine kleine Fußnote der Literaturgeschichte, dass der Verlag Volk und Welt in den sechziger Jahren dem Rhein Verlag einen Vorschuss von 4.000 DM auf die Rechte einer DDR Ausgabe von Goyerts Ulysses gezahlt hatte. Aber die Devisenabteilung der DDR stellte sich quer und verhinderte die Auszahlung der restlichen 8.000 Mark. Als Suhrkamp dann die Rechte gekauft hatte, wollte man diesen Vorschuss nicht verloren geben und wartete auf die Neuübersetzung. Aber so preiswert wollte Unseld sein Prestigeprojekt nicht weggeben, er befürchtete auch, dass der Verkauf seines Ulysses (dessen Verkaufspreis für 140 Mark projektiert war) durch eine preiswertere DDR Ausgabe unterlaufen würde. So offerierte er dem DDR Verlag, sich mit 60.000 DM an dem Projekt zu beteiligen, das Wort von einem gewissen Kolonisatorengehabe auf geistigem Gebiet machte auf der Leipziger Buchmesse 1976 die Runde. Heidi Dürr von der Zeit nannte Gruners Aussagen eine emotional-dümmliche Polemik, dazu sag' ich jetzt lieber nix.

60.000 sei eine Null zu viel, monierte Verlagschef Jürgen Gruner und schrieb an Unseld: Wenn ich davon ausgehen darf, daß es sich nicht um einen Tippfehler handelt (Lizenzgebühr sechzigtausend), wird es Sie sicherlich nicht erstaunen, daß wir zu einer Lizenznahme zu solchen Bedingungen beim besten Willen nicht bereit sein können. Am Ende bezahlte man 40.000 Mark für die Wollschläger Übersetzung, und Ulysses erschien 1980 in der DDR. Drei Jahre zuvor waren in der Spektrum Reihe des Berliner Verlages Volk und Welt, mit der Einbandgestaltung von Lothar Reher die Dubliner erschienen. Da hatte man die Rechte noch preisgünstig bekommen. Man machte jetzt in der DDR kulturellen Boden gut, 1974 war schon Marcel Proust (in der Übersetzung von Eva Rechel-Mertens) in der DDR erschienen.

Über die Qualität der Übersetzungen von Ulysses (hier noch ein interessanter Artikel) ist viel gestritten worden. Arno Schmidt urteilte über Goyert: handwerklich brauchbar (als Vorarbeit für den - hoffentlich - kommenden Besseren) : die Hälfte. der Rest? : eine Satire auf das grandiose Original! Was hätte er daraus gemacht, wenn er es hätte übersetzen sollen? Aber bei aller Kritik, ich liebe meine alte grüne Ulysses Ausgabe, weil es mein erstes Leseerlebnis mit dem Roman war. Die Wollschläger Übersetzung hat großes Lob erfahren, aber so gut sie sein mag, am Original führt bei einem Sprachjongleur wie Joyce sowieso kein Weg vorbei. Wenn man die Übersetzung Wollschlägers gegen die von Goyert ausspielt, dann muss man bedenken, dass Wollschläger Wörterbücher zur Verfügung standen, die es in den zwanziger Jahren noch gar nicht gab. Und da tut sich ja ständig etwas auf dem Markt, ich habe zu Weihnachten von einem Freund The Queen's English geschenkt bekommen, ein neues Wörterbuch, das vieles enthält, von dem ich noch nie gehört habe. Wollschläger hat Fehler gemacht, viele Fehler, schlimme Fehler, mindestens fünftausend. In jahrelanger Kleinarbeit haben Harald Beck und die Kuratorinnen der Zürcher James Joyce Stiftung Ruth Frehner und Ursula Zeller (mit der beratenden Mitwirkung von Fritz Senn) Wollschlägers Text überarbeitet und revidiert. Diese Fassung durfte nicht erscheinen, das hat die Rechtinhaberin Gabriele Wolff, die nebenberuflich Krimis schreibt, verhindert. Lediglich das Vorwort liegt vor. Vielleicht bringt mal irgendjemand die überarbeitete Übersetzung als Raubdruck heraus.

Teilübersetzungen von Finnegans Wake hat es von einer Vielzahl von Autoren gegeben. Sogar Arno Schmidt war daran interessiert und hatte sich in Teilen versucht, was man den Überlegungen zu einer Lesbarmachung von 'Finnegans Wake' (in Der Triton mit dem Sonnenschirm) entnehmen kann; aber der deutsche Leser musste bis 1993 auf eine Übersetzung des ganzen Werks warten. Man hätte es natürlich bei der Idee belassen können, die Dieter E. Zimmer 1967 in der Zeit vortrug, als er über die Pläne von Unseld berichtete, den ganzen Joyce zu veröffentlichen: Was mit 'Finnegans Wake' geschehen soll, ist noch nicht entschieden. Am vernünftigsten erscheint mir selber der Plan, eine kommentierte Edition des Originaltextes (rechts er, auf den linken Seiten die Erläuterungen) in die Gesamtausgabe einzureihen – denn ich glaube nicht, daß eine Übersetzung denkbar ist, die genug vom Original bewahrte, um die nur zu gut vorstellbare, wahnwitzige Mühe eines solchen Unterfangens zu rechtfertigen; und das nicht etwa, weil die Übersetzer zu unzulänglich wären, sondern weil die Sache selbst es verbietet.

