Montag, 31. März 2025

J.S. Bach

Heute vor 340 Jahren (auf jeden Fall nach dem Gregorianischen Kalender) wurde Johann Sebastian Bach geboren. Das wird in Deutschland überall gefeiert, auch schon am 21. März gab es Geburtstagsfeiern. Da hatte Bach nach dem Julianischen Kalender Geburtstag. An beiden Tagen gab es hier schon einen Post zu dem Komponisten, Bach war immer in diesem Blog. Ich könnte jetzt viele Musiker zitieren, die Bachs Werk in den Himmel gehoben haben. Ich habe hier etwas, das allerdings von keinem Musiker stammt:

Johann Sebastian Bach verkörpert das Beste und Edelste unseres Volkes. Rührung und Bewunderung erfasst uns, wenn wir bedenken, aus wie engen, kleinlichen Verhältnissen eines durch die Barbarei des Dreißigjährigen Krieges verelendeten und uneinigen Deutschland sich dieses wunderbare Genie erhoben hat. Die große nationale Bedeutung Bachs besteht darin, dass er nicht nur der größte Vollender der Kunst der Feudalzeit war, sondern zugleich der Schöpfer einer neuen Entwicklung der Musik. Mit Bach beginnt das große Zeitalter der klassisch deutschen Musik. Die umwälzende Tat Bachs bestand darin, dass er die Musik aus den Fesseln der mittelalterlichen Scholastik löste und alle Bindungen brach … Bach war in seinem ganzen Werk ein Herold des Friedens … Bachs Werk ist im schönsten und wahrsten Sinne ein Werk des Friedens und der Freundschaft zwischen den Völkern. Den letzten Satz wollen wir mal blind unterschreiben, auch wenn Wilhelm Pieck den vielleicht 1950 beim Bach-Fest in Leipzig anders gemeint hat. Pieck hob auch die Pflege Bachs in der Sowjetunion hervor, davon kann heute wohl keine Rede mehr sein.


Ich möchte für den heutigen Tag ein kleines Gedicht einstellen. Das erste Bach Gedicht, das ich im Internet fand, war von dem Bremer Maler und Dichter Arthur Fitger aus dem Jahre 1890. Über Fitger werden in den Posts Marschendichter und che gelida mani schon böse Dinge gesagt, und deshalb erspare ich Ihnen sein Gedicht. Ich hätte natürlich das schöne Gedicht The Stillness of the World before Bach von Lars Gustafsson nehmen können, aber das steht in der deutschen Übersetzung schon in dem Post Variationen. Das Gedicht heute ist von Johannes Bobrowski und heißt schlicht J.S. Bach:

Unbequemer Mann,
Stadtpfeifergemüt, mit Degen
wie mit Neigung zum Sentiment
(praktikabel, versteht sich),
einer Kinderfreude
an plätschernden Wassern, stetig
wirkendem Gang der Flüsse;
so sind der kahle Jordan
und der von Himmeln trächtige
Euphrat ihm
freundlich.

Daß er die Meerbucht sah –
einen dort, der herging
hinter Feuern unsichtbar
der die Planeten rief
mit einer alten Qual –,
manchmal
im blitzenden Köthener Spiel
im Bürgerprunk
der Leipziger Jahre
taucht das herauf. Zum Ende
hat er des Pfingstgeists Sausen
nicht mehr gehört mit Trompete
oder Posaune (auf 16 Fuß).

Flöten gehn ihm voraus,
als er müdegeschrieben
tritt vor sein altertümliches Haus,
den fliegenden Wind
spürt, die Erde
nicht mehr erkennt.

Ich habe für Sie hier eine Interpretation von Eckart Kleßmann, mit der wird vieles klarer, was im ersten Augenblick seltsam erscheint. Dass ich ein Gedicht zur Feier des Tages gewählt habe, hat natürlich damit zu tun, dass morgen in Amerika und bei mir der Poetry Month beginnt. Trotz Donald Trump. Und ein wenig Musik habe ich auch für Sie, klicken Sie doch einmal Tatiana Nikolayeva an. Sie können natürlich auch bei Facebook RhythmOne anklicken, aber Tatiana Nikolayeva ist besser.

Freitag, 28. März 2025

Ustinovs Autos

Der Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller Sir Peter Ustinov starb heute vor einundzwanzig Jahren. Kurz vor seinem Tod hatte er von meiner Heimatstadt Bremen den Hansepreis für Völkerverständigung für sein künstlerisches Lebenswerk im Geist von Völkerfreundschaft und Völkerverständigung erhalten. Im Jahre 2002 war der Unicef Botschafter auch in Bremen gewesen und hatte sich in das Goldene Buch der Stadt eingetragen. Ein Jahr später war er wieder in der Hansestadt, als Gast der Talkshow 3 nach 9. Ich glaube, das war sein letzter Fernsehauftritt vor seinem Tod. Da lieferte Ustinov zusammen mit der Mezzosopranistin Cecilia Bartoli ein kleines ✺Kabinettsstückchen. Bartoli sang das neapolitanische Lied Tic e Tic e Toc mio bel moretto und Ustinov imitierte die Motorengeräusche eines Fiat Cinquecento. Wie der sich der anhört, wusste Ustinov genau, denn als er der Offiziersbursche von David Niven im Royal Sussex Regiment war, hatte er sich für 200 Pfund einen Fiat Topolino gekauft.
 
Er war ein wenig autoverrückt, das steht schon in dem Post Traumwagen. Hier ist er mit seinem →Hispano-Suiza, der ihm 1988 gestohlen wurde. Er hat alle →Autos besessen, von denen man träumen kann, fuhr aber im Alter einen DAF Variomatic. Weil der nie im Schweizer Schnee steckenblieb. Doch wenn er auch einen DAF besaß, seinen ✺Maserati hat er nie aufgegeben. Playboys fahren Ferrari, aber Gentlemen sitzen im Maserati, hat er einmal gesagt.

Ich habe hier für Sie noch eine kleine Delikatesse des Autonarren Ustinov. Eine einstündige Tonaufnahme aus dem Jahre 1958, die →The Grand Prix of Gibraltar heißt. Ustinov spielt da einen Sportreporter, der die Rennfahrer Jose Julio Fandango, Girling Foss, Wolfram v. Grips, Karl Fling und Bill Dill interviewt. Die natürlich alle von ihm selbst gespielt werden. Die Motorgeräusche sind auch von ihm. Das ist das Formel 1 Rennen, zu dem Herr Doktor Altbauer, der Rennleiter des Schnorcedes Teams sagt: man must be zee slave of zee machine. Man kann diese wunderbare Tonaufnahme als CD kaufen, Sie können aber ✺The Grand Prix of Gibraltar auch hier hören.

