Sonntag, 1. Dezember 2024

Keith R. Kernspecht ✝


Die Dänische Straße war zur Fußgängerzone geworden, die Straßenbahn, die hier fuhr, gibt es schon lange nicht mehr. Keith, der in der Straße ein Büro hatte (auf dem Schild steht nur ichfahrealsobinich und autosapiens), parkte seine Corniche immer frech vor dem Herrenausstatter Kelly's, obgleich er eigentlich gar nicht in die Straße hinein fahren durfte. Aber so ein Rolls vorm Laden sieht immer gut aus und passt ins Ambiente der englischen Herrenkleidung. Wahrscheinlich bezahlte ihm Michael Rieckhof die Tickets und setzte sie als Werbungskosten ab.

Das flaschengrüne Bentley Coupé sah aus wie neu, dabei war es über dreißig Jahre alt. Die Rückleuchten verraten das, da steht noch Lucas drauf. Die Lucas Elektrik reißen Besitzer von englischen Sportwagen normalerweise immer als erstes heraus und ersetzen es durch Teile von Bosch. Aber das kann man einem Rolls nicht antun. Hinten am Heck steht ein schlichtes, silbernes CornicheDu hast doch schon eine Corniche, sage ich zu Keith. Ich habe schon zwei, ist die Antwort. Da muss mir etwas entgangen sein. Die Corniche, die er im letzten Jahr gekauft hat, war ein Cabrio. In einer Farbe, die nur Engländer hinkriegen, fliederfarben oder ein ganz helles Lila, pervers. Und dann war da dieser wunderbare handgemalte hellgrüne Zierstreifen an der Seite. Die haben bei Rolls Royce einen Coachline Painter, der nur für diese handgemalten Striche zuständig ist.

Dieser Bentley mit der Karosserie von Mulliner Park Ward ist schon wieder einer von seinen Exoten. Der Bentley war ursprünglich ein 1977er Rolls-Royce. Das würden Bremer schon wieder gut finden. Einen Rolls Royce gab es in den fünfziger Jahren in meiner Heimatstadt nicht. Nur der Werftbesitzer Ernst Burmester, der mit der Ashanti VI die größte deutsche Hochseeyacht besaß, hatte einen dunklen Bentley. Ein Rolls wäre ihm zu prollig gewesen. So etwas kann man in Hamburg fahren, sagte er, in Bremen nicht. Wahrscheinlich hat Keith deshalb auch seinen Rolls (British Racing Green) in einen Bentley umbauen lassen. Nicht nur den Kühler ausgewechselt, nein, bis in die kleinsten Einzelteile innen im Wagen.

Keith sammelte Autos. Er war keiner von diesen neureichen Sammlern, Rechtsanwälten, Ärzten oder Architekten, die sich einen Jugendtraum wahrmachen wollten und sich einen alten englischen Sportwagen kauften. Um dann nach vier Wochen später herauszufinden, dass die englische starre Hinterachse überhaupt nicht so gut für die Bandscheiben ist. Nein, Keith sammelte schon seit Jahrzehnten. In den sechziger Jahren kam er mit Adenauers ausgemustertem alten schwarzen Mercedes 300 zur Uni. Hatte einen 180er Dieselmotor einbauen lassen. Wäre sonst zu teuer gewesen. Er fiel mit dem Auto auf. Es gab wenig Studenten, die mit dem Auto zur Uni kamen. Die Straßenbahn, die auch durch die Dänische Straße fuhr, fuhr direkt bis zur Uni. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit ihm zusammen gerade noch eben fahrbereite Autos in Schuppen und Scheunen in Ostholstein bugsiert habe. Die Schuppen mietete er billig von Bauern an; dann kam da massenhaft Heu und Stroh drüber, damit niemand auf den ersten Blick sehen konnte, was hinter dem Scheunentor war. Das, und der schwarze Mercedes 300, waren der Beginn seiner Sammelleidenschaft.

Es waren die kleinen Exoten, die ihm am meisten Spaß bereiteten. Wie der alte Opel Kapitän (das Modell Schlüsselloch), den sein Vater 1959 gefahren hatte. Mit Weißwandreifen. Oder der ✺Opel Kadett B, das Sondermodell Rallye. Den großen Borgward P 100, den er in Berlin in einer Tiefgarage fand, den sollte ich nicht vergessen. Hatte da ein halbes Jahrhundert gestanden, es war noch Luft in den Reifen. Von Zeit zu Zeit trennte er sich von einigen Modellen. 