1993 erschien Dieter H. Stündels Finnegans Wehg. Kainnäh ÜbelSätzZung des Wehrkeß fun Schämeß Scheuß. Der Übersetzer hatte genau so lange an seiner Übersetzung gearbeitet, wie James Joyce gebraucht hatte, um das Buch zu schreiben. Nämlich ganze siebzehn Jahre. Zur Qualität der Übersetzung kann ich jetzt wenig sagen, da ich das Buch noch nie von Anfang bis Ende gelesen habe (das Original übrigens auch nicht), aber es ist sehr originell. Wenn auch Friedhelm Rathjen damals zeterte und von einer Spielwiese zum Austoben der eigenen Kalauerwut und einem Schildbürgerstreich der Übersetzungsgeschichte sprach. Aber wenn ich irgendjemand nicht erst nehme, dann ist es dieser Rathjen, gegen dessen Moby-Dick Übersetzung ich einiges zu sagen hätte. Sehr viel abgewogener ist da der Schweizer Joyce Kenner Fritz Senn, der in seiner Besprechung in der NZZ 1993 (Wegh zu Finnegan?) viel Positives zu Stündel zu sagen wusste. Ich habe das Buch damals nicht gekauft, als es frisch auf den Markt kam. Da kostete es nämlich - 1.264 Seiten, deutsch-englisch - stolze 840 Mark. Es war aber auch zehn Kilo schwer, ein Trumm von einem Buch. Schon beinahe vergleichbar mit Arno Schmidts Zettels Traum. Das Buch fiel dann im Laufe der Zeit im Preis, bis es der Zweitausendeins Verlag ganz, ganz preiswert herausbrachte. Heute zahlt man antiquarisch 15 Euro dafür.

Ich habe mich damals, als ich Ulysses las, nicht vor dem Roman gefürchtet. Man sollte sich niemals vor Romanen fürchten, auch wenn sie lang und schwer sind. Ich hatte von Joyce schon Portrait of the Artist as a Young Man und die Dubliners gelesen, ich war schon in der Welt von Joyce zuhause. Denn Ulysses ist aus den Dubliners entstanden. Ich habe bestimmt nicht alles von dem Roman verstanden. Aber jeder Leser liest seinen eigenen Text. Wir lesen immer nur uns selbst, sagt Marcel Proust. In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können. Dass der Leser das, was das Buch aussagt, in sich selber erkennt, ist der Beweis für die Wahrheit eben dieses Buches und umgekehrt. Ich habe einmal im Fernsehen den österreichischen Filmregisseur Michael Haneke in einem Interview sagen hören, dass er immer über seinem Niveau gelesen habe und vieles nicht verstanden habe. Und nach einer kurzen Pause fügte er lächelnd hinzu: Man sollte immer über seinem Niveau lesen. Es bleibt immer irgend etwas hängen. Wir können auch nicht alles in Ulysses verstehen. Als der französische Übersetzer des Werkes Joyce bat, ihm etwas über die innenliegende Struktur des Werkes zu sagen, lehnte Joyce das ab. Und sagte: If I gave it all up immediately, I'd lose my immortality. I've put in so many enigmas and puzzles that it will keep the professors busy for centuries arguing over what I meant, and that's the only way of insuring one's immortality. Ein Satz, den man sich merken sollte.

Ich war nicht der einzige in meiner Klasse, der damals Ulysses las. Wir lasen alle viel, aber nie das, was auf dem Stundenplan stand. Das verschaffte uns wirkliche Bildung. Mein Freund Peter war, glaube ich, der erste von uns, der einen Stuart Gilbert hatte. Und das ist ein Buch, das jeder Joyce Leser haben sollte. Es ist wie ein Baedeker für die Welt von Leopold Bloom. Ich dachte damals, dass ich an der Universität mehr über Joyce lernen würde, aber das war eine Täuschung. Wie Kurt Vonnegut es so nett gesagt hat: When you get to be our age, you all of a sudden realize that you are being ruled by people you went to high school with ... You all of a sudden catch on that life is nothing but high school. You make a fool of yourself in high school, then you go to college and learn how you should have acted in high school, and then you get into real life and that turns out to be high school all over again - class officers, cheerleaders, and all.

Man lernt nicht wirklich viel an Universitäten, wenn man Glück hat, stößt man auf eine Handvoll Leute, die einen vorwärts bringen. Die Professoren in meinem Institut drückten sich darum, Vorlesungen oder Seminare über Joyce zu machen. Zu schwer. Wahrscheinlich hatten sie ihn auch nie gelesen. Außer der Baronin Gisela von Stoltzenberg, bei der ich ein Seminar über die Dubliners besucht habe. Sie hängte als erstes eine Karte von Dublin auf, und ich dachte mir: oh, Gott, Geographieunterricht. Aber es macht natürlich viel Sinn, eine Dublin Karte vor Augen zu haben, wenn man Joyce liest. Wenn Sie der Baronin und mir nicht glauben, dann wird Sie sicher Vladimir Nabokov überzeugen: Instead of perpetuating the pretentious nonsense of Homeric, chromatic, and visceral chapter headings, instructors should prepare maps of Dublin with Bloom’s and Stephen’s intertwining itineraries clearly traced. Das da oben ist Nabokovs Karte von Leopold Blooms Odyssee.