Den Hispano-Suiza aus dem Jahre 1934 hatte ihm seine Ehefrau geschenkt. All seine ersten Autos waren Gebrauchtwagen gewesen. Der erste Neuwagen, den er sich 1953 kaufte (da war er gerade durch Quo Vadis berühmt geworden), war ein Lagonda, das war nun wirklich etwas Exklusives. Autos haben sein Leben bestimmt, schon als kleiner Junge bildete er sich ein, ein Auto zu sein. Das können wir in seiner Autobiographie Dear Me lesen: In fact, in my younger years, I was a motor-car, to the dismay of my parents. Psychiatry was in its infancy then, both expensive and centered in Vienna. There was no one yet qualified to exorcise an internal combustion engine from a small boy. I know to this day precisely what make of car I was, an Amilcar.

Als Sir Peter Ustinov 2004 starb, schrieb der Motorsportjournalist Don Capps: Anyone who thought he was an Amilcar as a boy was destined to be someone very special whenever he grew up. Fortunately, he never really grew up and we were given a most delightful and talented man to enrich our lives ... someone who was perhaps still that Amilcar... Ich finde, das ist ein wunderbarer Nachruf.

Mittwoch, 26. März 2025

6.400.000

Dass hier am frühen Morgen die Zahl von 6.400.000 Lesern auftauchen würde, das war war mir gestern Abend klar. Ich feierte das Ereignis, indem ich mir bei kleinanzeigen um Mitternacht eine gerade reduzierte King Quartz Seiko kaufte. Die hatte ich noch nicht, beinahe alle anderen 70er Jahre Quarzuhren von Seiko besitze ich schon. Das war die große Zeit von Seiko, als sie beinahe jedes Jahr ein neues Quarzwerk zu Preisen zwischen 2.500 und 25.000 Dollar herausbrachten. Dass ich eine Seiko QT (Bild), eine der ersten Quarzuhren von Seiko, aus dem Jahre 1973 besitze, wissen Sie noch nicht. Sie ist groß, schwer und scharfkantig. Ich weiß nicht, ob das noch das Tanaka Design oder schon das Space Age Design ist. Meine Freunde bei Tokei Japan hatten mir da zum Geburtstag ein besonderes Angebot gemacht, jetzt weicht das Monster nicht mehr vom Arm. Wenn man das QT englisch ausspricht, erhält man das Wort cutie, ein kleines Schätzchen. Und das ist diese Uhr auch. Die neue King Quartz wird hier irgendwann im Blog auftauchen; und ich gönne mir heute am Abend einen kleinen Whisky, oder einen kleinen Whiskey wie am Saint Patrick's Day. Und ich bedanke mich bei den vielen Lesern und bei dem Daniel, der mir einen schönen Preis für die luxuriöse King Quartz gemacht hat.


Montag, 24. März 2025

Telephondesinfizierer


Science Fiction ist nicht so mein Ding. Das wissen Sie, wenn Sie den Post Fantasy gelesen haben. Aber Per Anhalter durch die Galaxis (The Hitch-Hiker’s Guide to the Galaxy) von Douglas Adams habe ich 1981 gelesen, und eine kleine Geschichte daraus ist mir mit Kopf geblieben. Sie betrifft den übervölkerten Planeten Golgafrincham, der sich von einem Drittel seiner Bevölkerung trennen will. Den Leuten, die man nicht braucht, Filmproduzenten, Frisöre, Unternehmensberater, Versicherungsvertreter und Telephondesinfizierer (telephone sanitisers). Wir sind im Jahre 1979, da gibt es noch öffentliche Telephone. Die müssen mal saubergemacht werden. Man packt die überflüssigen Leute in das Raumschiff B und schießt sie ins Weltall. Die landen dann auf einem kleinen Planeten namens Erde. Soweit, so gut, aber die Geschichte hat noch einen kleinen Twist. Die Bewohner von Golgafrincham infizieren sich beim Telephonieren mit ungereinigten Geräten mit einer tödlichen Seuche, und in kürzester Zeit ist die ganze Bevölkerung des Planeten ausgestorben.

In Amerika trennt man sich in diesen Tagen dank Elon Musk von vielem, und Musk &Co wissen offenbar nicht so ganz, was sie damit anrichten. Dass es ein Fehler war, die Ebola Prävention zu streichen, hat Musk eingesehen und hat die Maßnahme rückgängig gemacht. Aber da sind tausend andere kleine Dinge, die schwerwiegende Folgen haben. Max Stier, der Präsident der Partnership for Public Service, hat gesagt: They’re like a kid in a nuclear power plant running around hitting buttons. They have no sense of the cascade of consequences they’re causing. Der Professor Patrick Malone sagte zu den Aktivitäten der Musk Truppe: It's an absolute clown show. Da können wir nur hoffen, dass die Clowns die telephone sanitisers nicht wegrationalieren.

Donnerstag, 20. März 2025

Knyphausen


Der Freiherr Philipp Wilhelm von Innhausen und Knyphausen wurde am 20. März 1591 auf Schloss Lütetsburg geboren. Er ist 1652 im Exil in Bremen gestorben, weil er im Streit mit dem Grafen Anton Günther von Oldenburg seine Herrschaften Innhausen und Knyphausen gegen ein erbliches Surrogat-Capital von jährlich 3.000 Reichsthalern hatte aufgeben müssen. Die Familie von Innhausen und Knyphausen bezog aus diesem Vertrag 340 Jahre lang Zahlungen, bis sie sich 1964 mit dem Land Niedersachsen auf ein Ablöseabkommen einigte. Der Graf Anton Günther war schon mehrfach in diesem Blog, zum Beispiel in den Posts Wolfgang Heimbach und Kohl und Pinkel (weil der Grünkohl im Hotel Graf Anton Günther besonders gut ist). Das Schloss Lütetsburg kenne ich, weil ich mich mal in einem Sommerurlaub durch alle Schlösser Ostfrieslands photographiert habe. Nicht mit dem Handy, sondern mit der Canon A1. Die Familie von Innhausen und Knyphausen lebt heute immer noch in dem Schloss Lütetsburg, das bei Theodor Fontane in Fünf Schlösser Lützburg heißt. Fontane war 1880 nach Lütetsburg gereist, um dort alles aus dem Familienarchiv auszugraben, was er für sein Buch gebrauchen konnte (lesen Sie hier mehr dazu). Zum Dank dafür, das ihm die Familie das alles erlaubte, hat er noch das kleine Gedicht Lützburg geschrieben:

