Ich muss bis halb zwei in der Nacht im Kino wachbleiben, dann kann ich zum ersten Mal in meinem Leben meinen Namen auf der Kinoleinwand lesen. Im Abspann von Gabis Film über den englischen Maler Francis Bacon. Irgendwie hatte die Festspielleitung diesen Film wohl als einen loser eingestuft, so dass er als letzter bei dem Lübecker Festival gezeigt wurde. Das war mir jetzt egal, mein Name flackerte für einen Augenblick auf der Leinwand. Gabi hatte mir einen Dank ausgesprochen, weil ich ihr erklärt hatte, dass man einen Film schneiden muss. Sie hatte ihren Kurzfilm, für den sie Mittel der Frauenförderung erhalten hatte, penibel Szene für Szene nacheinander gedreht. Vom editing hatte sie noch nie etwas gehört. Und so lagen wir dann einen halben Tag auf dem Teppich vor meinem Fernseher, beide mit viel Papier und mehrfarbigen Kugelschreibern ausgestattet. Wir stoppen die Längen von Szenen und markieren auf unserem Fahrplan, wie und was geschnitten werden muss. Danach holt sich Gabi bei der AG Film der Uni einen von Kurt Denzers jungen Leuten, der ihr den Schnitt macht. Ich bin kein Regisseur, kein Praktiker, so wie Kurt Denzer das ist. Aber ich verstehe viel von Filmen, weil ich einen großen Teil meines Lebens im Kino verbracht habe. Und mein Name mittlerweile auf zahlreichen Büchern oder in Artikeln steht, die das Wort Film im Titel haben. Und meine Filmbibliothek mehrere Meter in den Bücherregalen einnimmt. Und ich besitze sogar einen Kinoschlips, den Heike mir mal geschenkt hat. Der ist aus durchsichtigem Kunststoff, innen drin kann man kleine Filmstreifen und Popcorn sehen. So was muss man als Cineast unbedingt haben.
Als ich noch klein bin, gibt es noch keine Fernsehgeräte. Aber es gibt überall Kinos. Bei uns im Ort allein drei. Eins in der Breiten Straße, wo ich auf dem Weg zur Schule immer alle Filmphotos angucke. Eins in der Gerhard Rohlfs Straße neben dem Schreibwarengeschäft Six, und dann das Roxy unten in der Hafenstraße. Und natürlich gibt es ein Kino in Grohn. Und in Blumenthal oben am Berg, wo Tante Tilla und Hannelore nach dem Tod von Onkel Gustav wohnen. Und Vati mal fünfzig Meter weiter seine Praxis hatte, als wir noch nicht in unser Haus konnten, weil da die Amerikaner drin waren. Und dann gibt es noch die vielen Kinos in Bremen. Da gibt es auch ein AKi, ein Aktualitätenkino, in dem kann man stundenlang (oder auch tagelang) drin bleiben, Kino als Endlosschleife. Normalerweise sind diese Akis in Deutschland ja am Bahnhof, um den Reisenden die Zeit zwischen zwei Zügen zu vertreiben, aber in Bremen ist es in der Sögestraße. Die Akis zeigen keine guten Filme, allerdings habe ich 1965 im AKi in der Sögestraße Francesco Rosis Augenblick der Wahrheit gesehen. Das Kino hatte sich zwar gerade in UFA Sögestraße umgetauft, ist aber eigentlich das alte AKi geblieben. Ich bin auch drin sitzengeblieben, um den Anfang des Filmes noch einmal zu sehen. Die guten Filme sind eigentlich den Erstaufführungskinos und den Lichtspieltheatern vorbehalten, in den sechziger Jahren zeigen die AKis nur noch drittklassige Western und Schmuddelfilme. Aber da sind auch andere Bremer Kinos in der Krise, zwischen 1961 und 1965 schließen neunzehn Häuser in ganz Bremen.
Das Puschenkino zeigt seine Auswirkungen. Hollywood reagiert auf die neue Konkurrenz mit Filmen von epischer Länge und dem Breitwandformat. Günther Köpp lädt uns zu Porgy und Bess in ein neues Kino in Walle ein. Für den Film kriegt man angeblich schon keine Karten mehr, weil er solch eine Sensation ist, ein Breitwandsuperformat, Todd AO, oder wie das heißt. Und Lautsprecherbeschallung von allen Seiten. Unglücklicherweise hat Doktor Köpp nur Karten für die erste Reihe gekriegt. Rasiersitz, wie man so schön sagt. Gab es keine anderen Karten mehr, oder war er zu knickerig? Mit dem 360 Grad Rundumkrach und der riesigen flackernden Leinwand sehnte ich mich nach unserer Aula und den harten Klappstühlen zurück, die die Lürssen Werft unserer Schule spendiert hatte. Da hörte man zwar das Rattern und Schnurren des Filmprojektors im Mittelgang, und die Lautsprecher waren auch nie richtig ausgesteuert, aber dies hier war nichts für angehende Cineasten. Kurz nachdem Diahann Carroll Summertime, and the living is easy gesungen hatte, habe ich das Kino verlassen. Bin mit dem Bus in die Innenstadt gefahren und bin im studio für filmkunst in die zweite Nachmittagsvorstellung gegangen. Günther Köpp war mir hinterher wochenlang böse.