Die Baronin hatte Joyce persönlich gekannt, Éamon de Valera war ein Jugendfreund von ihr gewesen. Sie hat mir einmal ein Photo von Joyce geschenkt, das ihn an einem Sommertag mit hellem Hut und Spazierstock an einem See zeigt. Ich habe es sehr gut weggepackt. Ich habe es so gut weggepackt, dass ich es bisher noch nie wiedergefunden habe. Aber die Werke von James Joyce sind natürlich griffbereit für den hundertsten Geburtstag von Ulysses. Der Whiskey (Green Spot) auch. Und natürlich ein Häppchen Ulysses, obgleich es wohl niemand schaffen wird, die 24 Stunden aus dem Leben von Leopold Bloom in 24 Stunden zu lesen. Aber der Monolog von Molly am Schluss des Romans wäre ein guter Anfang: 

Yes because he never did a thing like that before as ask to get his breakfast in bed with a couple of eggs since the City Arms hotel when he used to be pretending to be laid up with a sick voice doing his highness to make himself interesting for that old faggot Mrs Riordan that he thought he had a great leg of and she never left us a farthing all for masses for herself and her soul greatest miser ever was actually afraid to lay out 4d for her methylated spirit telling me all her ailments she had too much old chat in her about politics and earthquakes and the end of the world let us have a bit of fun first God help the world if all the women were her sort down on bathingsuits and lownecks of course nobody wanted her to wear them I suppose she was pious because no man would look at her twice I hope Ill never be like her a wonder she didnt want us to cover our faces but she was a welleducated woman certainly and her gabby talk about Mr Riordan here and Mr Riordan there I suppose he was glad to get shut of her and her dog smelling my fur and always edging to get up under my petticoats especially then still I like that in him polite to old women like that and waiters and beggars too hes not proud out of nothing but not always if ever he got anything really serious the matter with him its much better for them to go into a hospital where everything is clean...

Montag, 31. Januar 2022

Robert E. Lee


1865: General Robert Edward Lee wird Oberbefehlshaber über die gesamte Armee der Konföderierten Staaten von Amerika im Sezessionskrieg, steht im Datenblatt für den 31. Januar bei Wikipedia. Wie so vieles in diesem Internet Lexikon ist das nicht ganz richtig. Am 31. Januar hat der zweite Confederate States Congress beschlossen, dass es einen General in Chief of the Armies of the Confederate States geben solle. Erst am 6. Februar wurde General Robert E. Lee dazu ernannt. Es ist ein Titel, der nichts mehr wert ist. Drei Monate später muss Lee kapitulieren.

Lincoln hatte 1861 Robert E. Lee durch den Generalleutnant Winfield Scott den Oberbefehl der Armee des Nordens anbieten lassen, aber der Mann aus Virginia hatte höflich abgelehnt: During the whole of that time, more than a quarter of a century, I have experienced nothing but kindness from my superiors & the most Cordial friendships from any Comrades. To no one Genl have I been as much indebted as to yourself for kindness & Consideration & it has always been my ardent desire to merit your approbation. I shall carry with me, to the grave the most grateful recollections of your kind Consideration, & your name & fame will always be dear to me. Lees Familie lebt seit zweihundert Jahren in Virginia, er kann nicht als Oberkommandierender des Norden gegen seinen Heimatstaat kämpfen. In der US Army gibt es allerdings noch sieben andere Colonels, die auch aus Virginia stammen, alle West Point Absolventen wie Lee. Alle sieben bleiben in der Armee der Nordstaaten.

Der Süden macht Lee zum Kommandeur der Armee von Virginia. Macht ihn zum Dreisternegeneral, aber diese Uniform wird Lee nicht tragen. Massa Robert trägt die Uniform eines Colonels der provisorischen Südstaatenarmee. Man erkennt ihn auch so, er ist mit einem Meter achtzig größer als die anderen Generäle. Der Süden hat Dreisternegeneräle, der Norden ist nicht so spendabel, da kriegt man nur zwei Sterne. Lincoln macht George McClellan zum Oberkommandierenden. Der steht gerne vor dem Spiegel und bewundert sich in seiner Uniform. Er kann organisieren und eine Armee aufbauen, aber vor einer Schlacht, da hat er Angst. Vor allem vor Robert Lee hat McClellan Angst. Das weiß Robert E. Lee, und seine Virginia Armee wird viele Schlachten im Bürgerkrieg gewinnen. Irgendwann wird Lincoln McClellan feuern, aber mit den Nachfolgern Burnside und Hooker hat er auch kein Glück. Burnside wird berühmt für seine buschigen Koteletten, die heute noch sideburns heißen. Nach Hooker sind angeblich Huren hookers genannt worden. Das stimmt nicht ganz, aber der trinkfreudige Hooker hat sehr viele hookers in seinem Camp. McClellan kandidiert bei der nächsten Wahl gegen Lincoln, aber auch da wird er verlieren.