Ein uraltes Schloß am Meeresstrand;
Ein herrlicher Park im baumlosen Land;
Durch Dämme geschützt vor der stürmenden Flut,
Manch geräumiger Hof, manch reiches Gut.
Viel wogendes Korn und Vieh auf der Weide
Und mahlende Mühlen und schweigende Heide,
Viel Gottessegen! Wie seltenste Arten
Der Bäume gedeihn trotz des Nordwinds im Garten,
Wie die Rosen ums Schloß blühn wunderbar,
So blüht im Haus die Töchterschar,
Wie im Hofe entspringt ein klarer Quell,
In den Herzen sprudelt der Frohsinn hell,
Die Jüngsten umjubeln die alte Veste,
Die Großen empfangen im Saale die Gäste,
Neun Schwestern, von eigener Art eine jede,
Und doch so ähnlich in Antlitz und Rede;
Die Stirnen klar und hell die Blicke,
Und alle haben den Schalk im Genicke,
Selbständig jede und selbstlos zugleich,
Streng gegen sich, für die andern weich.
Wer jemals hier Gastfreundschaft genoß,
Des Geist spukt um das alte Schloß
.

Philipp Wilhelm von Innhausen und Knyphausen hat auch ein wenig gedichtet, das tun Adlige im Barock gern. Er wurde 1634 von Ludwig I. von Anhalt-Köthen in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen, wozu er dieses Gedicht verfasste:

Wie der Liebesäpffel frucht ist schön vnd Zugenießen
Gar wenig, Alß auch Zur liebe man gefließen
Zwart alle Zeit sol sein, doch weiter gehen nit
Als seine pflicht der eh in allem bringet mit
Verliebt der nahme mir derhalben ist gegeben
Dardurch Zu deuten ahn, wie eines Mannes leben
Jm er fruchtbringend sey in seinem hauß allein.

Das ist nun nicht der Höhepunkt der Barocklyrik, aber immerhin, unser in Bremen lebender Freiherr dichtet. Ich möchte dem Gedicht ein anderes Werk gegenüberstellen, das auch von einem Knyphausen geschrieben wurde. Es hat den Titel: Es ist still auf dem Rastplatz Krachgarten

Alle sind stumm bis auf das Radio
und auf der Gegenfahrbahn
Lichter die aus dem Dunkeln sich verirren
Es geht mir gut, es geht mir sehr, sehr gut
wohin auch immer wir fahren
jeder Meter bringt uns weiter weg
und führt uns näher ran
an all die Dinge die wir nie begreifen werden... oh
solange dir Räder rollen stehen meine kleinen Teufel still
halte bitte nicht an, bitte noch nicht

aus unseren schäbigen, alten Boxen strömen die Lieder
aus vielen, vielen, vielen Jahren direkt in unsere Herzen
ihre Sänger haben die immer gleichen Losung auf den Lippen
die Welt ist gräßlich und wunderschön... mhm

Gegen Fernweh
hilft nur das Heimweh
das rufe ich und renne los
immer wenn der Regen gegen mein Fenster schlägt
und dabei, ist es doch das Heimweh
das mich suchen lässt
an Orten fern von hier
in Leben die fern von meinem sind
dieser alte Trugschluß
ist das, was mich antreibt
ist das, was mich aufschreckt in der Nacht
das, was ich nicht los lassen kann 
also lass mich los
lass mich los

aus unseren schäbigen, alten Boxen strömen die Lieder
aus vielen, vielen, vielen Jahren direkt in unsere Herzen
ich hab die immer gleiche Losung auf den Lippen
die Welt ist gräßlich und wunderschön... mhm

Gisbert zu Knyphausen schreibt nicht nur solche Texte, er singt auch noch. Er ist irgendwo zwischen Hannes Wader, Klaus Hoffmann und Reinhard Mey, ist aber nicht schlecht. Er singt auch Schubert, aber das kann Hannes Wader besser. Gisbert ist zur Zeit der berühmteste Namensträger der Familie Knyphausen. Oder ist das die Künstlerin Cosima zu Knyphausen? Oder der Schauspieler Felix zu Knyphausen? Diese Knyphausens scheinen überall zu sein, bei Eltville haben sie noch ein Weingut und verkaufen Weine, die Baron Knyphausen heißen.

Berühmt war auch einmal Wilhelm Knyphausen, der als General in hessischen Diensten mit den Truppen, die der Soldatenhändler Friedrich II von Hessen den Engländern verkauft hatte, in Amerika kämpft. Er ist den ganzen Unabhängigkeitskrieg dabei und hat einen großen Moment, wenn er Fort Washington erobert. Das der englische General Sir William Howe umgehend in Fort Knyphausen umbenennt. Es heißt heute aber wieder Fort Washington.

Der bedeutendste aus der Familie scheint mir Edzard Moritz zu Innhausen und Kyphausen zu sein, den der hannoversche König 1816 zum Grafen ernannt hat. Sein Sohn Carl Wilhelm Georg Graf zu Inn- und Knyphausen wird ein hoher Beamter im Königreich Hannover werden; leider ist das Porträt von Franz Krüger 1893 verbrannt und ist nur noch als Lithographie zu sehen. Edzard Moritz hatte nach dem Tode seines Bruders die Herrlichkeit (welch schönes Wort) Lütetsburg geerbt und sofort damit begonnen, den von seinem Großvater angelegten Barockpark umzugestalten. Er will so etwas haben, was Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau in Wörlitz geschaffen hat. Das wollen die kleinen Fürsten in dem Flickenteppich Deutschland jetzt alle, ob sie Pückler oder Malte von Putbus heißen. Sie wollen einen englischen Landschaftsgarten (zu dem es hier einen ausführlichen kulturhistorischen Post gibt).