Wenn man noch klein ist und allein ins Kino darf, dann sind das Jugendvorstellungen am Sonntagmittag, die können bei Kindern offenbar keinen Schaden anrichten. Unglücklicherweise laufen in der Scala in der Breiten Straße immer nur Western mit Fuzzy. Wenn man einen davon gesehen hat, braucht man keinen zweiten zu sehen. Dann lieber Kalle Blomquist, der Meisterdetektiv im Radio hören. Einmal war ich alleine in Grohn im Kino, da war es schon dunkel, als ich nach Hause ging. Das war ein bisschen unheimlich, weil die Straßenbeleuchtung in Grohn 1950 nicht so toll war, und ich mich in dem Ort auch nicht wirklich auskannte. Außerdem regnete es in Strömen. Ich war sieben, und ich war traurig, irgendwie hatte ich für einen Augenblick dieses Gefühl der Einsamkeit, das ich im Kinderheim in Norderney gehabt hatte. Bambis Mutter war gerade gestorben.
Wenn man mit den Eltern ins Kino geht, dann gibt es immer Heimatfilme. Also das, was heute ARD und ZDF jeden Sonntag in der Mittagszeit wieder hervorholen. Das sind für mich heute, wie wahrscheinlich für viele meiner Generation, Nostalgieveranstaltungen. Nicht dass meine Eltern diese Filme besonders liebten, aber man geht damals ja auch wegen der Wochenschau ins Kino. Das ist immer aufregend, das Geschehen der ganzen Welt in Schwarzweiß, mit dramatischer Musik untermalt. Und dann gibt es noch einen bildenden Kulturfilm, bevor der Hauptfilm anfängt. Die Kulturfilme sind immer das Schlimmste, so etwas Ähnliches gibt es auch im Schulunterricht. Da flackern auf den Filmen immer die Buchstaben FWU, und da weiß man schon, dass das jetzt wieder ein Lehrfilm aus Göttingen ist. Die sind noch schlimmer als Fuzzy Western.
Wenn man noch klein ist und allein ins Kino darf, dann sind das Jugendvorstellungen am Sonntagmittag, die können bei Kindern offenbar keinen Schaden anrichten. Unglücklicherweise laufen in der Scala in der Breiten Straße immer nur Western mit Fuzzy. Wenn man einen davon gesehen hat, braucht man keinen zweiten zu sehen. Dann lieber Kalle Blomquist, der Meisterdetektiv im Radio hören. Einmal war ich alleine in Grohn im Kino, da war es schon dunkel, als ich nach Hause ging. Das war ein bisschen unheimlich, weil die Straßenbeleuchtung in Grohn 1950 nicht so toll war, und ich mich in dem Ort auch nicht wirklich auskannte. Außerdem regnete es in Strömen. Ich war sieben, und ich war traurig, irgendwie hatte ich für einen Augenblick dieses Gefühl der Einsamkeit, das ich im Kinderheim in Norderney gehabt hatte. Bambis Mutter war gerade gestorben.
Wenn man mit den Eltern ins Kino geht, dann gibt es immer Heimatfilme. Also das, was heute ARD und ZDF jeden Sonntag in der Mittagszeit wieder hervorholen. Das sind für mich heute, wie wahrscheinlich für viele meiner Generation, Nostalgieveranstaltungen. Nicht dass meine Eltern diese Filme besonders liebten, aber man geht damals ja auch wegen der Wochenschau ins Kino. Das ist immer aufregend, das Geschehen der ganzen Welt in Schwarzweiß, mit dramatischer Musik untermalt. Und dann gibt es noch einen bildenden Kulturfilm, bevor der Hauptfilm anfängt. Die Kulturfilme sind immer das Schlimmste, so etwas Ähnliches gibt es auch im Schulunterricht. Da flackern auf den Filmen immer die Buchstaben FWU, und da weiß man schon, dass das jetzt wieder ein Lehrfilm aus Göttingen ist. Die sind noch schlimmer als Fuzzy Western.
Jahrzehnte später werde ich einen schlimmen déjà vu Augenblick haben, wenn Kurt Denzer uns Filmwissenschaftlern von der Uni vormacht, wie ein Filmemacher einen Dokumentarfilm analysiert. Er nahm dafür den Film Glas, der sicherlich unter ästhetischen Gesichtspunkten dafür hervorragend geeignet ist, mich aber an die schlimmen Zeiten der Kulturfilme erinnerte. Denn das will man ja nicht sehen, wenn man jetzt in der Pubertät ist, man will endlich richtige Filme sehen. Sicherlich würde man gerne unbekleidete junge Frauen im Kino sehen, aber diese Sorte Kino gibt es noch nicht. In Vegesack erst recht nicht. Und Ruth Leuwerik und Sonja Ziemann würden sich auch nie nackt auf der Leinwand zeigen. Wer wollte die auch nackt sehen?
Im Kunstfilm der Zeit erregt der Busen von Ulla Jacobsen in Sie tanzte nur einen Sommer die Nation. Es ist ein anderer Film als Ich denke of an Piroschka, aber eigentlich genau so harmlos. Ulla Jacobsen war bekleidet (oder für wenige Sekunden nackt) aber viel hübscher als Lieselotte Pulver oder Hannerl Matz. Aber als ich endlich alt genug bin (oder so aussehe, als ob ich alt genug wäre), um den Film zu sehen, muss ich sagen, dass ich nicht weiß, was hier skandalös sein soll. Als wir alt genug sind, um schöne Schwedinnen im Film zu sehen (Ingmar Bergman hatte immer die schönsten Frauen), da interessierte uns das nicht mehr so sehr, weil wir da längst schöne Schwedinnen in Schweden oder Dänemark am Strand gesehen hatten.