Als die Schlacht von Gettysburg zu Ende war, hat es geregnet. Es regnet jetzt immer im Bürgerkrieg, wenn die Schlachten zu Ende sind. Meteorologen vermuten, dass es etwas mit dem Artilleriefeuer zu tun hat. Die Artllerie hatte am 3. Juli 1863 um 13 Uhr zu feuern begonnen, mit allem, was der Süden noch an Munition hatte. Zwei Stunden lang. Offiziell wird die Artillerie von General William Pendleton kommandiert, der diesen Posten wohl nur hat, weil er ein Freund von Präsident Jefferson Davis ist. In Wirklichkeit hat Colonel Edward Porter Alexander, der erst achtundzwanzig ist, die Befehlsgewalt. Er ist einer der fähigsten Ingenieure in den Reihen des Südens. 

Wenn Alexander mit der Kanonade fertig ist, soll der Angriff beginnen, der als Pickett's Charge berühmt geworden ist. Faulkner hat ihn in den Roman Intruder in the Dust hineingeschrieben. Ein Moment, den jeder Vierzehnjährige im Süden so im Kopf hat und jederzeit so abrufen kann: For every Southern boy fourteen years old, not once but whenever he wants it, there is the instant when it's still not yet two o'clock on that July afternoon in 1863, the brigades are in position behind the rail fence, the guns are laid and ready in the woods and the furled flags are already loosened to break out and Pickett himself with his long oiled ringlets and his hat in one hand probably and his sword in the other looking up the hill waiting for Longstreet to give the word and it's all in the balance, it hasn't happened yet, it hasn't even begun yet, it not only hasn't begun yet but there is still time for it not to begin against that position and those circumstances which made more men than Garnett and Kemper and Armistead and Wilcox look grave yet it's going to begin, we all know that, we have come too far with too much at stake and that moment doesn't need even a fourteen-year-old boy to think This time. Maybe this time with all this much to lose than all this much to gain: Pennsylvania, Maryland, the world, the golden dome of Washington itself to crown with desperate and unbelievable victory the desperate gamble, the cast made two years ago

Intruder in the Dust ist 85 Jahre nach der Schlacht von Gettysburg geschrieben, aber im Süden von William Faulkner sind Vergangenheit und Gegenwart ein großes Kontinuum. Und wahrscheinlich können noch viele im Süden den Beginn von Pickett's Charge so evozieren. Auf jeden Fall, nachdem sie die Ted Turner Produktion Gettysburg gesehen haben. Der Angriff wird ein Blutbad. General James Longstreet, Lees Befehlshaber in der Schlacht von Gettysburg, hat diese Schlacht, die sich so zufällig ergeben hat, nicht gewollt. Aber Lee zwingt ihn, auch noch am dritten Tag ohne Chance den Norden auf der kleinen Hügelkette anzugreifen. Longstreet ist sicherlich Lee kompetentester General, und Lee hält große Stücke auf ihn. Aber James Longstreet kommt nicht aus Virginia, wie die meisten Millionäre, Großgrundbesitzer und Sklavenhalter, die Robert E. Lee als Generäle um sich geschart hat. Nach der verlorenen Schlacht und dem verlorenen Krieg wird der Süden Longstreet zum Hauptschuldigen machen, denn Lee macht man nicht zum Schuldigen, der hat eine Art Heiligenstatus im Süden. Beinahe bis heute. Nach der verlorenen Schlacht ist Lee ohne Ziel auf dem Schlachtfeld umhergeritten und hat immer wieder ausgerufen, dass alles seine Schuld gewesen sei. Er hat Pickett angewiesen, seine Division zu sammeln, um den Rückzug zu sichern. General Lee, I have no division, wird Pickett sagen. Sein Bericht über die Schlacht hat Lee nicht gefallen, er verlangte eine neue Fassung. Keine Version ist erhalten.

Als Colonel Edward Porter Alexander das Feuer von Longstreets Artillerie einstellte, konnte er sehen, dass alles zu Ende war. Er sieht, wie General Armistead, den Hut in der Hand, erschossen wird, als er gerade die Kanonen des Feindes erreicht. Alexander sieht, wie Picketts Angriff scheitert, er spart jetzt jeden Schuss für den Fall, dass General Meade der zurückflutenden Armee des Südens nachsetzt. Doch der einzige, der auf Colonel Alexander zureitet, ist General Lee. Später kommt noch der englische Colonel Arthur Fremantle hinzu. Lee stellt die Colonels einander nicht vor, in dem Augenblick wird Alexander klar, wie er aussieht. Er trägt nur sein Hemd und die roten Hosen eines Artillerieoffiziers, nichts weist auf seinen Dienstgrad hin, seine Hosen sind zerfetzt. Er hat es der Nachwelt in Fighting for the Confederacy: The Personal Recollections of General Edward Porter Alexander beschrieben, ein Buch, das in klarer Sprache nichts beschönigt und nichts schönt. Und das erstaunlicherweise bis 1989 warten musste, bis es veröffentlicht wurde.