Der Park, den ihm die Landschaftsgärtner Carl Ferdinand Bosse und  Julius Friedrich Wilhelm Bosse acht Kilometer von der Nordsee entfernt bauen wird, ist der größte private englische Landschaftsgarten Norddeutschlands. Er wäre vielleicht noch größer geworden, wenn nicht der Großherzog von Oldenburg Peter Friedrich Ludwig den jungen Bosse abgeworben hätte. Wofür er eine erhebliche Entschädigungssumme zahlen muss. Heute werden Fußballspieler verkauft, damals kaufen sich Fürsten Landschaftsgärtner. Philipp Wilhelm hatte die kleinen Flecken Innhausen und Knyphausen bei Wilhelmshaven nur bekommen, weil sein älterer Bruder katholisch geworden war. In der Fruchtbringenden Gesellschaft hatte er den Namen der Verliebte. Er wird dafür sorgen, dass eines Mannes leben Jm er fruchtbringend sey in seinem hauß allein. Sein Name wird nicht aussterben. Er wird dreimal heiraten und fünf Söhne haben, von denen der schwedische Feldherr Dodo Moritz Reichsgraf zu Innhausen der berühmteste sein wird.

Montag, 17. März 2025

alles grün


Das irische Department of Foreign Affairs and Trade hat zum Saint Patrick's Day 2025 ein Video ins Netz gestellt, das Iren auf der ganzen Welt zeigt, die etwas Besonderes tun. Unterlegt ist das Video mit dem Song der Pogues A Rainy Night in Soho, der hier von Cat Dowling sehr schön gesungen wird. Der St Patrick' Day wird auch im Weißen Haus gefeiert, wo Donald Trump gerade die Gelegenheit nutzte, dem irischen Premier Micheál Martin vorzuwerfen, dass Irland die USA bestohlen hätte. Was Trump in diesem Video in drei Tagen über achthundert wunderbar beleidigende Kommentare eintrug, von denen brings foreign leaders into the Whitehouse in front of the press then insults them what a jerk noch das Harmloseste ist. 

Unter Präsident Obama wurde das Wasser des Brunnens vor dem Weißen Haus grün eingefärbt. In Chicago färben sie jedes Jahr den Fluss grün. Obama trug beim Empfang des irischen Präsidenten einen grünen Schlips. Grün muss das alles sein an diesem Tag, denn die Farbe Grün und das Kleeblatt waren das Symbol der irischen Rebellion im Jahr 1798. Davon kündet noch die alte Ballade The Wearing of the Green:

O Paddy dear, an' did ye hear the news that's goin' round?
The shamrock is by law forbid to grow on Irish ground;
St. Patrick's Day no more we'll keep, his colour can't be seen,
For there's a cruel law agin the wearin' o' the Green.
I met wid Napper Tandy and he took me by the hand,
And he said, 'How's dear ould Ireland, and how does she stand?'
She's the most distressful country that ever yet was seen,
For they're hangin' men an' women there for the wearin' o' the Green

Das Lied aus dem Jahre 1798 hat bis heute überlebt, bei YouTube finden sich unzählige Aufnahmen. Ich habe hier die Aufnahme von John McCormack, einem Sänger, den James Joyce (der eigentlich Sänger werden wollte) bewunderte. Lesen Sie mehr dazu in dem schönen Post The Lass of Aughrim.

Nirgendwo auf der Welt wird der Saint Patrick's Day so ausgiebig gefeiert wie in den USA. Und das schon seit 1737, als die Charitable Irish Society of Boston die ersten Feierlichkeiten organisierte. Viele amerikanische Präsidenten haben irische Vorfahren. Als ich noch an der Uni war, hatte unser amerikanischer Lektor Peter Imsdahl uns dazu gebracht, den Tag würdig zu begehen. Ich habe dann immer den grünen Schlips mit den hellgrünen kleinen Kleeblättern (natürlich von der irischen Firma Atkinsons) umgebunden und ein Guinness getrunken. Guinness werde ich heute nicht trinken, das Zeuch mag ich nicht. Aber ein bisschen Irland soll in die Wohnung kommen. Ich habe meinen beinahe fünfzig Jahre alten Toshiba Cassettenrecorder reparieren lassen, da gibt es heute den ganzen Tag Planxty und so etwas. Und ein wenig Whiskey ist auch noch im Haus, eine kleine Flasche ohne Etikett. Eine unbekannte Abfüllung, die ein Freund mir letztens aus Irland mitgebracht hat. Da kann ich nur sagen: Sláinte Mhath.

Noch mehr zu diesem Tag, der in Irland, in Montserrat und der kanadischen Provinz Neufundland ein gesetzlicher Feiertag ist, finden Sie in den Posts St Patrick's Day, Der heilige Patrick und Schlangenfreie Zone.

Donnerstag, 13. März 2025

Manschetten


In dem Film Sway aus der Serie Endeavour findet der Detektiv Endeavour Morse am Tatort einen silbernen Manschettenknopf mit dem Buchstaben Alpha. Wenn er noch den zweiten mit dem Omega findet, hat er den Mörder. Glaubt er, aber das ist ein red herring, der Manschettenknopf wurde dort nachträglich plaziert. Er befragt den Kaufhauserben Allan Burridge (Joe Bannister), aus dessen Haus die seidenen Strümpfe stammen, mit denen drei Frauen ermordet wurden. Burridge, in einem eleganten Covert Coat, zeigt ihm seinen Hemdsärmel, keine Manschettenknöpfe, nur ein Knopf. Cuff links are old hat. Not to mention liable to fall out, sagt er. Wir sind im November 1966, Manschettenknöpfe haben offenbar ausgedient.

Auf jeden Fall in dieser Fernsehserie. Nicht bei mir, ich trug 1966 noch Hemden mit Doppelmanschetten. Also dem, was der Engländer French Cuff nennt. Aber nur zu Anzügen, zu Sportjacken, Tweed oder Cord, passen keine Manschettenknöpfe. Das steht in diesem Blog schon 2010 in dem Post Oberhemden. Seit ich nicht mehr in der Uni bin, trage ich selten Anzüge. Zu Anzügen habe ich immer Hemden mit Doppelmanschetten getragen, das gehört sich so. Es geht viel verloren in dem, was man so schön Kleidungskultur nennt. Neuerdings reicht ein weißes T Shirt unter dem Jackett, das sieht man im TV immer wieder. Als ich letztens ein Hemd mit einer Doppelmanschette trug, musste ich die Manschettenknöpfe erst suchen, weil ich sie gut weggeräumt hatte. Fand dann aber den kleinen Karton mit den Knöpfen, ich nahm die schlichten goldenen. Die hatte meine Mutter mal meinem Vater geschenkt. Er hat sie nie getragen, il ne faut jamais rien outrer. So wie bei diesem Herrn aus dem 17. Jahrhundert hat es mit den Manschetten angefangen, einem Wort, das wir aus dem Französischen haben. Da heißt manchette Ärmelchen.