Dass er den Dino GTS Targa verkaufte, fand ich nicht so schlimm. Dass er den Cadillac Eldorado verkaufte, fand ich gut. Das war kein Auto für ihn gewesen. Dass er den schönen dunkelblauen Aston Martin, mit dem Sean Connery mal eine Probefahrt gemacht hatte, bei Sotheby's zur Auktion gab, das fand ich ein wenig traurig. Aber er nahm den Wagen dann doch aus der Auktion wieder heraus und behielt ihn. Ein Kultauto sollte man immer behalten. Vor allem, wenn man wie er in jedem James Bond Film das Double von Sean Connery hätte spielen können.

Er besaß allerdings keinen Bristol, damit zog ich ihn von Zeit zu Zeit auf. Den Jaguar, den der dänische König fuhr, hätte er ohne zu zögern gekauft. Würde wahrscheinlich einen seiner drei Daimler Double Six (von denen kann man nicht genug haben) dafür in Zahlung geben. Einmal treffe ich Keith im Laden meines Uhrmachers, ich hatte ihm den Kauf einer seltenen Fliegeruhr vermittelt, mit einem Chronographenwerk der Geneva Sport Watch Company. Signiert Wempe (obgleich die nicht mal wussten, dass sie so etwas mal gebaut hatten). Aber die lässt er jetzt im Laden liegen und schleppt mich im Gewitterregen die Holtenauer entlang bis zu seinem neuen Ferrari. Wasserglänzend in einem eleganten Grau, auf dem sich das gelbe Ferrari Wapperl mit dem schwarzen Pferd abhebt. Ingridgrau, sage ich. Er guckt mich etwas irritiert an. Ich erkläre ihm, dass Roberto Rossellini für Ingrid Bergman einen Ferrari gekauft hatte, der unbedingt grau sein sollte. Die Farbe hatte es bei Ferrari vorher noch nie gegeben, und so haben sie sie Ingridgrau getauft. Ist als Nuova Grigio Ingrid immer noch im Angebot. Ferraribesitzer können von Filmfreaks immer noch etwas lernen.


Ich habe von ihm auch etwas gelernt. Nicht die Martial Arts, in denen der Gründer der EWTO ein hoch dekorierter Großmeister war. Aber er schenkte mir immer seine Bücher, immer mit persönlicher Widmung. In einer Widmung hat er mich als seinen Sifu bezeichnet, ein Sifu ist in dieser Welt ein Lehrer, ein väterlicher Freund. Das hat mich sehr berührt. Seine Bücher kann man auch lesen, wenn man mit Bruce Lee, Jackie Chan und asiatischer Philosophie überhaupt nichts am Hut hat. Ich las mich hinein in eine fremde Welt, die in seinen Pyjama Editorials aus ostasiatischer Philosophie, der Philosophie der alten Griechen und dem Common Sense der schottischen Aufklärung bestand. Und lernte, dass dieses Wing Tsun eigentlich keine Kampfsportart ist, sondern eine Philosophie zur Vermeidung des Kampfes. Keith hat viel dafür getan, diesem Kampfport einen akademischen Unterbau zu verleihen. Dafür hat er einen Doktortitel und einen Professorentitel von bulgarischen Sportuniversitäten erhalten. Nicht weil er den zehnten Meistergrad des Wing Tsun besaß, sondern weil er wirklich eine Dissertation und eine Habilitationsschrift verfasst hatte.

Keith war auf der Kieler Gelehrtenschule gewesen, er hatte ein großes Latinum und lernte im Alter noch Altgriechisch. Wenn Keith ein klein wenig von dem bürgerlichen Weg abkam, dann hatte das etwas mit Karl Koch zu tun. Einem Hünen, der sein Kneipenpublikum mit Versen aus der Ilias und Shakespeares Dramen unterhielt und besseres Englisch sprach als die Englischlehrer der Gelehrtenschule. Die Gymnasiasten dieser Kieler Lateinschule zählten zu seinem Fanclub. In der Kneipe verbringt der junge Keith viel Zeit, und er wird Jahrzehnte später diesem Mann mit dem Buch Karl von der Küste: Erinnerungen an den Kieler Kiez (1960-1976) mit Hauern, Huren, Hafenloddels ein Denkmal setzen. Die farbenprächtige Milieustudie ist nicht Rousseaus Les Confessions, das Buch erhebt keinen Anspruch auf literarische Qualitäten, es ist kraus und quer erzählt. Aber es bringt einem das Kiel der Nachkriegszeit zurück, wo sich nicht nur Lateinschüler, sondern auch Universitätsprofessoren auf dem Kiez einfanden.