Die Armee von Virginia wird sich zurückziehen, das kurze Abenteuer, in den Norden zu marschieren und einen Angriff auf Washington zu versuchen, ist vorbei. General George Meade wird Lee nicht verfolgen, um den kümmerlichen Rest von Lees Armee zu vernichten. Er ist erst seit wenigen Tagen im Amt als Oberbefehlshaber der Army of the Potomac. Er möchte lieber ganz vorsichtig sein, er weiß, dass keiner seiner Vorgänger McClellan, Burnside und Hooker sich länger als ein halbes Jahr im Kommando gehalten haben. Er wird bis zum Kriegsende bleiben, obgleich er unter Ulysses S. Grant nicht mehr so viel zu sagen hat.

Am 9. April 1865 wird Robert E. Lee als Oberkommandierender der Südstaatenarmee, der er nur drei Monate war, in Paradeuniform (wieder als Colonel der CSA) gegenüber Ulysses S. Grant kapitulieren. Grant trägt die Uniformjacke eines einfachen Soldaten, da wird man als General nicht so schnell erschossen. Es ist noch Stroh von der Scheune, in der Grant zuvor geschlafen hatte, an der Uniform. I must have contrasted strangely with a man so handsomely dressed, six feet high and of faultless form, wird Grant später schreiben. Man unterzeichnet die Kapitulationsurkunde im Wohnzimmer des Farmers McLean in Appomattox Court House. Wilmer McLean hatte zuvor in Manassas gewohnt, da wo die erste Schlacht des Bürgerkrieges begann. Er kann sagen, dass der Krieg in seinem Vorgarten begann und in seinem Wohnzimmer endete. Die Nordstaatengeneräle, die bei der Kapitulation anwesend sind, kaufen Wilmer McLean seine ganze Wohnzimmereinrichtung ab, um ein Souvenir dieses Tages zu haben. Robert E. Lees Grundbesitz in Virginia wird 1864 enteignet und wird zum Nationalfriedhof Arlington, der Familie Lees wird zwanzig Jahre später eine Entschädigung von 150.000 $ zugesprochen. Zwei Monate nach der Kapitulation, am 23. Juni 1865 wird sich der letzte General der Südstaaten ergeben, es ist der Cherokee Häuptling Stand Watie

In Richmond (Virginia) gibt es eine Monument Avenue, da ritten bis vor kurzem Robert E. Lee, Stonewall Jackson und J.E.B Stuart noch stolz auf dem Pferd. Nach dem Bürgerkrieg konnte man gar nicht genug Statuen für die toten Helden des Bürgerkriegs aufstellen. William Faulkners Großvater, Colonel in der Südstaatenarmee, organisierte ein Ritterturnier, um das Geld für ein Soldatendenkmal zusammen zu bekommen. The stone statues of the abstract Union Soldier grow slimmer and younger each year -- wasp-waisted, they doze over muskets and muse through their sideburns, heißt es in Robert Lowells Gedicht For the Union Dead. Es ist der Steinfraß, der die steinernen Soldaten schlanker macht. Robert E. Lee kann er nichts anhaben, der ist aus Bronze.

Aber Bronze kann man einschmelzen, und das geschieht in Amerika seit einigen Jahren. Die Statuen von Lee und seinen Generälen werden entfernt, eingelagert, eingeschmolzen. Einst waren die Großgrundbesitzer und Sklavenhalter die Helden des Südens, jetzt nicht mehr. Braucht der Süden noch diese Denkmäler? Ambrose Bierce hat in seinem Devil's Dictionary ganz entschiedene Ansichten: Monument, n. A structure intended to commemorate something which either needs no commemoration or cannot be commemorated. Vielleicht ist das größte Denkmal des Bürgerkriegs der Nationalfriedhof von Arlington. Auch da ist Marse Robert, dem Präsident Lincoln einmal das Kommando der Armee des Nordens angeboten hatte, noch gegenwärtig. Selbst wenn es da kein Denkmal für ihn gibt. Aber das Grün hier, das war alles mal seins. Seine Villa Arlington House hat man stehen lassen, auch eine Art von Denkmal. Lowells Satz: Their monument sticks like a fishbone in the city’s throat gilt nicht nur für Boston, der gilt für all die Denkmale des Bürgerkriegs. Sie standen da für die Erinnerung an die Geschichte. 

Man hätte sie stehen lassen sollen. Auch das kleine Monument für den Brigadegeneral Stand Watie hat man entfernt und eingelagert. A lot is going on in this country in terms of racial strife and the Cherokee Nation plays a role in healing, and this is one of the ways we can do that, hat der Sprecher der Cherokee Nation erklärt. In honor of Gen. Stand Watie, the only full blood Indian Brig. Gen. in the Confederate Army. This brave Cherokee rendered heroic service to the Confederate cause in Ind. Terr. Born in GA. Dec. 12, 1806, died in Cher. Nat. Sept. 9, 1871. A tribute to his memory by Okla. Div. United Daughters of the Confederacy. 'Lest we forget.' stand auf dem Denkmal. Politischer Ikonoklasmus hin und her, aber ein Land sollte zu seiner Geschichte stehen.