Diese traurige Liebesgeschichte mit dem schwedischen Sommer war aber hervorragend photographiert, mit viel Gelbfilter, was die Wolken und das Flirren der Sonne auf dem Wasser hervorragend herausbrachte. Auf solche Dinge achten wir jetzt nämlich, wir haben alle mindestens einen Photoapparat, wenn nicht sogar zwei, und wir lesen alles, was man über die Photographie bekommen kann. Wir würden ja auch alles über Filme lesen, aber damals gibt es (wenn man von Magazinen wie Film und Frau absieht) noch nicht die Literatur, die es heute zu beinahe jedem Film im überreichen Maße gibt. Wahrscheinlich gibt es bei der Explosion des Filmbuchmarktes inzwischen auch schon Dissertationen über Fuzzy. Was es gibt, ist die Illustrierte Film-Bühne, jene schlechtgedruckten braunen oder grünen Heftchen, die man an der Kasse kaufen kann. Dramatische Szenenphotos und eine kurze Inhaltangabe, aber für das Geld kann man schon bei Chiamulera gegenüber von der Scala hinterher ein Eis kaufen. Vielleicht hätte man sie doch kaufen und sammeln sollen. Die bringen auf Flohmärkten schon richtiges Geld.
Glücklicherweise gibt es aber Reprints, die Joe Hembus herausgegeben hat. Wenn ich die Illustrierte Film-Bühne auch nicht kaufe oder aufbewahre, die Drehbücher von L’Avant-Scène, die ich in Paris gekauft habe (oder jene, die Peter mir geschenkt hat), die habe ich immer noch. Film und Frau mit den frühen Modephotos von F. C. Gundlach (hier sein Portrait von Ruth Leuwerik) hat nicht zu meiner Welt gehört, da es nicht in den Lesemappen enthalten war, die Vati für das Wartezimmer abonniert hatte, und die am ersten Tag immer von der Familie gelesen wurden. Außerdem waren es die falschen Frauen und die falschen Filme. Alles nur Glamour und high key Ausleuchtung. Heute kosten Einzelhefte auch schon leicht zehn Euro, aber das zahlen Sammler auf dem Flohmarkt auch für Familienphotos von Unbekannten aus den dreißiger Jahren. Ich frage mich immer, was sie damit wollen. Wollen sie sich eine imaginäre Vergangenheit zurechtlegen? Die Dokumentation eines Lebens in Filmen kann ich ja verstehen, denn diese Filme sind mein Leben gewesen. Aber was soll ich mit falschen Bildern?
Unser Gymnasium hat einen Schülerfilmclub, das hat jetzt wahrscheinlich jedes Bremer Gymnasium. Wenn man im Vorstand ist, darf man in Bremen bei der Landesbildstelle den Filmvorführerschein machen. Wuddel hat den natürlich. Die Filme werden vom Vorstand des Filmclubs ausgewählt, der Direktor und der Vertrauenslehrer Dr Friedrich Freese sind aber dabei. Manchmal gibt es erregte Diskussionen, wie bei dem Schimmelreiter von 1934 mit Marianne Hoppe. Es gibt Einwände, dass dies eigentlich ein Nazifilm ist, in dem Hauke Haien zu einer übermächtigen Führerfigur wird. Aber es ist auch eine Literaturverfilmung, das adelt einen Film beinahe immer. Denn im Unterricht wird ja auch gerade Der Schimmelreiter gelesen (ich lese daneben noch Aquis submersus in einer alten Reclamausgabe von Opa). Der Film ist aber hervorragend photographiert, also siegt die Filmkunst über die Ideologie.
Das Angebot der Filme ist begrenzt, denn die wirklich guten Filme sind den Filmkunsttheatern vorbehalten, wie dem neu gegründeten studio für filmkunst am Herdentorsteinweg in Bremen oder dem Atlantis Filmtheater in der Böttcherstraße. Das wendet sich an Cineasten, also das, was wir gerade werden. Obgleich wir das Wort Cineasten noch gar nicht kennen. Der einzige cineastische Film, den wir damals sehen, ist Bardems Tod eines Radfahrers mit der wunderschönen Lucia Bosé. Und Männern in tollen Trenchcoats (von dem Sportwagen ganz zu schweigen). Schöne Frauen und tolle Trenchcoats möchte damals jeder haben, einen Führerschein haben wir noch nicht. Und der einzig tolle Sportwagen, den man in Bremen sehen kann, ist der Facel Vega kurz vorm Weserstadion. In einem Facel Vega ist Albert Camus umgekommen, das wissen wir, weil wir jetzt Exis sind, Camus und Sartre lesen und Juliette Gréco hören.