Mein Freund Keith Ronald Kernspecht ist vor einigen Tagen im Alter von neunundsiebzig Jahren gestorben. Er war von Anfang an in meinem Blog, da ich immer wieder mal über eins seiner Autos oder eine seiner Uhren (aber nie über seine Sammlung von 50er Jahre Mickey Mouse Uhren) schreiben musste. In dem Post Traumwagen war er vor zehn Jahren mit diesem schönen Capalbio Maremma Jackett zu sehen. Zum letzten Mal war er vor drei Monaten in diesem Blog. Da stand hier in dem Post Autogeschichten ein kleines Stückchen aus meiner nie veröffentlichten Autobiographie Bremensien. Das hatte er mit Vergnügen gelesen, und er konnte sich noch genau an diesen Sommertag erinnern. Weil das auch der erste Tag war, an dem er mit seinem neuen Jaguar E Type unterwegs war. Ich stelle das heute noch einmal ein:

Ich hatte ihn längere Zeit nicht gesehen, er war nicht mehr hier oben im Norden, er war unten bei Heidelberg gewesen, wo er im Schloss Langenzell ein Wing Tsun Schulungszentrum aufgebaut hatte. Aber an diesem schönen Sommertag saßen wir wieder einmal in der Mitte der Dänischen Strasse zusammen. Ich sagte ihm, dass das eine schöne alte Bubble Back Rolex sei, die er da am Arm hätte. Er sagte mir, dass meine IWC auch toll sei. Neben ihm stand eine Neuerwerbung, ein silbergrauer 3,8 Liter Jaguar E Type. Wenn er die Hand ausstreckte, hätte er ihn streicheln können, so eine Bewegung wie ein Italiener einer Frau mit der Hand über den Po fährt. Keith hatte auch eine Wohnung in Italien, wo er er auch Lehrgänge gab, vielleicht hatte er diese Handbewegung da gesehen. Man darf überhaupt nicht mit einem Auto in die Dänische Straße fahren, und man darf es auch nicht in der Mitte der Straße abstellen, damit man es von einem Stuhl des Lokals Lüneburg aus tätscheln kann. Aber um solche Dinge kümmert sich Keith nicht. Wir redeten über alte Zeiten, schliesslich hatte Keith ja auch mal Englisch studiert und war mal Lehrbeauftragter für Wirtschaftsenglisch am Englischen Seminar gewesen. Und hatte in der 68er Tagen seinem Professor auf dessen Bitten hin die Grundkünste der Selbstverteidigung beigebracht, ich sehe die beiden KungFu Helden immer noch auf dem grünen Rasen kämpfen. Wir waren bei unserem Treffen nostalgiemäßig mitten in den alten Tagen, und ich bei der zweiten Tasse Tee, da wurden wir von einer eleganten Dame angesprochen, die zuvor an einem Nachbartisch gesessen hatte. Sie sagte, dass sie nicht hätte umhin können, unserer Unterhaltung ein wenig zuzuhören. Und ob das Englische Seminar, von dem wir geredet hätten, das Englische Seminar der Universität hier in Kiel sei? Und ob es da einen Professor namens Bö. gäbe? Nachdem ich das bejaht hatte und gleichzeitig rekapitulierte, ob ich in der letzten halben Stunde irgendwelche abfälligen Bemerkungen über Bö. gemacht hatte, hörte ich von ihr Erstaunliches. Sie hatte bei Bö. studiert, bevor er nach Kiel kam, er hatte ihr angeboten, bei ihm Assistentin zu werden. Aber sie hatte das abgelehnt, weil sie ihn für den langweiligsten und dümmsten Menschen unter allen ihr bekannten Anglistikprofessoren hielt. Und sie hätte das nie bereut. Und dann sagte sie zu Keith Schönes Auto und zu mir Das ist wirklich eine tolle IWC, die Sie am Arm haben. Setzte ihren Sommerhut auf und entschwebte zur Fähre nach Norwegen. Stilvoller Abgang. Keith guckte ihr verwundert nach und wollte wissen, wer Bö. sei. Lass uns nicht über den reden, der ist genau so doof, wie die Frau das eben gesagt hat. Lass uns über Autos reden.  

Wenn Sie Keith mit seinem Jaguar E Type durch Kiel fahren sehen wollen, dann klicken Sie hier