Sonntag, 30. Januar 2022

Dorothy Malone (once again)


Die amerikanische Schauspielerin Dorothy Malone wurde am 30. Januar 1924 geboren. Sie hatte am 30. Januar 2013 schon einen Post in diesem Blog, den stelle ich heute noch einmal in leicht überarbeiteter Form ein. Es ist nicht ganz dasselbe, es steht schon etwas mehr drin. Ich schreibe zur Zeit an mehreren Dingen, aber ich verheddere mich, nix ist fertig. Ich schreibe über die bunten Duchamp Hemden, wie ich das in style mixed angedeutet habe, aber ich beginne nicht 1989 im Jahre der Firmengründung von Duchamp, sondern 1870. Weil da zum ersten Mal die bunten Streifen, die sogenannten regatta stripes, auf den Hemden der englischen Gentlemen auftauchen. Das kann wieder lang werden. 

Das Cover von den Cahiers du Cinéma aus dem März 1958 täuscht darüber hinweg, dass überhaupt nichts über Dorothy Malone in dem Heft steht. Außer: Dorothy Malone et Rock Hudson sont, aux côtés de Robert Stack, les vedettes du film Universal en Cinéma-Scope 'La ronde de l’aube', tiré du célèbre roman de William Faulkner,  'Pylône' (édité en français par Gallimard). Avec le metteur en scène Douglas Sirk et le producteur Albert Zugsmith se trouve ainsi reconstituée l'équipe qui fit le succès de 'Ecrit sur du vent', pour lequel on avait décerné un Oscar à Dorothy Malone. Ein wenig mehr weiß man in Frankreich schon über Douglas Sirk und Dorothy Malone. François Truffaut wird über Written in the Wind schreiben, und Godard wird uns 1959 in den Cahiers du Cinéma versichern, dass wir es bei Sirk mit einem auteur zu tun haben. Die Auteur-Theorie ist damals eine große und wichtige Sache der Filmkritik.

Der Hamburger Hans Detlef Sierck, der sich nach seiner Emigration in die USA Douglas Sirk nannte, hatte ein Händchen dafür, Filmschauspielerinnen zu entdecken, sie zu förden, und sie plakativ ins Bild zu setzen. Ohne ihn hätte Zarah Leander nicht diesen Erfolg gehabt, den sie mit Zu neuen Ufern und La Habanera hatte. Barbara Stanwyck und Jane Wyman werden in seinen Filmen ihre besten Rollen haben. Und Dorothy Malone wird so gut wie nie zuvor in seinen Filmen sein. An agent kept calling me that there is a director from Europe who wants you and only you. He was every woman’s dream of a director. He was very Prussian, wore a scarf, and maybe he even had a walking stick. If he liked you, he was so much fun. I found him utterly charming. But it must have been terrible if he didn’t like you, hat sie über ihn gesagt.

Am Beginn ihrer Karriere war Dorothy Malone eine von vielen Schönheiten, die Hollywood auf der Leinwand präsentierte. Obgleich sie in The Big Sleep in ihrer ersten Sprechrolle schon Lauren Bacall die Show stahl. Aber dann legte sie das Image des All American Girl, des netten Mädchens von nebenan, ab. So wie sie in The Big Sleep die Brille abnimmt und in Handumdrehen von der kleinen Brillenschlange im Buchladen zum Vamp mutiert. Jetzt spielt sie verruchte Frauen, also soweit Hollywood verruchte Frauen erlaubt. Die haben in den fünfziger Jahren nicht mehr einen solchen Höhepunkt, wie sie ihn im Film Noir hatten, als es nur noch good-bad girls und femmes fatales zu geben schien. Rita Hayworth in Gilda wird unvergessen bleiben.

Zehn Jahre nach The Big Sleep entdeckte Douglas Sirk Dorothy Malone und gab ihr eine gewagte Rolle als frustrierte Nymphomanin in Written on the Wind. Was ihr sogleich einen Oscar einbrachte. Lauren Bacall nicht, obgleich die die Hauptrolle spielte. Das war das zweite Mal, dass Dorothy Malone der Bacall die Show stahl. Ich weiß nicht, ob die beiden jemals Freundinnen geworden sind. Unsere Sympathien (und die der Motion Picture Academy) sind natürlich auf der Seite von Dorothy.

Ich liebe sie wie selten einen Menschen im Kino, hat Rainer Werner Fassbinder gesagt. Denn wir lieben die verruchte Dorothy Malone und können deshalb die edle Lauren Bacall nicht ausstehen. Oder, wie Fassbinder es formulierte: Statt dass sie (Lauren Bacall) mit ihm (Robert Stack) saufen ginge, was begriffe von seinem Schmerz, wird sie immer edler und reiner und immer mehr zum Kotzen, und immer deutlicher sieht man, wie sehr sie eigentlich zu Rock Hudson passen würde, der auch zum kotzen ist und auch edel. Irgendwie hat Fassbinder diesen Film instinktiv begriffen - was natürlich niemanden wundert, weil Douglas Sirk für ihn ein großes Vorbild ist. Written on the Wind ist ein Melodrama in den kitschigsten Farben, die Technicolor zu bieten hatte. 