Während ich damals über alle gelesenen Bücher sorgfältig Buch führe, habe ich das mit Filmen nicht getan. Häufig steht in meinen Tagebüchern aus den frühen sechziger Jahren einfach nur Film. Aber für das Jahr 1962 findet sich an einer Stelle eine unvollständige Liste für ein dreiviertel Jahr: Ninotschka, Jakubowsky und der Oberst, Letztes Jahr in Marienbad, Hamlet, Das siebte Siegel, Frühstück bei Tiffany, Fanfan der Husar, Saat der Gewalt, Boccaccio ’70, Sie küssten und sie schlugen ihn, Wilde Erdbeeren, Privatleben, Faust, Mondo Cane, Aimez-vous Brahms?, Ein Amerikaner in Paris. Mondo Cane habe ich in Hannover gesehen, als ich da drei Tage zur Aufnahmeprüfung für Reserveoffizieranwärter war. Da hatte mich jemand überredet, mit ihm da reinzugehen, alle Welt redete von dem Dokumentarfilm. Der Film war grässlich, aber ein Vorgeschmack auf das, was noch an Grässlichem auf Zelluloid serviert werden würde. Letztes Jahr in Marienbad habe ich dreimal gesehen, aber bis heute noch nicht verstanden. Privatleben von Louise Malle mit Brigitte Bardot würde ich jederzeit wieder anschauen (obgleich Fahrstuhl zum Schafott natürlich viel besser ist). Ich dachte, dass ich Aimez-vous Brahms in Berlin gesehen hätte. Die haben tolle Kinos damals in Berlin, den Zoo Palast, das Delphi nicht weit davon und das Astor am Kurfürstendamm. Aber hier im Tagebuch steht Roxy dabei, das ist in Vegesack in der Hafenstraße. Wahrscheinlich war ich im Herbst noch einmal mit Traute in Berlin in dem Film. Damals sah ich auch ein wenig so aus wie Anthony Perkins, trug auch solche Sachen, wie er sie in den Film trägt.
Es gibt damals noch andere Filme außer denen, die in den Lichtspieltheatern (welch schönes, ausgestorbenes Wort!) gezeigt werden. Da wo es Vorhänge und Zwischenvorhänge gibt, und die Platzanweiserinnen uniformähnliche Kostüme und kleine Häuschen tragen. Und das sind Filme, die nicht im Kino gezeigt werden. Filme in Worten. Filme, die man gesehen hat und die man jetzt seinen Freunden erzählt. Die Filmerzählung wird zu einer Kunst, in der Handlung und Kameraeinstellungen sorgfältig beschrieben werden, bis jeder die Szene vor Augen hat. Ekke, der als einziger irgendwo Arsen und Spitzenhäubchen gesehen hat, erzählt mir den Film, wenn wir nach James Tröbs kräftezehrenden Sportunterricht unten auf dem Sportplatz den Berg der Poststraße zurück zur Schule schlurfen. Als ich Frank Capras Film endlich eines Tages sehe, kenne ich jede Szene. Das ist die Macht einer guten Filmerzählung.
Eine Stufe höher als unsere Filmerzählungen wird der Film eines Tages in die Literatur wandern. Wenn ich Guillermo Cabrera Infante lese, habe ich das Gefühl, ich hätte einen Zwilling auf Kuba in den fünfziger Jahren gehabt. Seine filmversessenenen Romanfiguren sind uns so ähnlich. Autoren werden anfangen, filmisch zu denken und zu schreiben. Obgleich gute Autoren das schon immer getan haben, und Joseph Conrad im Vorwort zu The Nigger of the Narcissus davon gesprochen hat, dass es sein Ziel sei to make you see. Und Fitzgerald (der Conrad bewunderte) beinahe statt Romanen Filme schreibt, sein Great Gatsby ist ja schon ein halbes Drehbuch. Und John Fowles hat gesagt, dass er den Anfang von The French Lieutenant’s Woman wie ein Kinobild im Kopf gehabt hat. Und dann kommt Rolf Dieter Brinkmann aus dem traurigen katholischen Kaff Vechta, wo außer der Strafanstalt nichts los ist und redet von dem Film in Worten. Und schreibt Filme in seine Gedichte hinein. Kopfkino. Von nun an wird man Autoren nicht mehr danach beurteilen, was sie schreiben, sondern ob die Filme, die sie in ihre Werk hineinschreiben, auch unsere Filme sind.
Frauen haben damals aber häufig einen ganz anderen Filmgeschmack als wir. Ich werde nie vergessen, dass Renate mich in Die Kraniche ziehen geschleppt hat, der in einem Kino hinten in der Hammersbeker Straße gespielt wurde. Sie fand den Film toll, ich fand ihn nur russisch patriotischen Kitsch, gut photographiert, aber sentimental. Durfte ich damals aber nicht sagen. Unsere Eltern würden es ja begrüßen, wenn wir Die Mädels vom Immenhof gut finden würden, aber darüber sind wir längst hinaus. Für uns zählen jetzt nur noch der italienische Neorealismus und französische Filme (aber auf keinen Fall das Tagebuch eines Landpfarrers, das es im Schülerfilmclub gab). Bei der jetzt beginnenden nouvelle vague sind wir von Anfang an dabei. Obgleich Georg das etwas abschätzig französisches Sabbelkino nennt. Truffauts Sie küssten und sie schlugen ihn gab es sogar in unserem Filmclub. Für den stimmte der Direktor aber nur, weil der Film etwas mit Schule und Pädagogik zu tun hat. Deshalb wurde im gleichen Schuljahr wahrscheinlich auch Die Saat der Gewalt gezeigt. Natürlich gehen wir in dieser Zeit auch, zum Missfallen der Eltern, in amerikanische Western. Richtige Western, die nichts mehr mit Fuzzy gemein haben. Der einzige Western, den unsere Eltern akzeptieren, ist Zwölf Uhr Mittags mit Gary Cooper und Grace Kelly, den die deutsche Presse einen Edelwestern nennt. Aber richtige Western müssen Western von John Ford sein, oder John Wayne muß darin mitspielen, etwas anderes geht gar nicht.