Mr Burridge trägt in Sway eine Manschette mit einem Knopf. Englische Hemdenhersteller (sogar Charles Tyrwhitt) bieten heute bevorzugt Manschetten mit zwei Knöpfen an, das sieht eleganter aus als die Einknopfmanschette. Und dann gibt es noch die sogenannte Wiener Manschette, die auch Kombimanchette heißt. Das ist eine einfache (nicht doppelte) Manschette, die geknöpft oder mit Manschettenknöpfen getragen werden kann, weil sie zwei Knopflöcher hat. Es ist ein Typ der Manschette, den man vermeiden sollte, ist nichts Halbes und nichts Ganzes.

Etwas ganz Besonderes ist dagegen diese Manschette, die zuerst hier 2010 in dem Post Secret Agents auftauchte. Als Michael Fish, dem England die →Peacock Revolution verdankt, noch bei Turnbull &Asser war, hat er für Sean Connery die Hemden mit diesen rattenscharfen Manschetten geschneidert. Man nennt diese Manschette allgemein →Cocktail Cuff, sie hat aber noch viele andere Namen. T&A hat solche Hemden noch im Programm, in Deutschland wird man die kaum finden.

Die Firma hatte in den siebziger Jahren (also damals, als ich Turnbull & Asser trug) als signature cuff drei Knöpfe an der Knopfmanschette. Das fand ich damals scharf: It’s just another little detail – like the fact that all of our ready-to-wear shirts come with either double, cocktail or three-button cuffs – that have been signature styles for more than a half a century. A three-button cuff may sound excessive, but it allows the wearing of a bigger watch, for example, and will probably be around long after the fashion for big watches has gone. It’s those details that make wearing a Turnbull & Asser shirt like being in a club. We wouldn’t put a logo on our shirts but people who wear our shirts know each other from those little touches.

Die Manschettenknöpfe sollen am Hof Ludwig des Vierzehntens zuerst aufgetaucht sein. Da waren die boutons de manchettes schmuckverzierte Knöpfe, die von einer kleinen Kette aus Edelmetall gehalten wurden. In dem Augenblick, in dem man die Manschetten eines Hemdes zeigt, wird es zu einem Kleidungsstück. Vorher waren Hemden nur Unterwäsche. Manschettenknöpfe, wie wir sie heute kennen, kamen in der Mitte des 19. Jahrhunderts in England auf. Weil die Manschetten der viktorianischen Leinenhemden derart gestärkt waren, dass man da keinen Knopf mehr hätte dran nähen können. Zuerst waren die Manschetten noch nicht am Hemd. Es waren kleine separate Röllchen, die man über den Ärmelabschluß stülpte oder an das wristband des Hemdes knöpfte. Man konnte jeden Tag ein neues Röllchen überstülpen und damit vorgaukeln, man träge eine neues frisches weißes Hemd. Denn das weiße Hemd, das tägliches Waschen voraussetzt, ist das ultimative Modestück in dem schmutzigen viktorianischen Zeitalter. Über diese Leinenröllchen heißt es bei Claudia Wiesniewski in ihrem Kleinen Wörterbuch des Kostüms und der Mode: Von eleganten Herren ungern getragen, dennoch weit verbreitet. Erst seit 1871 die Firma Brown, Davis & Co. ein Patent für ihre Hemden bekommt, haben die englischen Hemden Knöpfe an der Vorderseite. Vorher zog man sie wie ein Nachthemd über den Kopf.  

Die Bezeichnung French Cuff für die Doppelmanschette (die manchmal auch Klapp- oder Umschlagmanschette heißt) kommt wahrscheinlich aus Amerika. Webster's Wörterbuch kennt die Bezeichnung seit 1916. Und das ist auch ungefähr die Zeit, in der die Doppelmanschette en masse in die Herrenmode kommt. Erfunden haben diese Manschette wohl die shirt makers der Jermyn Street. Angeblich hatten die ersten Doppelmanschetten zwei Knopflöcher mehr, damit man das Hemd einen zweiten Tag tragen konnte, wenn die untere Manschettenkante schmutzig geworden war. Dann wanderten die Manschettenknöpfe in die tiefer liegenden Knopflöcher.

Manschettenknöpfe gibt es zuhauf, bei ebay ab einem Euro. Bei Longmire in London oder Boucheron in Paris sind sie teurer. Man findet bei ebay auch sehr preiswert Donald Trump Manschettenknöpfe, falls man so etwas braucht. Rolex Manschettenknöpfe gibt es auch. Ich habe eine Schachtel voll mit alten Manschettenknöpfen, ein Paar von meinem Opa sind da auch noch drin. Meinem Freund Georg, der uns allen Cricket beigebracht hat, habe ich mal ein Paar geschenkt, das wie kleine Cricketbälle aussieht. Ich selbst besitze noch ein Paar Manschettenknöpfe, die noch ausgefallener sind als die Cricketbälle. Es sind kleine Uhrwerke, ein Geburtstagsgeschenk vom Barni.

In dem Endeavour Film Sway (der im Deutschen Dunkle Mächte heißt) gibt es einen Song namens Sway von Dean Martin, den ich hier natürlich auch für Sie habe. I can hear the sounds of violins Long before it begins Make me thrill as only you know how Sway me smooth, sway me now. Und dann habe ich hier noch eine Seite, auf jemand namens Chris Sullivan alles zusammengetragen hat, was irgendwie mit diesem Film zusammenhängt. Als ich letztens eine Woche kein Fernsehen hatte und mir die ganze Woche die besten englischen Krimis auf DVD anguckte, habe ich natürlich auf die kleinen Details der Herrenmode geachtet. Und immer wieder gestaunt, welchen Aufwand die Kostümabteilung bei der Produktion der Englischen Krimiserien betrieben haben. Leider ist der Film Sway nicht im Internet. Aber wenn Sie einmal einen wirklich guten Krimi mit dem Chief Inspector Morse und seinem Sergeant Lewis sehen wollen, dann klicken Sie hier Death Is Now My Neighbour aus dem Jahre 1987 an.