Wenn Lauren Bacall mit Robert Stack gelebt hätte, statt neben, von ihm und für ihn zu leben, dann hätte er auch glauben können, dass das Kind, das sie kriegt, auch wirklich das seine ist. Er hätte nicht zu stöhnen brauchen. So aber ist sein Kind im Grunde wirklich eher eins von Rock Hudson, obwohl der es nie mit Lauren getrieben hat. Dorothy macht etwas Böses, sie hetzt ihren Bruder auf gegen Lauren und Rock. Trotzdem liebe ich sie wie selten einen Menschen im Kino, ich bin als Zuschauer mit Douglas Sirk auf den Spuren der Verzweiflung der Menschen. In 'Written on the Wind' ist das Gute, das 'Normale', das 'Schöne' immer sehr eklig, das Böse, das Schwache, das Haltlose öffnet das Verständnis. In diesem Haus, das Sirk sich hat für die Hedleys bauen lassen, da müssen die Gefühle die seltsamsten Blüten treiben.

Das Licht bei Sirk ist immer so unnaturalistisch wie möglich. Schatten, wo keine sein dürften, helfen, Empfindungen plausibel zu machen, die man sich gern fremd halten möchte. Genauso die Einstellungen in 'Written on the Wind', fast nur schräge, meist von unten, so ausgesucht, dass das Fremde an der Geschichte nicht im Kopf des Zuschauers passiert, sondern auf der Leinwand. Douglas Sirks Filme befreien den Kopf. Er hat auch noch gesagt: Sirk hat gesagt, man kann nicht Filme über etwas machen, man kann nur Filme mit etwas machen, mit Menschen, mit Licht, mit Blumen, mit Spiegeln, mit Blut, eben mit all diesen wahnsinnigen Sachen, für die es sich lohnt. Sirk hat außerdem gesagt, das Licht und die Einstellung, das ist die Philosophie des Regisseurs.

Written on the Wind ist, wie so vieles bei Douglas Sirk, Kitsch. Er drehe women's weepies haben seine Kritiker gesagt. Wim Wenders hat ihn den Dante der Soap Operas genannt. Es ist ein im höchsten Maße artifizieller Kitsch - wahrscheinlich war es das, was Fassbinder so anzog. Er hat auch nette Dinge über The Tarnished Angels (deutsch: Duell in den Wolken) gesagt. Ein Film über das Scheitern, wie Written on the Wind - von einem passionate interest in failure hatte er in seinem Interview gesprochen, das Jon Halliday als Sirk on Sirk veröffentlicht hat. Sirk ist der Regisseur, der uns in opulenten Melodramen immer wieder zeigt, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt. Und natürlich befreien seine Filme den Kopf.

Bosley Crowther von der New York Times konnte dem Film nichts abgewinnen, er schrieb über ihn, er sei badly, cheaply written by George Zuckerman and is abominably played by a hand-picked cast. The sentiments are inflated — blown out of all proportions to the values involved. And the acting, under Douglas Sirk's direction, is elaborate and absurd. Doch in einer neueren Rezension in derselben Zeitung schreibt sein Kollege Dave Kehr: 'The Tarnished Angels' is among Sirk’s most self-conscious and artistically ambitious creations.... This is bravura filmmaking in the service of a haunting vision. Yet there are moments of almost microscopic subtlety: the camera movement that expresses the moral reversal of the Hudson and Stack characters, one growing larger than the other; the infinite tenderness with which Hudson strokes Ms. Malone’s hair, helplessly trying to comfort her after a shock.

Es gibt wenige Filme, die die Kritiker derart entzweien. Ich lasse jetzt mal Pauline Kaels Satz 'The Tarnished Angels' is the kind of bad movie that you know is bad—and yet you’re held by the mixture of polished style and quasi-melodramatics achieved by the director, Douglas Sirk beiseite. William Faulkner, dessen Roman Pylon hier zwanzig Jahre später verfilmt wurde, mochte das Drehbuch nicht (er hatte auch das Angebot, das Drehbuch selbst zu schreiben, abgelehnt). Doch er mochte das Endergebnis: Thought it was pretty good, quite honest. Fügte dem aber hinzu: But I'll have to admit I didn't recognize anything I put into it. Und trotz dieser netten Ironie war er der Meinung, dass dies die gelungenste Verfilmung eines seiner Romane sei.

Frederick Karl wußte in seiner Faulkner Biographie über den Film nur zu sagen: the film was undercut from the start by the miscasting of Dorothy Malone in the role of Laverne. Malone was a fine actress, but the quality of Laverne could perhaps only be caught by someone with an outlaw dimension like Joan Crawford or Barbara Stanwyck. Wahrscheinlich ist Frederick Karl in den vierziger Jahren zum letzten Mal im Kino gewesen, das Beste an seiner 1.100-seitigen Faulkner Biographie ist, dass sie sich als Türstopper eignet. Wenn Sie eine gute Faulkner Biographie lesen wollen, dann lesen Sie Joseph Blotner Faulkner: A Biography, Peter Nicolaisen William Faulkner in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten oder Stephen B. Oates William Faulkner. Sein Leben, sein Werk.