Für den richtigen französischen Cineasten fehlt uns noch der filmtheoretische Überbau, wir haben zwar in dieser Phase, wo wir Exis sind und Tweedjacketts und schwarze Rollkragenpullover tragen, den rive gauche Look, aber noch nicht die richtigen Götter der Filmtheorie. Wir wissen noch nicht, dass André Bazin den amerikanischen Western filmtheoretisch als le cinéma américain par exellence geadelt hat. Und wir haben auch verpasst (was mir heute noch unerklärlich ist), dass das erste Buch über den Western, Jean-Louis Rieupeyrouts Le Western, Ou le cinéma américain par excellence, in deutscher Übersetzung 1963 bei Schünemann in Bremen erschienen ist. In einer Reihe, die Ein City-Buch hieß, mit einem Klappentext von Walter H. Schünemann, aber einwandfrei die deutsche Übersetzung des Originals, sogar noch vom Autor für diese Ausgabe erweitert. Und natürlich von Joe Hembus herausgegeben, dessen Western-Lexikon wir wenig später auswendig lernten. Der deutsche Rieupeyrout ist heute nicht mehr zu bekommen, mein Exemplar hat mich vor Jahrzehnten im Antiquariat zehn Mark gekostet. Es zählt heute zu meinen seltensten Bremensien.
Wenn ich mir anschaue, was in den fünfziger und sechziger Jahren in den Cahiers du Cinéma diskutiert wird, dann ist unser Filmprogramm gar nicht so verschieden von dem der französischen Cineasten. Mein Leben mit dem Film ist nicht so verschieden von Truffauts alter ego Antoine Doinel. Ich kann auch von Glück sagen, dass Michelangelo Antonioni, die nouvelle vague und polnische Filme wie Das Messer im Wasser und Asche und Diamant in meine kinobegeisterte Jugend fallen. Wenn man heute jung wäre und mit dem ganzen Hollywood Schrott aufwachsen müsste, könnte man dann ein Filmliebhaber werden? Interessant ist der Zugewinn an Status beim Filmkritiker, der dank der Intellektualisierung dieser Spielart der Literaturkritik durch die Franzosen plötzlich immer wichtiger wird. Man hat damals das Gefühl, dass der ganze intellektuelle Diskurs nicht mehr in philosophischen oder philologischen Fachzeitschriften geführt wird, sondern in den Cahiers oder dem deutschen Ableger Filmkritik.
Kein Intellektueller (oder jemand, der sich so geriert) in den sechziger Jahren, der nicht auch Filmkritiker ist. Selbst wenn man nur für kleine hektographierte Blättchen schreibt, wenn man Filmkritiker ist, ist man jetzt ganz oben. Und die deutschen Filmkritiker sind schon gut, obgleich sie sich meiner Meinung nach zu stark an den Franzosen orientieren. Während ich, weil ich jede Woche den Observer oder die Sunday Times (manchmal auch beide) lese, eher für Dilys Powell schwärme. Selbst wenn man den sogenannten Neuen Deutschen Film nicht so mag (kein Vergleich zur nouvelle vague), bei dem alle Jungregisseure auch Filmkritiker sind, ist das Niveau bei den Leuten, die jetzt die blaue Reihe Film bei Hanser machen, schon sehr hoch. Also Leute wie Wolfram Schütte. Oder Uwe Nettelbeck bei der Zeit. Oder Blumenberg, Syberberg, Bitomsky und wie sie alle heißen. Oder Enno Patalas und Frieda Grafe nach einem gemeinsamen Kinobesuch (wie können Frauen und Männer die gleiche Meinung über einen Film haben?). Wir haben einen Höhepunkt der Filmkritik, den wir nie wieder bekommen werden. Selbst in Schüler- und Studentenzeitungen kann man einen Abglanz davon sehen. Natürlich leider nicht in den Bremer Nachrichten oder der Norddeutschen Volkszeitung.
Bernhard Wickis Antikriegsfilm Die Brücke hat es in unserem Schülerfilmklub auch gegeben. Der Film hebt sich ja ab von den vielen deutschen Filmen, die den Zweiten Weltkrieg zum Thema haben. Die sind damals ein Teil der Kultur der jungen Republik, und sie werden von unseren Eltern mit gemischten Gefühlen betrachtet. Also Filme wie Haie und kleine Fische, Hunde, wollt ihr ewig leben oder Des Teufels General. Etwas anderes als Leisers beklemmendes Mein Kampf. So hervorragende DDR Filme wie Konrad Wolfs Ich war Neunzehn haben damals nicht den Weg zu uns gefunden (gab es erst 1971 im Fernsehen). Jedes Deutschland bewältigt jetzt seine Vergangenheit selbst, ob mit dem schneidigen Joachim Hansen in Stern von Afrika oder Joachim Fuchsberger (den ich von Peters Erzählungen kenne, weil er mal als kleiner Junge in einem Heimatfilm bei Blacky auf dem Schoß gesessen hat) in Die grünen Teufel von Monte Cassino.
Bernhard Wickis Antikriegsfilm Die Brücke hat es in unserem Schülerfilmklub auch gegeben. Der Film hebt sich ja ab von den vielen deutschen Filmen, die den Zweiten Weltkrieg zum Thema haben. Die sind damals ein Teil der Kultur der jungen Republik, und sie werden von unseren Eltern mit gemischten Gefühlen betrachtet. Also Filme wie Haie und kleine Fische, Hunde, wollt ihr ewig leben oder Des Teufels General. Etwas anderes als Leisers beklemmendes Mein Kampf. So hervorragende DDR Filme wie Konrad Wolfs Ich war Neunzehn haben damals nicht den Weg zu uns gefunden (gab es erst 1971 im Fernsehen). Jedes Deutschland bewältigt jetzt seine Vergangenheit selbst, ob mit dem schneidigen Joachim Hansen in Stern von Afrika oder Joachim Fuchsberger (den ich von Peters Erzählungen kenne, weil er mal als kleiner Junge in einem Heimatfilm bei Blacky auf dem Schoß gesessen hat) in Die grünen Teufel von Monte Cassino.