Noch mehr Hemden in den Posts: englische Oberhemden, Retouren , Oberhemden, Papierkragen, Handschuhknopf, Ralph Lauren Purple Label, Haikragen, Jermyn Street, gatsby-weiß, Tab Kragen, Bielefelder Qualitätshemden, Nordstrom, fliegende Tauben, Kieler Chic, die Passe, WISICA, Schweizer OberhemdenMad Men, Hemdenkauf bei ebay, Made in Italy: Ign. Joseph, Made in Italy: Luciano Barbera, Made in Italy, Made in Italy: Lorenzini, Made in Italy: Finamore, Made in Italy: Fray

Montag, 10. März 2025

Schlacht ohne Befehlshaber

Dieser Post stand hier heute vor elf Jahren schon einmal, hatte aber damals nur wenige Leser. Das war bei einem thematisch ähnlichen Text aus meinem ersten Bloggerjahr ganz anders. Der Post Briefe hat weit über fünftausend Leser. Wir sind mit diesen Posts wieder einmal in den Freiheitskriegen gegen Napoleon, zu dem in diesem Blog sehr viel steht. Wenn Sie den Post Napoleon anklicken, finden Sie Links zu fünfzig anderen Posts. In dem  Sechs-Tage-Feldzug im Februar 1814 hatte Napoleon Blüchers Schlesischer Armee vier Niederlagen (ChampaubertMontmirailChâteau-ThierryVauchamps) beigebracht. Doch die Siege dieser Gefechte bedeuteten für Napoleon auch große Verluste. 

Blücher hat jetzt noch die Russen unter Ferdinand von Wintzingerode (Bild), den Tolstoi auch in Krieg und Frieden erwähnt, an seiner Seite. Jetzt befehligt er hunderttausend Mann. Napoleon kann vielleicht noch die Hälfte davon an kampffähigen Soldaten aufbringen. Die deutschen Generäle mögen den russischen Generalmajor Wintzingerode nicht so sehr, aber der russische Zar wird sagen, dass er ihm die Einnahme von Paris verdankt und ihm einen mit Brillanten besetzten Ehrendegen verleihen. Laon ist hundertfünfzig Kilometer von Paris entfernt, mit der Eisenbahn sind das heute zwei Stunden. Napoleon weiß, dass es für ihn eng wird. Zumal Wellingtons Armeen schon in Südfrankreich angekommen sind. Und im Südosten ist da noch die Böhmische Armee von Carl Philipp zu Schwarzenberg. Aber die Armeen der Koalition werden noch bis zum Monatsende brauchen, um Paris einzunehmen. Die Schlacht von Laon, die sich am 10. März 1814 entscheidet, dauerte mehrere Tage. Sie hatte am 7. März mit großen Verlusten beider Seiten bei Craonne begonnen.

Die Schlacht von Laon findet ohne den Marschall Blücher statt. Um Mitternacht hat man ihn am 9. März noch gesehen, danach ist er für Tage verschwunden. Da ist er nur noch ein zitterndes Häufchen Elend, hat nichts mehr von diesem Blücher, wie wir ihn von dem Bild von Thomas Lawrence kennen. Spekulationen machen die Runde, der Feldmarschall sei geistig umnachtet. Der russische General Alexandre Langeron soll gesagt haben: Au nom de Dieu, transportons ce cadavre avec nous. Das sagt auf jeden Fall der General Carl von Müffling (ein Intimfeind von Gneisenau) in Aus meinem Leben. Leider ein Werk, das mit größter Vorsicht zu betrachten ist. In dem Wikipedia Artikel zu dieser Schlacht taucht es aber noch als Referenzwerk auf.

Mit schöner Süffisanz schreibt der preußische Oberst Bernhard von Poten 1885 in der Allgemeinen Deutschen Biographie über Müffling: In seinen Denkwürdigkeiten aber beansprucht er das Verdienst eines weit größeren Antheils an den Erfolgen; er will Gneisenau, welchem er Vortrag hielt, wie dieser wieder dem Feldmarschall Blücher vortrug, in ähnlicher Weise beeinflußt haben, wie Gneisenau es bei Blücher that. Die Rathschläge zu allen gelungenen Unternehmungen will er selbst gegeben, die Mißerfolge der fehlgeschlagenen Maßregeln will er vorausgesehen haben. Das Verhältniß zwischen M. und Gneisenau war kein erfreuliches; Letzterer nennt ihn in einem Briefe an Clausewitz aus späterer Zeit „übermüthig im Glück, verzagt im Unglück; wenn es gut ging, wollte er Alles an sich reißen, wenn es schlecht ging, ward er so hinfällig, daß er keine Arbeit mehr verrichten konnte.“ Wenn man sich die Mühe macht, Müfflings Aus meinem Leben (hier im Volltext) zu lesen, wird man sehen, dass er die Rathschläge zu allen gelungenen Unternehmungen selbst gegeben hat. Wenn Blücher und Wellington Napoleon besiegen, dann nur, weil sie nach den Plänen des miles gloriosus von Müffling handeln. Das ist wirklich sehr komisch.

Der Comte de Langeron, der schon mit der französischen Armee in Haiti war und unter Rochambeau mit den Amerikanern gegen die Engländer kämpfte, war während der Französischen Revolution nach Russland geflohen. Jetzt ist er russischer General. Er ist der dienstälteste Korpskommandeur, aber weigert sich, den ihm angetragenen Oberbefehl zu übernehmen. Er weiß, dass Yorck und Bülow ihm nie gehorchen würden. Gneisenau soll es machen, der will eigentlich auch nicht. Er kann das auch nicht, er ist Heeresreformer, er kann Theorie und Planung. Er ist niemand, der eine ganze Armee im Felde führen kann. Er genießt auch kein Ansehen unter den Generälen der Armee, weil er noch nie eine größere Armeeeinheit im Kampf kommandiert hat. Ein Jahr später wird er bei Ligny für einen Tag wieder den Oberbefehl haben, wenn Blücher unter sein Pferd gekommen ist. Vielleicht hätte man jemand anderen als Gneisenau nehmen sollen, aber die Führer der einzelnen Korps sind untereinander zerstritten. Die Kommandoebene der Schlesischen Armee ist genau so fragil wie die Ampel-Koalition in Berlin.

Der General Hans David Yorck von Wartenburg zum Beispiel kann den russischen General von der Osten-Sacken nicht ausstehen, wenn er ihn nicht im Februar bei Montmirail rausgehauen hätte, dann hätte Fabian Gottlieb von der Osten-Sacken wohl kein Korps mehr. Aber eigentlich versteht von der Osten sein Handwerk. Der Infanterist ist einer der wenigen, der sich ganz von unten nach oben gedient hat. Das respektiert Blücher. Hier im Bild ist er von George Dawe gemalt, der ja alle russischen Generäle des Freiheitskrieges gemalt hat (lesen Sie dazu mehr in dem Post Kutusow). Aber die Frage ist, wen kann der Graf Yorck von Wartenburg überhaupt ausstehen? Der Mann hat das Benehmen einer Primadonna. Historiker schreiben an dieser Stelle höflich, dass er ein schwieriger Untergebener gewesen sei. So sagt Dominic Lieven in Russia against NapoleonLieutenant-General Hans David von Yorck, the commander of the Prussian corps on the left flank of Napoleon's forces, was a very difficult man even by comparison with senior Russian generals of the era. Arrogant, prickly and hypercritical, he was a nightmare as a subordinate.

Yorck hatte mit den Russen die Konvention von Tauroggen besiegelt, was für seinen Vorgesetzten, den französischen Marschall Jacques MacDonald (Bild) nur Verrat war: Ce général préparait une trahison qui n’a aucun exemple dans l’histoire. Yorcks Brief an MacDonald endet mit dem Satz: Indem ich Ihnen, gnädiger Herr, diese Erklärung mache, entledige ich mich der Verpflichtung gegen Sie und bitte Sie, die Versicherung der tiefsten Hochachtung zu genehmigen. York. Und das ist letztlich der Beginn des deutschen Freiheitskrieges, auch wenn der preußische König ihn seines Kommandos enthebt und einen Offizier schickt (der nie ankommt), um den Vaterlandsverräter festnehmen zu lassen, denn noch sind die Preußen französische Alliierte. Yorck hat mit Stein, Hardenberg und den anderen preußischen Reformern nichts im Sinn, Gneisenau mit seinen Reformideen hält er für einen radikalen Spinner. Yorck läuft jetzt nicht zu den Russen über, er steigt nur für einen Augenblick aus der Geschichte aus. Und macht dadurch Geschichte. Jetzt ist er Blüchers Untergebener, er hält Blücher für einen Idioten. Er kann es auch nicht vergessen, dass man Blücher ihm vorgezogen hat, als es um das Kommando der Schlesischen Armee ging.

Aber der 9. März 1814 ist der Tag des Grafen Yorck von Wartenburg gewesen, der zusammen mit Kleist den Angriff auf Napoleon schon vor dem eigentlichen Plan begonnen hat. Blücher schreibt ihm um Mitternacht einen Brief: Euer Exzellenz haben aufs Neue bewiesen, was Einsicht mit Entschlossenheit verbunden vermag. Ich wünsche Hochdenselben Glück zu dem brillanten Resultat dieses Tages, und vermag in beiliegender Disposition nur das zu verfolgen, was Euer Exzellenz so schön begonnen haben. Das heißt, er billigt Yorcks Pläne für den 10. März. Aber an diesem Tag geht, obwohl Napoleon die Schlacht verliert und das Schlachtfeld räumt, alles schief für die Schlesische Armee: Doch am folgenden Morgen erkrankte Blücher an einem Fieberanfall und einer Augenentzündung, und Napoleon blieb in provokatorischer Haltung weiterhin in derselben Stellung. Dadurch wurden die Männer, die jetzt die Operationen leiteten, so eingeschüchtert, daß sie nicht nur den bereits begonnenen Vormarsch ihrer eigenen Truppen stoppten, sondern Napoleon auch ermöglichten, sich bei Nachteinbruch ruhig nach Soissons zurückzuziehen, schreiben Karl Marx und Friedrich Engels. Yorck will zu Blücher, aber Gneisenau läßt ihn nicht vor. Yorck ist tödlich beleidigt, reicht seinen Rücktritt ein (nicht zum ersten Mal) und besteigt die Kutsche nach Brüssel. Aber Blücher schreibt ihm am 12. März: Alter Waffengefährte, verlassen Sie die Armee nicht, da wir am Ziel sind; ich bin sehr krank und gehe selbst, sobald der Kampf beendet. Er schreibt das mit großen Buchstaben, drei Tage zuvor konnte er keine Feder mehr in der Hand halten, konnte seinen Namen nicht mehr unter einen Befehl schreiben. Yorck kommt zurück.

Ist es wirklich wahr, dass Blücher geisteskrank ist und die Schlesische Armee ohne Führung ist? Zugeben, er ist krank. Er hat hohes Fieber, Schmerzen im Unterleib, seine Augen sind so entzündet, dass er kaum noch etwas sehen kann. Sein Geist verwirrt sich, er hat wieder eine schwere Depression. Die hat er in Schüben schon immer gehabt, das sollte sein Umfeld wissen. Schon 1808 hatte ihn sein Leibarzt namens Johann Karl von Horlacher (Bild), über den er später sagen wird: Ja, Horlacher! Ihr seid ein braver Kerl! Ich werde in meinem ganzen Leben nicht vergessen, was Ihr an mir gethan habt, wegen der gleichen Symptome behandelt. Prostatabeschwerden, eine Verengung der Harnröhre und eine trübe und hypochondrische Gemüthsstimmung. Und bei seinem Leibarzt Bieske können wir über den 10. März lesen: oft mußten der Graf v. Nostritz und ich ihm die Hand darauf geben: 'ihn nicht eher zu verlassen, bis er todt sei, denn er wisse gewiß, daß er den künftigen Morgen nicht mehr erlebte'.