The Tarnished Angels soll (wie der Roman Pylon) in den dreißiger Jahren spielen, doch die dreißiger Jahre sehen hier sehr wie die fünfziger Jahre aus. Auch wenn der Film nicht in den grauenhaften Technicolor Farben gedreht worden ist, über die Frieda Grafe sagte: Die Farben nehmen einen an der Hand. Sie sind der verbindende rote Faden zwischen den Personen. Durch sie dringt etwas in die Menschen ein, das erst nach und nach sich zu Gefühlen konkretisiert. Den Film in Schwarzweiß zu drehen war keine künstlerische Entscheidung von Sirk, Universal hatte kein Vertrauen auf einen kommerziellen Erfolg und spendierte dem Regisseur nur das billigere Schwarzweißfilmmaterial.

Dieser Schwarzweißfilm bemüht sich nicht, sich an der Photographie der FSA Photographen der dreißiger Jahre zu orientieren, ist niemals körnig, dunkel, schmutzig. Dies ist nicht the real thing. Dies ist wie ein Filmtitel von Sirk: Imitation of Life. Eine high key Ausleuchtung im fifties style, wie Universal es gerne haben möchte. Nichts mehr mit Film Noir. Es ist der Stil der Zeit. Wäre Cat on a Hot Tin Roof in Schwarzweiß gedreht, würde er genauso aussehen. Dazu zerstört das neue Cinemascope Format jede Möglichkeit - die John Ford bei der Verfilmung von Steinbecks The Grapes of Wrath noch hatte - der Simulation eines Films der dreißiger Jahre. Jedes Bild ist bis in die Ecken durchkomponiert, hat er das an der Universität Hamburg bei Panofsky gelernt? Another influence on me was Erwin Panofsky, later the great art historian, under whom I studied. I was one of the select in his seminar, and for him I wrote a large essay on the relations between medieval German painting and the miracle plays. I owe Panofsky a lot.

Douglas Sirk dreht Written in the Wind ein Jahr später noch einmal. Dieselben Darsteller (Dorothy Malone, Rock Hudson, Robert Stack), aber ein besseres Buch (in 'Written on the Wind', the whole story is artificial), und natürlich wieder ein Melodrama. Andrew Sarris (ein Kritiker, dem man mehr Vertrauen schenken kann als Bosley Crowther) hat das sehr schön formuliert: Even in most dubious projects, Sirk never shrinks away from the ridiculous, but by a full-bodied formal development, his art transcends the ridiculous, as form comments on content. Und 'Written on the Wind' and 'Tarnished Angels' become more impressive with each passing year. Die deutsche Filmkritikerin Frieda Grafe hat die Wirkung der Sirkschen Melodramen plakativ mit Entweder heult man, oder man kotzt beschrieben.

Jetzt pumpt er Faulkners Pylon voll mit Melodrama und Sentimentalität. Seit er in den dreißiger Jahren das Buch gelesen hatte, wollte er es verfilmen. Und das Melodrama ist für ihn die einzige Möglichkeit, das amerikanische Publikum einzufangen: As a theater man, I had to deal with high art. I would play farces and comedy to make money, and classics for the elite. But we were trying to escape the elitaire. So slowly in my mind formed the idea of melodrama, a form I found to perfection in American pictures. They were naive, they were that something completely different. They were completely artless. This tied in with my studies of the Elizabethan period, where you had both l'art pour I'art and you had Shakespeare. He was a melodramatist, infusing all those silly melodramas with style, with signs and meanings. There is a tremendous similarity between this and the Hollywood system — which then I knew from only far away. Shakespeare had to be a commercial producer.

Dorothy Malone, die in gewissem Sinne William Faulkner ihre Karriere verdankt - er hatte das Drehbuch zu Chandlers The Big Sleep geschrieben - bedankt sich jetzt bei Faulkner. Gibt ihm durch ihre schauspielerische Leistung ein wenig Dank zurück. Spielt die LaVerne Shuman mit der abgebrühten toughness der Great Depression, und gleichzeitig ist sie so zart und zerbrechlich. So gut wie in den Filmen von Douglas Sirk ist sie nie wieder gewesen (obgleich man sie in dem Western Warlock, der Fernsehserie Peyton Place und bei ihrem Kurzauftritt in Basic Instinct gerne gesehen hat): Then there is Ms. Malone, who won a supporting actress Oscar for her work in 'Written on the Wind' but gives the true performance of her career here as an angelic figure dressed in white and lighted with searing brightness by Sirk. Her large, pale eyes convey reserves of sadness and experience that the Hudson character will never know (Dave Kehr).

Dorothy Malone hatte noch Erfolg in der Serie Peyton Place, wo sie die Rolle spielte, die Lana Turner in der Kinoversion von Peyton Place hatte. Die Rolle von Miss Ellie Ewing in Dallas lehnte sie ab. Als Malone neben Sharon Stone in Basic Instrinct erschien, lagen ihre großen Erfolge schon Jahrzehnte zurück, aber ganz vergessen war sie nie. Sie ist am 19. Januar 2018, zehn Tage vor ihrem vierundneunzigsten Geburtstag, gestorben. Aber sie lebt weiter in ihren Filmen. Die große Douglas Sirk Collection mit sieben DVDs kostet bei Amazon 35,81 €, der Kauf lohnt sich auf jeden Fall. Wenn Sie Dorothy Malone singen hören wollen, klicken Sie hier. Und ganz, ganz viele Bilder von Dorothy Malone finden Sie hier und hier. Den Film The Tarnished Angels gibt es hier natürlich auch.