Wenn auch manche dieser Filme durchaus kritisch sind, die Vielzahl ist es nicht. Und als Drehbuchautoren und Regisseure wirken da noch viele, die auch bei den Nazis im Filmgeschäft waren. Und nicht nur bei diesen Kriegsfilmen, die sitzen auch noch im Establishment des Fernsehens. In diesen Filmen kann man sich ein paar schöne Stunden mit der unbewältigten Vergangenheit machen (wie Joe Hembus das in Der deutsche Film kann gar nicht besser sein formuliert hat), Geiselgasteig wird jetzt zum Geschichtslehrer Deutschlands. Und die Charakterköpfe des deutschen Schwarzweißfilms schlüpfen jetzt in die Uniformen des Nazireiches und tragen meistens ein Ritterkreuz über dem Schlips. Wie Curd Jürgens als General Harras, Wolfgang Preiß in Haie und kleine Fische oder als Graf Stauffenberg, O.E. Hasse als General in 08/15 oder als Admiral in Canaris. Wobei dieser Film von Alfred Weidenmann gedreht wurde, einem Nazi der ersten Stunde. Der uns später noch Derrick bescheren sollte.
Auf der anderen Seite der Zonengrenze entstehen wirkliche antifaschistische Filme wie Ich war Neunzehn, Lissy, Nackt unter Wölfen und Jakob der Lügner. Wir haben 08/15, Kinder, Mütter und ein General und Fabrik der Offiziere. Aber diese Sorte Film hat immer ihre Liebhaber, Kriegsteilnehmer, die hinterher endlos darüber diskutieren, ob die SS Uniformen im Film korrekt waren. Als ich Franklin J. Shaffners Patton, der hier als Panzer nach vorn angekündigt wurde, im Kino sah, war das Kino voller Rentner. Die alle den Saal während des Filmes verließen, ein solch kritisches psychologisches Portrait eines Generals gefiel ihnen nicht (und ihr Held Rommel kam da auch nicht drin vor), die Schauspielkunst von George C. Scott wurde von ihnen nicht gewürdigt.
Erstaunlicherweise treffe ich auch bei der Bundeswehr auf eine Vielzahl von Filmfreaks. Einen davon sehe ich auch in Kiel an der Uni wieder, wir fahren am Wochenende gemeinsam nach Bremen. Also, ich fahre, und er zahlt Benzingeld. Und die ganze Fahrt lang diskutieren wir über Filme. Er wird eines Tages eine Frau vom unteren Ende der Weserstraße heiraten (so nennt man euphemistisch snobistisch diesen Teil der Straße, wenn man im richtigen Teil wohnt), aber davor diskutieren wir bei den Wochenendfahrten jahrelang über Film. Es gibt zwar keine Bücher über Filme, aber es gibt ständig Gespräche über Filme. In den Filmclubs an der Uni redet man sich die Köpfe heiß. Wir zeigen das, was die kommerziellen Kinos nicht zeigen. Wir bereiten das auch wissenschaftlich auf, schreiben hochintellektuelle Beiträge, wird alles auf Wachsmatrizen getippt und dann an der Gstetner Umnüdelmaschine abgezogen. Liest hinterher keiner, liegt am nächsten Tag noch in der Mensa rum. Man kann das ja verstehen, ich habe die Chronik der Anna Magdalena Bach von Jean-Marie Straub auch todlangweilig gefunden. Hinterher waren wir dann noch mit dem ganzen Filmclub in der Mitternachtsvorstellung vom Regina, wo es Eddie Constantine zum Mitschießen gab. Da hockte schon der ganze linke Asta. Ich glaube, die Eddie Constantine Filme im Regina wurden nur für die Frustbewältigung von gescheiterten politischen und kulturellen Hoffnungen gezeigt.