Jetzt kommen auch noch die Wahnvorstellungen, in seinen Fieberphantasien bildet er sich ein, von einem französischen Grenadier vergewaltigt worden zu sein und mit einem Elefanten schwanger zu sein. Sein Adjutant Graf Nostritz schreibt in sein Tagebuch: Wenn man ihn in diesem Zustand sah, wie er mit ängstlicher Besorgnis andauernd an den Tod dachte, mit Kleinmut jeden Schmerz wahrnahm, wie er seine Phantasie mit der Auffindung neuer Krankheitssymptome quälte und, nur mit sich selbst beschäftigt, gleichgültig gegen alles war, was außer ihm war, selbst gegen das Größte und Wichtigste, …. so musste man über die Gewalt staunen, welche das physische Befinden über die geistigen Kräfte ausübte. Wir müssen bedenken, der Mann ist zweiundsiebzig. Er hat in den vergangenen Monaten keinen Augenblick Ruhe gehabt. Im Februar hat er mehrmals gegen Napoleon verloren. Er hat Teile seiner Armee verloren, jetzt will er den Mann, der ihn einen besoffenen Husaren genannt hat, endlich besiegen.

Sein Leibarzt Dr Carl Ludwig Bieske tut das einzig Richtige. Verordnet viel Schlaf und einen abgedunkelten Raum, bekämpft das Fieber und die Augenentzündung. Mit den Todesgedanken und dem Elefanten muss der Patient selbst fertig werden. Trotz seiner Krankheit schreibt Blücher am 10. März drei Briefe, an seine Frau und an seine Freunde Otto Friedrich von Bonin und Anton Wilhelm von L’Estocq. In allen Briefen wird sein Zustand nicht erwähnt. Solch nette Worte, die er über Horlacher gesagt hat, sind von ihm über Bieske nicht überliefert, aber er weiß, was er an dem hat. Bieske wird bis zu seinem Tod sein Arzt bleiben. Ein Jahr nach der Schlacht von Laon, als er bei Ligny unter sein Pferd gekommen war und der brave Nostritz seinen Mantel über ihn geworfen hatte, damit die Franzosen ihn nicht erkennen, wird es Bieske sein, der wahre medizinische Wunder verbringt. Und Blücher wieder auf das Pferd bekommt, damit er in Waterloo dabei sein kann (lesen Sie mehr dazu in dem Post Waterloo). Schließlich muss er auf dem Pferd sitzen, wenn er Wellington in der Nacht begrüßt.

Die Schlacht von Laon am 10. März 1814 wird gewonnen, mit oder ohne Blücher. Es wird in diesem Jahr die letzte Schlacht des Feldmarschalls sein. Seiner Frau schreibt er am 21. März: Aus dem vorstehenden [das leider nicht erhalten ist] ersiehst Du, daß ich gesund. Freilich hab' ich viel ausgestanden, aber ich bin ohne Fieber und Tag und Nacht zu Pferde. Das letzte ist wohl etwas übertrieben. Nach Paris fährt er mit der Kutsche, auf dem Kopf einen grünseidenen Damenhut mit Schleier. Die Augen sind immer noch nicht in Ordnung. Und dem preußischen König schreibt er im April 1814 aus Paris, dass er den Oberbefehl niederlegt: Mein hohes Alter, meine von den Fatigen des Krieges zerrüttete Gesundheit läßt mich vielleicht nur noch kurze Zeit das Glück hoffen, mich der so herrlich erkämpften Gegenwart freuen zu können. Die Armee betrachte ich wie meine Familie und es würde mir schmerzhaft sein, sie auf ewig verlassen zu müssen, ohne sie im Besitze des Erbtheils zu sehen, welches ihr zu verschaffen, für mich heilige Verpflichtung ist. Ein Jahr später wird man ihn wieder brauchen. Denn Napoleon kommt wieder.

Auch von Müffling wird man noch brauchen. Nach dem gewonnenen Krieg wird er als Gouverneur von Paris die von dem Pferdedieb von Berlin entführte Quadriga des Brandenburger Tors wieder nach Berlin zurückbringen (und Venedig bekommt seinen Marcuslöwen zurück): Nachdem ich den Auftrag dazu, durch den Beschluß der alliirten Minister in Paris, (an welche ich in den politischen Angelegenheiten gewiesen war,) erhalten hatte, beschloß ich zuerst, die Quadriga im Hofe der Tuillerien abzunehmen. Die Berliner sprachen damals von einer Retourkutsche (es gibt hier einen gleichnamigen Post), heute hat das Wort allerdings eine andere Bedeutung.

Der Freiherr von Müffling scheint auch eine neue Bedeutung durch revisionistische Amateurhistoriker und halb-akademische Biertischstrategen zu bekommen, so liest man in einer Buchrezension: Zu seinem lange Zeit in der älteren borussianischen Geschichtsschreibung vorherrschenden negativen Image haben nicht zuletzt seine erstmals 1851 posthum unter dem Titel 'Aus meinem Leben' veröffentlichten Erinnerungen beigetragen, die nach ihrem Erscheinen durch August Varnhagen von Ense als ein 'Zankbuch' charakterisiert wurden. Die Kritik entzündete sich hierbei in erster Linie an seiner Beschreibung der Feldzüge von 1813/14 und 1815, bei der dem Autor einige sachliche Fehler und Irrtümer nachgewiesen wurden. Im Kern richtete sie sich aber gegen Müfflings Charakterisierungen der preußischen 'Heroen' der Freiheitskriege Blücher und Gneisenau. Die allmähliche Revision dieser Position in der historischen Forschung führte schließlich so weit, dass Peter Hofschröer Müffling als einen der fähigsten Generalstabsoffiziere der preußischen Armee charakterisierte, der einer der Architekten des alliierten Sieges von Waterloo gewesen sei.

Die Geschichte muss also umgeschrieben werden, weil dieser Herr Hofschroer, der den akademischen Grad eines B.A. besitzt und für die Firma Osprey Publishing schreibt, das so sagt. Das Internet macht's möglich. Hofschroers einzige Publikation bei einem seriösen Verlag, die allerdings auch als controversial bezeichnet wurde, handelt von der Schlacht von Waterloo. Allerdings eigentlich nicht von der wirklichen Schlacht, sondern von dem Diorama, das ein Captain namens William Siborne von der Schlacht angefertigt hat. Mit 75.000 Zinnsoldaten. Toll. Einer unserer fähigsten Generalstabsoffiziere der preußischen Armee muss inzwischen geschützt werden. Nachdem sein Grabmal in Erfurt vor Jahren verunziert wurde, hat man ihn mit einem eisernen Käfig geschützt (oben). Sic transit gloria mundi.