1976 mache ich an der Uni das erste Seminar zum amerikanischen Film, ein Proseminar über John Fords Stagecoach. Es ist auch das erste Seminar zum Thema Film an dieser Uni. Wenig später überreden Götz und ich unseren Professor, dass wir ein Kolloquium zum Thema englischer und amerikanischer Film machen sollten. Der Professor findet (wie immer) auch gleich einen einprägsamen Namen: Filmphilologie. Damit können wir leben, man kann die Sprache von Filmen lesen, wie man Bücher lesen kann. Der Prof möchte sich auf Literaturverfilmungen konzentrieren, ich möchte lieber auf Filme im kulturellen Kontext hinaus. Abgesehen von Alfred Weber in Tübingen sind wir die ersten in Deutschland, die film studies machen. In Amerika gibt es dafür an jeder größeren Universität schon einen Professor. Was mir Professor James Naremore aus Bloomington erzählt, wenn er bei mir im Wohnzimmer auf dem großen Sofa sitzt, das kann einen schon neidisch machen. Inken hat den Spezialisten für den Film Noir angeschleppt, sie hat drüben bei ihm ihre Magisterarbeit geschrieben. Aber wenn wir auch nicht solche Mittel haben, genauso genommen haben wir überhaupt keine Mittel, schaffen wir es doch, das Ganze ins Laufen zu bringen. Wenn ich an Alfred Webers Projekt zur Erforschung des amerikanischen Dokumentarfilms mitarbeite (damals das gößte Projekt der deutschen Amerikanistik) und meinen Artikel zu The Plow that Broke the Plains schreibe, spüre ich zum erstenmal, was es bedeutet, Teil eines solide finanzierten Projekts zu sein.Erstaunlicherweise treffe ich auch bei der Bundeswehr auf eine Vielzahl von Filmfreaks. Einen davon sehe ich auch in Kiel an der Uni wieder, wir fahren am Wochenende gemeinsam nach Bremen. Also, ich fahre, und er zahlt Benzingeld. Und die ganze Fahrt lang diskutieren wir über Filme. Er wird eines Tages eine Frau vom unteren Ende der Weserstraße heiraten (so nennt man euphemistisch snobistisch diesen Teil der Straße, wenn man im richtigen Teil wohnt), aber davor diskutieren wir bei den Wochenendfahrten jahrelang über Film. Es gibt zwar keine Bücher über Filme, aber es gibt ständig Gespräche über Filme. In den Filmclubs an der Uni redet man sich die Köpfe heiß. Wir zeigen das, was die kommerziellen Kinos nicht zeigen. Wir bereiten das auch wissenschaftlich auf, schreiben hochintellektuelle Beiträge, wird alles auf Wachsmatrizen getippt und dann an der Gstetner Umnüdelmaschine abgezogen. Liest hinterher keiner, liegt am nächsten Tag noch in der Mensa rum. Man kann das ja verstehen, ich habe die Chronik der Anna Magdalena Bach von Jean-Marie Straub auch todlangweilig gefunden. Hinterher waren wir dann noch mit dem ganzen Filmclub in der Mitternachtsvorstellung vom Regina, wo es Eddie Constantine zum Mitschießen gab. Da hockte schon der ganze linke Asta. Ich glaube, die Eddie Constantine Filme im Regina wurden nur für die Frustbewältigung von gescheiterten politischen und kulturellen Hoffnungen gezeigt.
Ich baue in unserer Bibliothek eine Filmbibliothek auf, ohne einen Pfennig staatlicher Förderung, alles aus dem regulären Bücheretat abgeknapst. Die Buchhandlung Cinemabilia in New York schenkt mir, mit rotem Stempel complimentary copy, ihren Catalogue Seven. Die wissen, dass ich von nun an bei ihnen kaufen werde. Ich kaufe aber auch beim Strand Books Store, dem größten Antiquariat der Welt. Und unser amerikanischer Buchhändler Nolan Smith besorgt uns (in völlig un-amerikanischer Manier) seltene, vergriffene Titel. Als unser Professor 1986 stirbt, haben wir eine Filmbibliothek, die sich überall sehen lassen kann. Publikationen noch und noch. Dissertationen, wie die von Volker Behrens über The French Lieutenant’s Woman, Sammelbände, Workbooks (die in einzelnen Bundesländern auf der Liste der empfohlenen Literatur stehen), Aufsätze, Rezensionen. Die Uni streicht die Professur und das ganze Projekt Filmphilologie (Götz und ich bieten aber aus Trotz noch zwanzig Jahre lang Filmseminare an). Als Kurt Denzer pensioniert wird, wird auch die Dokumentarfilmarbeit der Uni eingestellt, alles wird abgewickelt. Vulgo weggeschmissen. Ulli Ehlers, der ein halbes Leben lang die Landesarbeitsgemeinschaft Film in Schleswig Holstein geleitet hat, erzählt mir auf der Party zu Kurts siebzigstem Geburtstag, dass er einen Film vor der Mülltonne bewahrt hat. Den Dokumentarfilm Glas. Ausgerechnet den. Ich verschütte vor Lachen mein Mineralwasser. Aber eigentlich ist es zum Heulen.
Im Vernichten von Kultur ist diese Universität, die einmal eine Nazi Vorzeigeuniversität war, ganz groß. Ich weiß schon, weshalb sie in dieser Selbstlebensbeschreibung keine Rolle spielt. Heute gibt es einen Professor für cultural studies und Medienwissenschaft, der vor seiner Berufung niemals unterrichtet hat und sich mit einem Vortrag über Hip Hop qualifiziert hat. Seine Doktorandin erforscht chinesisches Essen in New Yorks Chinatown. Der zweite Doktorand promoviert über die Ford Fernsehwerbung zwischen 1959 und 1967. Und das Forschungsprojekt hat hunderttausende von Euro zur Verfügung. Man weiß nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll.
Mein Leben verläuft glücklicherweise über lange Strecken fernsehlos. Ein Fernsehgerät kaufen meine Eltern erst sehr spät (immer das Teuerste, was der Laden unten an der Grenze zu Aumund und später Barlage um die Ecke ihnen andreht). Aber keine Fernsehtruhe, es genügt, dass wir eine Musiktruhe haben. Und außer den Nachrichten (die jetzt die Wochenschau im Kino ersetzen), der Aktuellen Schaubude aus dem gläsernen Studio in Hamburg mit Werner Baecker (was am Anfang der Verkaufsraum eines Opelhändlers neben der Staatsoper ist, wir waren mal an einem Sonnabendabend dabei) und dem Sport will ich nichts sehen. Das Fernsehen ist etwas für Erwachsene. Unser wirkliches Leben ist draußen, oder im Kino (oder im Keller in der Dunkelkammer). Als ich bei der Bundeswehr bin, habe ich jahrelang keinen Fernseher gesehen. Allerdings konnten unsere Funkgeräte im HS 30 auf der gleichen Frequenz wie das deutsche Fernsehen laufen, wenn man dann auf Senden drückte (was natürlich streng verboten war), konnte im Umkreis von 1,6 Kilometer niemand mehr fernsehen. Ich nehme mal an, dass sich die Einwohner von Munster und Bergen-Hohne daran gewöhnt hatten. Und während des Studiums gab es auch kein Fernsehen für mich. Wenn es mal etwas Wichtiges im Fernsehen gab (wie zum Beispiel eine Fußballweltmeisterschaft), musste man sich bei Noli einladen, der hatte ein Fernsehgerät.
Mein Leben verläuft glücklicherweise über lange Strecken fernsehlos. Ein Fernsehgerät kaufen meine Eltern erst sehr spät (immer das Teuerste, was der Laden unten an der Grenze zu Aumund und später Barlage um die Ecke ihnen andreht). Aber keine Fernsehtruhe, es genügt, dass wir eine Musiktruhe haben. Und außer den Nachrichten (die jetzt die Wochenschau im Kino ersetzen), der Aktuellen Schaubude aus dem gläsernen Studio in Hamburg mit Werner Baecker (was am Anfang der Verkaufsraum eines Opelhändlers neben der Staatsoper ist, wir waren mal an einem Sonnabendabend dabei) und dem Sport will ich nichts sehen. Das Fernsehen ist etwas für Erwachsene. Unser wirkliches Leben ist draußen, oder im Kino (oder im Keller in der Dunkelkammer). Als ich bei der Bundeswehr bin, habe ich jahrelang keinen Fernseher gesehen. Allerdings konnten unsere Funkgeräte im HS 30 auf der gleichen Frequenz wie das deutsche Fernsehen laufen, wenn man dann auf Senden drückte (was natürlich streng verboten war), konnte im Umkreis von 1,6 Kilometer niemand mehr fernsehen. Ich nehme mal an, dass sich die Einwohner von Munster und Bergen-Hohne daran gewöhnt hatten. Und während des Studiums gab es auch kein Fernsehen für mich. Wenn es mal etwas Wichtiges im Fernsehen gab (wie zum Beispiel eine Fußballweltmeisterschaft), musste man sich bei Noli einladen, der hatte ein Fernsehgerät.
A Tale of Two Cities mit Dirk Bogarde habe ich auf Uwes Jollenkreuzer mit einem Portable gesehen, dessen Bildfläche so groß wie eine Postkarte war. Zehn Zentimeter vor dem Bildschirm. Drinnen in der Kajüte Sidney Carton, wie er zur Guillotine schreitet und draußen das glucksende Wasser des Weser-Ems-Kanals. Jahrzehnte später sehe ich beim meinem Bruder, der eine Satelliten Schüssel hat, als Turner TV ins Netz geht und noch unverschlüsselt ist, alle englischen Klassiker aus den Pinewood und Elstree Studios, die mir bisher entgangen sind. Alle Filme mit Dirk Bogarde habe ich inzwischen gesehen (und alle seine Bücher gelesen), ich habe auch A Tale of Two Cities auf einem größeren Bildschirm gesehen. Das war aber nicht so intensiv, wie damals auf Uwes Boot.
Als unser Fernseher ganz neu war, habe ich zusammen mit Vati eine eindrucksvolle Produktion von Der Richter und sein Henker mit Karl Georg Saebisch (viel besser als der Film mit Jon Voigt und Jacqueline Bisset Jahre später) gesehen. Die bleibt unvergessen, ebenso wie Das Haus an der Stör aus der Reihe Stahlnetz, zu der Wolfgang Menge das Drehbuch geschrieben hat. Und natürlich habe ich wie alle Deutschen den Tatort verfolgt, vor allem die Folgen mit Sieghard Rupp als Zollfahnder Kressin oder die mit Walter Richter als Trimmel. Kressin stoppt den Nordexpress (wiederum Drehbuch von Wolfgang Menge) und Taxi nach Leipzig habe ich auf DVD, das ist heute reine Nostalgie. Und um so vieles besser, als das, was die Degeto heute kauft oder produziert, dieser unerträgliche Schmonzetteneinheitsbrei.
Die Kinos meiner Jugend, die für meine Eltern manchmal noch eine blasse Erinnerung an die Filmpaläste waren, die sie in ihrer Jugend noch kennen gelernt hatten (mein Vater schwärmte von den Berliner Kinos, in denen er während seines Studiums an der Charité gewesen war), gibt es heute nicht mehr. Keine Kartenverkäuferinnen in modernistischen Glas- und Chromkapseln. Kein Foyer, bei dem die Wände mit grellbunten Plakaten und Filmphotos hinter Glas bedeckt waren. Keine langsam verglühenden Lichter mehr, nicht die kleinen punktförmigen Seitenlichter, die den Seitengang an der roten Stoffwand des Vorführungssaals hinunterliefen. Keine Samtvorhänge mehr, die mit den Jahren immer dunkler und schwerer wurden. Keine Platzanweiserinnen mehr. Wenn Edward Hopper nicht einmal eine einsame Platzanweiserin gemalt hätte, dann wüsste man wahrscheinlich gar nicht mehr, dass es die einmal gegeben hat.
Dies ist das Kapitel 32 aus meiner beiseite gelegten Autobiographie Bremensien. Ich habe das vor zwölf Jahren geschrieben. Vieles aus dem Text ist in den Blog gewandert, ich habe das mit fett gesetzten Links markiert.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen