Donnerstag, 20. März 2025

Knyphausen


Der Freiherr Philipp Wilhelm von Innhausen und Knyphausen wurde am 20. März 1591 auf Schloss Lütetsburg geboren. Er ist 1652 im Exil in Bremen gestorben, weil er im Streit mit dem Grafen Anton Günther von Oldenburg seine Herrschaften Innhausen und Knyphausen gegen ein erbliches Surrogat-Capital von jährlich 3.000 Reichsthalern hatte aufgeben müssen. Die Familie von Innhausen und Knyphausen bezog aus diesem Vertrag 340 Jahre lang Zahlungen, bis sie sich 1964 mit dem Land Niedersachsen auf ein Ablöseabkommen einigte. Der Graf Anton Günther war schon mehrfach in diesem Blog, zum Beispiel in den Posts Wolfgang Heimbach und Kohl und Pinkel (weil der Grünkohl im Hotel Graf Anton Günther besonders gut ist). Das Schloss Lütetsburg kenne ich, weil ich mich mal in einem Sommerurlaub durch alle Schlösser Ostfrieslands photographiert habe. Nicht mit dem Handy, sondern mit der Canon A1. Die Familie von Innhausen und Knyphausen lebt heute immer noch in dem Schloss Lütetsburg, das bei Theodor Fontane in Fünf Schlösser Lützburg heißt. Fontane war 1880 nach Lütetsburg gereist, um dort alles aus dem Familienarchiv auszugraben, was er für sein Buch gebrauchen konnte (lesen Sie hier mehr dazu). Zum Dank dafür, das ihm die Familie das alles erlaubte, hat er noch das kleine Gedicht Lützburg geschrieben:

Ein uraltes Schloß am Meeresstrand;
Ein herrlicher Park im baumlosen Land;
Durch Dämme geschützt vor der stürmenden Flut,
Manch geräumiger Hof, manch reiches Gut.
Viel wogendes Korn und Vieh auf der Weide
Und mahlende Mühlen und schweigende Heide,
Viel Gottessegen! Wie seltenste Arten
Der Bäume gedeihn trotz des Nordwinds im Garten,
Wie die Rosen ums Schloß blühn wunderbar,
So blüht im Haus die Töchterschar,
Wie im Hofe entspringt ein klarer Quell,
In den Herzen sprudelt der Frohsinn hell,
Die Jüngsten umjubeln die alte Veste,
Die Großen empfangen im Saale die Gäste,
Neun Schwestern, von eigener Art eine jede,
Und doch so ähnlich in Antlitz und Rede;
Die Stirnen klar und hell die Blicke,
Und alle haben den Schalk im Genicke,
Selbständig jede und selbstlos zugleich,
Streng gegen sich, für die andern weich.
Wer jemals hier Gastfreundschaft genoß,
Des Geist spukt um das alte Schloß
.

Philipp Wilhelm von Innhausen und Knyphausen hat auch ein wenig gedichtet, das tun Adlige im Barock gern. Er wurde 1634 von Ludwig I. von Anhalt-Köthen in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen, wozu er dieses Gedicht verfasste:

Wie der Liebesäpffel frucht ist schön vnd Zugenießen
Gar wenig, Alß auch Zur liebe man gefließen
Zwart alle Zeit sol sein, doch weiter gehen nit
Als seine pflicht der eh in allem bringet mit
Verliebt der nahme mir derhalben ist gegeben
Dardurch Zu deuten ahn, wie eines Mannes leben
Jm er fruchtbringend sey in seinem hauß allein.

Das ist nun nicht der Höhepunkt der Barocklyrik, aber immerhin, unser in Bremen lebender Freiherr dichtet. Ich möchte dem Gedicht ein anderes Werk gegenüberstellen, das auch von einem Knyphausen geschrieben wurde. Es hat den Titel: Es ist still auf dem Rastplatz Krachgarten

Alle sind stumm bis auf das Radio
und auf der Gegenfahrbahn
Lichter die aus dem Dunkeln sich verirren
Es geht mir gut, es geht mir sehr, sehr gut
wohin auch immer wir fahren
jeder Meter bringt uns weiter weg
und führt uns näher ran
an all die Dinge die wir nie begreifen werden... oh
solange dir Räder rollen stehen meine kleinen Teufel still
halte bitte nicht an, bitte noch nicht

aus unseren schäbigen, alten Boxen strömen die Lieder
aus vielen, vielen, vielen Jahren direkt in unsere Herzen
ihre Sänger haben die immer gleichen Losung auf den Lippen
die Welt ist gräßlich und wunderschön... mhm

Gegen Fernweh
hilft nur das Heimweh
das rufe ich und renne los
immer wenn der Regen gegen mein Fenster schlägt
und dabei, ist es doch das Heimweh
das mich suchen lässt
an Orten fern von hier
in Leben die fern von meinem sind
dieser alte Trugschluß
ist das, was mich antreibt
ist das, was mich aufschreckt in der Nacht
das, was ich nicht los lassen kann 
also lass mich los
lass mich los

aus unseren schäbigen, alten Boxen strömen die Lieder
aus vielen, vielen, vielen Jahren direkt in unsere Herzen
ich hab die immer gleiche Losung auf den Lippen
die Welt ist gräßlich und wunderschön... mhm

Gisbert zu Knyphausen schreibt nicht nur solche Texte, er singt auch noch. Er ist irgendwo zwischen Hannes Wader, Klaus Hoffmann und Reinhard Mey, ist aber nicht schlecht. Er singt auch Schubert, aber das kann Hannes Wader besser. Gisbert ist zur Zeit der berühmteste Namensträger der Familie Knyphausen. Oder ist das die Künstlerin Cosima zu Knyphausen? Oder der Schauspieler Felix zu Knyphausen? Diese Knyphausens scheinen überall zu sein, bei Eltville haben sie noch ein Weingut und verkaufen Weine, die Baron Knyphausen heißen.

Berühmt war auch einmal Wilhelm Knyphausen, der als General in hessischen Diensten mit den Truppen, die der Soldatenhändler Friedrich II von Hessen den Engländern verkauft hatte, in Amerika kämpft. Er ist den ganzen Unabhängigkeitskrieg dabei und hat einen großen Moment, wenn er Fort Washington erobert. Das der englische General Sir William Howe umgehend in Fort Knyphausen umbenennt. Es heißt heute aber wieder Fort Washington.

Der bedeutendste aus der Familie scheint mir Edzard Moritz zu Innhausen und Kyphausen zu sein, den der hannoversche König 1816 zum Grafen ernannt hat. Sein Sohn Carl Wilhelm Georg Graf zu Inn- und Knyphausen wird ein hoher Beamter im Königreich Hannover werden; leider ist das Porträt von Franz Krüger 1893 verbrannt und ist nur noch als Lithographie zu sehen. Edzard Moritz hatte nach dem Tode seines Bruders die Herrlichkeit (welch schönes Wort) Lütetsburg geerbt und sofort damit begonnen, den von seinem Großvater angelegten Barockpark umzugestalten. Er will so etwas haben, was Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau in Wörlitz geschaffen hat. Das wollen die kleinen Fürsten in dem Flickenteppich Deutschland jetzt alle, ob sie Pückler oder Malte von Putbus heißen. Sie wollen einen englischen Landschaftsgarten (zu dem es hier einen ausführlichen kulturhistorischen Post gibt).

Der Park, den ihm die Landschaftsgärtner Carl Ferdinand Bosse und  Julius Friedrich Wilhelm Bosse acht Kilometer von der Nordsee entfernt bauen wird, ist der größte private englische Landschaftsgarten Norddeutschlands. Er wäre vielleicht noch größer geworden, wenn nicht der Großherzog von Oldenburg Peter Friedrich Ludwig den jungen Bosse abgeworben hätte. Wofür er eine erhebliche Entschädigungssumme zahlen muss. Heute werden Fußballspieler verkauft, damals kaufen sich Fürsten Landschaftsgärtner. Philipp Wilhelm hatte die kleinen Flecken Innhausen und Knyphausen bei Wilhelmshaven nur bekommen, weil sein älterer Bruder katholisch geworden war. In der Fruchtbringenden Gesellschaft hatte er den Namen der Verliebte. Er wird dafür sorgen, dass eines Mannes leben Jm er fruchtbringend sey in seinem hauß allein. Sein Name wird nicht aussterben. Er wird dreimal heiraten und fünf Söhne haben, von denen der schwedische Feldherr Dodo Moritz Reichsgraf zu Innhausen der berühmteste sein wird.

Montag, 17. März 2025

alles grün


Das irische Department of Foreign Affairs and Trade hat zum Saint Patrick's Day 2025 ein Video ins Netz gestellt, das Iren auf der ganzen Welt zeigt, die etwas Besonderes tun. Unterlegt ist das Video mit dem Song der Pogues A Rainy Night in Soho, der hier von Cat Dowling sehr schön gesungen wird. Der St Patrick' Day wird auch im Weißen Haus gefeiert, wo Donald Trump gerade die Gelegenheit nutzte, dem irischen Premier Micheál Martin vorzuwerfen, dass Irland die USA bestohlen hätte. Was Trump in diesem Video in drei Tagen über achthundert wunderbar beleidigende Kommentare eintrug, von denen brings foreign leaders into the Whitehouse in front of the press then insults them what a jerk noch das Harmloseste ist. 

Unter Präsident Obama wurde das Wasser des Brunnens vor dem Weißen Haus grün eingefärbt. In Chicago färben sie jedes Jahr den Fluss grün. Obama trug beim Empfang des irischen Präsidenten einen grünen Schlips. Grün muss das alles sein an diesem Tag, denn die Farbe Grün und das Kleeblatt waren das Symbol der irischen Rebellion im Jahr 1798. Davon kündet noch die alte Ballade The Wearing of the Green:

O Paddy dear, an' did ye hear the news that's goin' round?
The shamrock is by law forbid to grow on Irish ground;
St. Patrick's Day no more we'll keep, his colour can't be seen,
For there's a cruel law agin the wearin' o' the Green.
I met wid Napper Tandy and he took me by the hand,
And he said, 'How's dear ould Ireland, and how does she stand?'
She's the most distressful country that ever yet was seen,
For they're hangin' men an' women there for the wearin' o' the Green

Das Lied aus dem Jahre 1798 hat bis heute überlebt, bei YouTube finden sich unzählige Aufnahmen. Ich habe hier die Aufnahme von John McCormack, einem Sänger, den James Joyce (der eigentlich Sänger werden wollte) bewunderte. Lesen Sie mehr dazu in dem schönen Post The Lass of Aughrim.

Nirgendwo auf der Welt wird der Saint Patrick's Day so ausgiebig gefeiert wie in den USA. Und das schon seit 1737, als die Charitable Irish Society of Boston die ersten Feierlichkeiten organisierte. Viele amerikanische Präsidenten haben irische Vorfahren. Als ich noch an der Uni war, hatte unser amerikanischer Lektor Peter Imsdahl uns dazu gebracht, den Tag würdig zu begehen. Ich habe dann immer den grünen Schlips mit den hellgrünen kleinen Kleeblättern (natürlich von der irischen Firma Atkinsons) umgebunden und ein Guinness getrunken. Guinness werde ich heute nicht trinken, das Zeuch mag ich nicht. Aber ein bisschen Irland soll in die Wohnung kommen. Ich habe meinen beinahe fünfzig Jahre alten Toshiba Cassettenrecorder reparieren lassen, da gibt es heute den ganzen Tag Planxty und so etwas. Und ein wenig Whiskey ist auch noch im Haus, eine kleine Flasche ohne Etikett. Eine unbekannte Abfüllung, die ein Freund mir letztens aus Irland mitgebracht hat. Da kann ich nur sagen: Sláinte Mhath.

Noch mehr zu diesem Tag, der in Irland, in Montserrat und der kanadischen Provinz Neufundland ein gesetzlicher Feiertag ist, finden Sie in den Posts St Patrick's Day, Der heilige Patrick und Schlangenfreie Zone.

Donnerstag, 13. März 2025

Manschetten


In dem Film Sway aus der Serie Endeavour findet der Detektiv Endeavour Morse am Tatort einen silbernen Manschettenknopf mit dem Buchstaben Alpha. Wenn er noch den zweiten mit dem Omega findet, hat er den Mörder. Glaubt er, aber das ist ein red herring, der Manschettenknopf wurde dort nachträglich plaziert. Er befragt den Kaufhauserben Allan Burridge (Joe Bannister), aus dessen Haus die seidenen Strümpfe stammen, mit denen drei Frauen ermordet wurden. Burridge, in einem eleganten Covert Coat, zeigt ihm seinen Hemdsärmel, keine Manschettenknöpfe, nur ein Knopf. Cuff links are old hat. Not to mention liable to fall out, sagt er. Wir sind im November 1966, Manschettenknöpfe haben offenbar ausgedient.

Auf jeden Fall in dieser Fernsehserie. Nicht bei mir, ich trug 1966 noch Hemden mit Doppelmanschetten. Also dem, was der Engländer French Cuff nennt. Aber nur zu Anzügen, zu Sportjacken, Tweed oder Cord, passen keine Manschettenknöpfe. Das steht in diesem Blog schon 2010 in dem Post Oberhemden. Seit ich nicht mehr in der Uni bin, trage ich selten Anzüge. Zu Anzügen habe ich immer Hemden mit Doppelmanschetten getragen, das gehört sich so. Es geht viel verloren in dem, was man so schön Kleidungskultur nennt. Neuerdings reicht ein weißes T Shirt unter dem Jackett, das sieht man im TV immer wieder. Als ich letztens ein Hemd mit einer Doppelmanschette trug, musste ich die Manschettenknöpfe erst suchen, weil ich sie gut weggeräumt hatte. Fand dann aber den kleinen Karton mit den Knöpfen, ich nahm die schlichten goldenen. Die hatte meine Mutter mal meinem Vater geschenkt. Er hat sie nie getragen, il ne faut jamais rien outrer. So wie bei diesem Herrn aus dem 17. Jahrhundert hat es mit den Manschetten angefangen, einem Wort, das wir aus dem Französischen haben. Da heißt manchette Ärmelchen.

Mr Burridge trägt in Sway eine Manschette mit einem Knopf. Englische Hemdenhersteller (sogar Charles Tyrwhitt) bieten heute bevorzugt Manschetten mit zwei Knöpfen an, das sieht eleganter aus als die Einknopfmanschette. Und dann gibt es noch die sogenannte Wiener Manschette, die auch Kombimanchette heißt. Das ist eine einfache (nicht doppelte) Manschette, die geknöpft oder mit Manschettenknöpfen getragen werden kann, weil sie zwei Knopflöcher hat. Es ist ein Typ der Manschette, den man vermeiden sollte, ist nichts Halbes und nichts Ganzes.

Etwas ganz Besonderes ist dagegen diese Manschette, die zuerst hier 2010 in dem Post Secret Agents auftauchte. Als Michael Fish, dem England die →Peacock Revolution verdankt, noch bei Turnbull &Asser war, hat er für Sean Connery die Hemden mit diesen rattenscharfen Manschetten geschneidert. Man nennt diese Manschette allgemein →Cocktail Cuff, sie hat aber noch viele andere Namen. T&A hat solche Hemden noch im Programm, in Deutschland wird man die kaum finden.

Die Firma hatte in den siebziger Jahren (also damals, als ich Turnbull & Asser trug) als signature cuff drei Knöpfe an der Knopfmanschette. Das fand ich damals scharf: It’s just another little detail – like the fact that all of our ready-to-wear shirts come with either double, cocktail or three-button cuffs – that have been signature styles for more than a half a century. A three-button cuff may sound excessive, but it allows the wearing of a bigger watch, for example, and will probably be around long after the fashion for big watches has gone. It’s those details that make wearing a Turnbull & Asser shirt like being in a club. We wouldn’t put a logo on our shirts but people who wear our shirts know each other from those little touches.

Die Manschettenknöpfe sollen am Hof Ludwig des Vierzehntens zuerst aufgetaucht sein. Da waren die boutons de manchettes schmuckverzierte Knöpfe, die von einer kleinen Kette aus Edelmetall gehalten wurden. In dem Augenblick, in dem man die Manschetten eines Hemdes zeigt, wird es zu einem Kleidungsstück. Vorher waren Hemden nur Unterwäsche. Manschettenknöpfe, wie wir sie heute kennen, kamen in der Mitte des 19. Jahrhunderts in England auf. Weil die Manschetten der viktorianischen Leinenhemden derart gestärkt waren, dass man da keinen Knopf mehr hätte dran nähen können. Zuerst waren die Manschetten noch nicht am Hemd. Es waren kleine separate Röllchen, die man über den Ärmelabschluß stülpte oder an das wristband des Hemdes knöpfte. Man konnte jeden Tag ein neues Röllchen überstülpen und damit vorgaukeln, man träge eine neues frisches weißes Hemd. Denn das weiße Hemd, das tägliches Waschen voraussetzt, ist das ultimative Modestück in dem schmutzigen viktorianischen Zeitalter. Über diese Leinenröllchen heißt es bei Claudia Wiesniewski in ihrem Kleinen Wörterbuch des Kostüms und der Mode: Von eleganten Herren ungern getragen, dennoch weit verbreitet. Erst seit 1871 die Firma Brown, Davis & Co. ein Patent für ihre Hemden bekommt, haben die englischen Hemden Knöpfe an der Vorderseite. Vorher zog man sie wie ein Nachthemd über den Kopf.  

Die Bezeichnung French Cuff für die Doppelmanschette (die manchmal auch Klapp- oder Umschlagmanschette heißt) kommt wahrscheinlich aus Amerika. Webster's Wörterbuch kennt die Bezeichnung seit 1916. Und das ist auch ungefähr die Zeit, in der die Doppelmanschette en masse in die Herrenmode kommt. Erfunden haben diese Manschette wohl die shirt makers der Jermyn Street. Angeblich hatten die ersten Doppelmanschetten zwei Knopflöcher mehr, damit man das Hemd einen zweiten Tag tragen konnte, wenn die untere Manschettenkante schmutzig geworden war. Dann wanderten die Manschettenknöpfe in die tiefer liegenden Knopflöcher.

Manschettenknöpfe gibt es zuhauf, bei ebay ab einem Euro. Bei Longmire in London oder Boucheron in Paris sind sie teurer. Man findet bei ebay auch sehr preiswert Donald Trump Manschettenknöpfe, falls man so etwas braucht. Rolex Manschettenknöpfe gibt es auch. Ich habe eine Schachtel voll mit alten Manschettenknöpfen, ein Paar von meinem Opa sind da auch noch drin. Meinem Freund Georg, der uns allen Cricket beigebracht hat, habe ich mal ein Paar geschenkt, das wie kleine Cricketbälle aussieht. Ich selbst besitze noch ein Paar Manschettenknöpfe, die noch ausgefallener sind als die Cricketbälle. Es sind kleine Uhrwerke, ein Geburtstagsgeschenk vom Barni.

In dem Endeavour Film Sway (der im Deutschen Dunkle Mächte heißt) gibt es einen Song namens Sway von Dean Martin, den ich hier natürlich auch für Sie habe. I can hear the sounds of violins Long before it begins Make me thrill as only you know how Sway me smooth, sway me now. Und dann habe ich hier noch eine Seite, auf jemand namens Chris Sullivan alles zusammengetragen hat, was irgendwie mit diesem Film zusammenhängt. Als ich letztens eine Woche kein Fernsehen hatte und mir die ganze Woche die besten englischen Krimis auf DVD anguckte, habe ich natürlich auf die kleinen Details der Herrenmode geachtet. Und immer wieder gestaunt, welchen Aufwand die Kostümabteilung bei der Produktion der Englischen Krimiserien betrieben haben. Leider ist der Film Sway nicht im Internet. Aber wenn Sie einmal einen wirklich guten Krimi mit dem Chief Inspector Morse und seinem Sergeant Lewis sehen wollen, dann klicken Sie hier Death Is Now My Neighbour aus dem Jahre 1987 an.


Noch mehr Hemden in den Posts: englische Oberhemden, Retouren , Oberhemden, Papierkragen, Handschuhknopf, Ralph Lauren Purple Label, Haikragen, Jermyn Street, gatsby-weiß, Tab Kragen, Bielefelder Qualitätshemden, Nordstrom, fliegende Tauben, Kieler Chic, die Passe, WISICA, Schweizer OberhemdenMad Men, Hemdenkauf bei ebay, Made in Italy: Ign. Joseph, Made in Italy: Luciano Barbera, Made in Italy, Made in Italy: Lorenzini, Made in Italy: Finamore, Made in Italy: Fray

Montag, 10. März 2025

Schlacht ohne Befehlshaber

Dieser Post stand hier heute vor elf Jahren schon einmal, hatte aber damals nur wenige Leser. Das war bei einem thematisch ähnlichen Text aus meinem ersten Bloggerjahr ganz anders. Der Post Briefe hat weit über fünftausend Leser. Wir sind mit diesen Posts wieder einmal in den Freiheitskriegen gegen Napoleon, zu dem in diesem Blog sehr viel steht. Wenn Sie den Post Napoleon anklicken, finden Sie Links zu fünfzig anderen Posts. In dem  Sechs-Tage-Feldzug im Februar 1814 hatte Napoleon Blüchers Schlesischer Armee vier Niederlagen (ChampaubertMontmirailChâteau-ThierryVauchamps) beigebracht. Doch die Siege dieser Gefechte bedeuteten für Napoleon auch große Verluste. 

Blücher hat jetzt noch die Russen unter Ferdinand von Wintzingerode (Bild), den Tolstoi auch in Krieg und Frieden erwähnt, an seiner Seite. Jetzt befehligt er hunderttausend Mann. Napoleon kann vielleicht noch die Hälfte davon an kampffähigen Soldaten aufbringen. Die deutschen Generäle mögen den russischen Generalmajor Wintzingerode nicht so sehr, aber der russische Zar wird sagen, dass er ihm die Einnahme von Paris verdankt und ihm einen mit Brillanten besetzten Ehrendegen verleihen. Laon ist hundertfünfzig Kilometer von Paris entfernt, mit der Eisenbahn sind das heute zwei Stunden. Napoleon weiß, dass es für ihn eng wird. Zumal Wellingtons Armeen schon in Südfrankreich angekommen sind. Und im Südosten ist da noch die Böhmische Armee von Carl Philipp zu Schwarzenberg. Aber die Armeen der Koalition werden noch bis zum Monatsende brauchen, um Paris einzunehmen. Die Schlacht von Laon, die sich am 10. März 1814 entscheidet, dauerte mehrere Tage. Sie hatte am 7. März mit großen Verlusten beider Seiten bei Craonne begonnen.

Die Schlacht von Laon findet ohne den Marschall Blücher statt. Um Mitternacht hat man ihn am 9. März noch gesehen, danach ist er für Tage verschwunden. Da ist er nur noch ein zitterndes Häufchen Elend, hat nichts mehr von diesem Blücher, wie wir ihn von dem Bild von Thomas Lawrence kennen. Spekulationen machen die Runde, der Feldmarschall sei geistig umnachtet. Der russische General Alexandre Langeron soll gesagt haben: Au nom de Dieu, transportons ce cadavre avec nous. Das sagt auf jeden Fall der General Carl von Müffling (ein Intimfeind von Gneisenau) in Aus meinem Leben. Leider ein Werk, das mit größter Vorsicht zu betrachten ist. In dem Wikipedia Artikel zu dieser Schlacht taucht es aber noch als Referenzwerk auf.

Mit schöner Süffisanz schreibt der preußische Oberst Bernhard von Poten 1885 in der Allgemeinen Deutschen Biographie über Müffling: In seinen Denkwürdigkeiten aber beansprucht er das Verdienst eines weit größeren Antheils an den Erfolgen; er will Gneisenau, welchem er Vortrag hielt, wie dieser wieder dem Feldmarschall Blücher vortrug, in ähnlicher Weise beeinflußt haben, wie Gneisenau es bei Blücher that. Die Rathschläge zu allen gelungenen Unternehmungen will er selbst gegeben, die Mißerfolge der fehlgeschlagenen Maßregeln will er vorausgesehen haben. Das Verhältniß zwischen M. und Gneisenau war kein erfreuliches; Letzterer nennt ihn in einem Briefe an Clausewitz aus späterer Zeit „übermüthig im Glück, verzagt im Unglück; wenn es gut ging, wollte er Alles an sich reißen, wenn es schlecht ging, ward er so hinfällig, daß er keine Arbeit mehr verrichten konnte.“ Wenn man sich die Mühe macht, Müfflings Aus meinem Leben (hier im Volltext) zu lesen, wird man sehen, dass er die Rathschläge zu allen gelungenen Unternehmungen selbst gegeben hat. Wenn Blücher und Wellington Napoleon besiegen, dann nur, weil sie nach den Plänen des miles gloriosus von Müffling handeln. Das ist wirklich sehr komisch.

Der Comte de Langeron, der schon mit der französischen Armee in Haiti war und unter Rochambeau mit den Amerikanern gegen die Engländer kämpfte, war während der Französischen Revolution nach Russland geflohen. Jetzt ist er russischer General. Er ist der dienstälteste Korpskommandeur, aber weigert sich, den ihm angetragenen Oberbefehl zu übernehmen. Er weiß, dass Yorck und Bülow ihm nie gehorchen würden. Gneisenau soll es machen, der will eigentlich auch nicht. Er kann das auch nicht, er ist Heeresreformer, er kann Theorie und Planung. Er ist niemand, der eine ganze Armee im Felde führen kann. Er genießt auch kein Ansehen unter den Generälen der Armee, weil er noch nie eine größere Armeeeinheit im Kampf kommandiert hat. Ein Jahr später wird er bei Ligny für einen Tag wieder den Oberbefehl haben, wenn Blücher unter sein Pferd gekommen ist. Vielleicht hätte man jemand anderen als Gneisenau nehmen sollen, aber die Führer der einzelnen Korps sind untereinander zerstritten. Die Kommandoebene der Schlesischen Armee ist genau so fragil wie die Ampel-Koalition in Berlin.

Der General Hans David Yorck von Wartenburg zum Beispiel kann den russischen General von der Osten-Sacken nicht ausstehen, wenn er ihn nicht im Februar bei Montmirail rausgehauen hätte, dann hätte Fabian Gottlieb von der Osten-Sacken wohl kein Korps mehr. Aber eigentlich versteht von der Osten sein Handwerk. Der Infanterist ist einer der wenigen, der sich ganz von unten nach oben gedient hat. Das respektiert Blücher. Hier im Bild ist er von George Dawe gemalt, der ja alle russischen Generäle des Freiheitskrieges gemalt hat (lesen Sie dazu mehr in dem Post Kutusow). Aber die Frage ist, wen kann der Graf Yorck von Wartenburg überhaupt ausstehen? Der Mann hat das Benehmen einer Primadonna. Historiker schreiben an dieser Stelle höflich, dass er ein schwieriger Untergebener gewesen sei. So sagt Dominic Lieven in Russia against NapoleonLieutenant-General Hans David von Yorck, the commander of the Prussian corps on the left flank of Napoleon's forces, was a very difficult man even by comparison with senior Russian generals of the era. Arrogant, prickly and hypercritical, he was a nightmare as a subordinate.

Yorck hatte mit den Russen die Konvention von Tauroggen besiegelt, was für seinen Vorgesetzten, den französischen Marschall Jacques MacDonald (Bild) nur Verrat war: Ce général préparait une trahison qui n’a aucun exemple dans l’histoire. Yorcks Brief an MacDonald endet mit dem Satz: Indem ich Ihnen, gnädiger Herr, diese Erklärung mache, entledige ich mich der Verpflichtung gegen Sie und bitte Sie, die Versicherung der tiefsten Hochachtung zu genehmigen. York. Und das ist letztlich der Beginn des deutschen Freiheitskrieges, auch wenn der preußische König ihn seines Kommandos enthebt und einen Offizier schickt (der nie ankommt), um den Vaterlandsverräter festnehmen zu lassen, denn noch sind die Preußen französische Alliierte. Yorck hat mit Stein, Hardenberg und den anderen preußischen Reformern nichts im Sinn, Gneisenau mit seinen Reformideen hält er für einen radikalen Spinner. Yorck läuft jetzt nicht zu den Russen über, er steigt nur für einen Augenblick aus der Geschichte aus. Und macht dadurch Geschichte. Jetzt ist er Blüchers Untergebener, er hält Blücher für einen Idioten. Er kann es auch nicht vergessen, dass man Blücher ihm vorgezogen hat, als es um das Kommando der Schlesischen Armee ging.

Aber der 9. März 1814 ist der Tag des Grafen Yorck von Wartenburg gewesen, der zusammen mit Kleist den Angriff auf Napoleon schon vor dem eigentlichen Plan begonnen hat. Blücher schreibt ihm um Mitternacht einen Brief: Euer Exzellenz haben aufs Neue bewiesen, was Einsicht mit Entschlossenheit verbunden vermag. Ich wünsche Hochdenselben Glück zu dem brillanten Resultat dieses Tages, und vermag in beiliegender Disposition nur das zu verfolgen, was Euer Exzellenz so schön begonnen haben. Das heißt, er billigt Yorcks Pläne für den 10. März. Aber an diesem Tag geht, obwohl Napoleon die Schlacht verliert und das Schlachtfeld räumt, alles schief für die Schlesische Armee: Doch am folgenden Morgen erkrankte Blücher an einem Fieberanfall und einer Augenentzündung, und Napoleon blieb in provokatorischer Haltung weiterhin in derselben Stellung. Dadurch wurden die Männer, die jetzt die Operationen leiteten, so eingeschüchtert, daß sie nicht nur den bereits begonnenen Vormarsch ihrer eigenen Truppen stoppten, sondern Napoleon auch ermöglichten, sich bei Nachteinbruch ruhig nach Soissons zurückzuziehen, schreiben Karl Marx und Friedrich Engels. Yorck will zu Blücher, aber Gneisenau läßt ihn nicht vor. Yorck ist tödlich beleidigt, reicht seinen Rücktritt ein (nicht zum ersten Mal) und besteigt die Kutsche nach Brüssel. Aber Blücher schreibt ihm am 12. März: Alter Waffengefährte, verlassen Sie die Armee nicht, da wir am Ziel sind; ich bin sehr krank und gehe selbst, sobald der Kampf beendet. Er schreibt das mit großen Buchstaben, drei Tage zuvor konnte er keine Feder mehr in der Hand halten, konnte seinen Namen nicht mehr unter einen Befehl schreiben. Yorck kommt zurück.

Ist es wirklich wahr, dass Blücher geisteskrank ist und die Schlesische Armee ohne Führung ist? Zugeben, er ist krank. Er hat hohes Fieber, Schmerzen im Unterleib, seine Augen sind so entzündet, dass er kaum noch etwas sehen kann. Sein Geist verwirrt sich, er hat wieder eine schwere Depression. Die hat er in Schüben schon immer gehabt, das sollte sein Umfeld wissen. Schon 1808 hatte ihn sein Leibarzt namens Johann Karl von Horlacher (Bild), über den er später sagen wird: Ja, Horlacher! Ihr seid ein braver Kerl! Ich werde in meinem ganzen Leben nicht vergessen, was Ihr an mir gethan habt, wegen der gleichen Symptome behandelt. Prostatabeschwerden, eine Verengung der Harnröhre und eine trübe und hypochondrische Gemüthsstimmung. Und bei seinem Leibarzt Bieske können wir über den 10. März lesen: oft mußten der Graf v. Nostritz und ich ihm die Hand darauf geben: 'ihn nicht eher zu verlassen, bis er todt sei, denn er wisse gewiß, daß er den künftigen Morgen nicht mehr erlebte'.

Jetzt kommen auch noch die Wahnvorstellungen, in seinen Fieberphantasien bildet er sich ein, von einem französischen Grenadier vergewaltigt worden zu sein und mit einem Elefanten schwanger zu sein. Sein Adjutant Graf Nostritz schreibt in sein Tagebuch: Wenn man ihn in diesem Zustand sah, wie er mit ängstlicher Besorgnis andauernd an den Tod dachte, mit Kleinmut jeden Schmerz wahrnahm, wie er seine Phantasie mit der Auffindung neuer Krankheitssymptome quälte und, nur mit sich selbst beschäftigt, gleichgültig gegen alles war, was außer ihm war, selbst gegen das Größte und Wichtigste, …. so musste man über die Gewalt staunen, welche das physische Befinden über die geistigen Kräfte ausübte. Wir müssen bedenken, der Mann ist zweiundsiebzig. Er hat in den vergangenen Monaten keinen Augenblick Ruhe gehabt. Im Februar hat er mehrmals gegen Napoleon verloren. Er hat Teile seiner Armee verloren, jetzt will er den Mann, der ihn einen besoffenen Husaren genannt hat, endlich besiegen.

Sein Leibarzt Dr Carl Ludwig Bieske tut das einzig Richtige. Verordnet viel Schlaf und einen abgedunkelten Raum, bekämpft das Fieber und die Augenentzündung. Mit den Todesgedanken und dem Elefanten muss der Patient selbst fertig werden. Trotz seiner Krankheit schreibt Blücher am 10. März drei Briefe, an seine Frau und an seine Freunde Otto Friedrich von Bonin und Anton Wilhelm von L’Estocq. In allen Briefen wird sein Zustand nicht erwähnt. Solch nette Worte, die er über Horlacher gesagt hat, sind von ihm über Bieske nicht überliefert, aber er weiß, was er an dem hat. Bieske wird bis zu seinem Tod sein Arzt bleiben. Ein Jahr nach der Schlacht von Laon, als er bei Ligny unter sein Pferd gekommen war und der brave Nostritz seinen Mantel über ihn geworfen hatte, damit die Franzosen ihn nicht erkennen, wird es Bieske sein, der wahre medizinische Wunder verbringt. Und Blücher wieder auf das Pferd bekommt, damit er in Waterloo dabei sein kann (lesen Sie mehr dazu in dem Post Waterloo). Schließlich muss er auf dem Pferd sitzen, wenn er Wellington in der Nacht begrüßt.

Die Schlacht von Laon am 10. März 1814 wird gewonnen, mit oder ohne Blücher. Es wird in diesem Jahr die letzte Schlacht des Feldmarschalls sein. Seiner Frau schreibt er am 21. März: Aus dem vorstehenden [das leider nicht erhalten ist] ersiehst Du, daß ich gesund. Freilich hab' ich viel ausgestanden, aber ich bin ohne Fieber und Tag und Nacht zu Pferde. Das letzte ist wohl etwas übertrieben. Nach Paris fährt er mit der Kutsche, auf dem Kopf einen grünseidenen Damenhut mit Schleier. Die Augen sind immer noch nicht in Ordnung. Und dem preußischen König schreibt er im April 1814 aus Paris, dass er den Oberbefehl niederlegt: Mein hohes Alter, meine von den Fatigen des Krieges zerrüttete Gesundheit läßt mich vielleicht nur noch kurze Zeit das Glück hoffen, mich der so herrlich erkämpften Gegenwart freuen zu können. Die Armee betrachte ich wie meine Familie und es würde mir schmerzhaft sein, sie auf ewig verlassen zu müssen, ohne sie im Besitze des Erbtheils zu sehen, welches ihr zu verschaffen, für mich heilige Verpflichtung ist. Ein Jahr später wird man ihn wieder brauchen. Denn Napoleon kommt wieder.

Auch von Müffling wird man noch brauchen. Nach dem gewonnenen Krieg wird er als Gouverneur von Paris die von dem Pferdedieb von Berlin entführte Quadriga des Brandenburger Tors wieder nach Berlin zurückbringen (und Venedig bekommt seinen Marcuslöwen zurück): Nachdem ich den Auftrag dazu, durch den Beschluß der alliirten Minister in Paris, (an welche ich in den politischen Angelegenheiten gewiesen war,) erhalten hatte, beschloß ich zuerst, die Quadriga im Hofe der Tuillerien abzunehmen. Die Berliner sprachen damals von einer Retourkutsche (es gibt hier einen gleichnamigen Post), heute hat das Wort allerdings eine andere Bedeutung.

Der Freiherr von Müffling scheint auch eine neue Bedeutung durch revisionistische Amateurhistoriker und halb-akademische Biertischstrategen zu bekommen, so liest man in einer Buchrezension: Zu seinem lange Zeit in der älteren borussianischen Geschichtsschreibung vorherrschenden negativen Image haben nicht zuletzt seine erstmals 1851 posthum unter dem Titel 'Aus meinem Leben' veröffentlichten Erinnerungen beigetragen, die nach ihrem Erscheinen durch August Varnhagen von Ense als ein 'Zankbuch' charakterisiert wurden. Die Kritik entzündete sich hierbei in erster Linie an seiner Beschreibung der Feldzüge von 1813/14 und 1815, bei der dem Autor einige sachliche Fehler und Irrtümer nachgewiesen wurden. Im Kern richtete sie sich aber gegen Müfflings Charakterisierungen der preußischen 'Heroen' der Freiheitskriege Blücher und Gneisenau. Die allmähliche Revision dieser Position in der historischen Forschung führte schließlich so weit, dass Peter Hofschröer Müffling als einen der fähigsten Generalstabsoffiziere der preußischen Armee charakterisierte, der einer der Architekten des alliierten Sieges von Waterloo gewesen sei.

Die Geschichte muss also umgeschrieben werden, weil dieser Herr Hofschroer, der den akademischen Grad eines B.A. besitzt und für die Firma Osprey Publishing schreibt, das so sagt. Das Internet macht's möglich. Hofschroers einzige Publikation bei einem seriösen Verlag, die allerdings auch als controversial bezeichnet wurde, handelt von der Schlacht von Waterloo. Allerdings eigentlich nicht von der wirklichen Schlacht, sondern von dem Diorama, das ein Captain namens William Siborne von der Schlacht angefertigt hat. Mit 75.000 Zinnsoldaten. Toll. Einer unserer fähigsten Generalstabsoffiziere der preußischen Armee muss inzwischen geschützt werden. Nachdem sein Grabmal in Erfurt vor Jahren verunziert wurde, hat man ihn mit einem eisernen Käfig geschützt (oben). Sic transit gloria mundi.



Mittwoch, 5. März 2025

Gerrit Bekker ✝


Ich las in der Zeitung, dass der Maler und Dichter Gerrit Bekker im Alter von einundachtzig Jahren gestorben ist. Der Name sagte mir etwas, ich wusste nur nicht was. Ich hätte jetzt das Internet befragen können, aber ich verließ mich darauf, dass mein Gedächtnis mit der Zeit etwas zu Tage fördern würde, was ich vergessen oder verdrängt hatte. Das tat es auch. In kleinen Stücken. Mein Gedächtnis sagte mir: Rendsburg,  frühe achtziger Jahre. Und nachdem ich mir eine Pfeife angesteckt hatte, sagte es: dunkelblauer, schmaler Gedichtband, seltsamer Titel. Ich rauchte erst einmal die Pfeife zu Ende und ging dann zum Bücherregal. Die deutsche Literatur ist bei mir alphabetisch geordnet. Bei den Germanisten in der Uni ist sie nach dem Geburtsjahr des Dichters geordnet, was ich immer ziemlich blöd fand. 

Ich brauchte unter dem Buchstaben B nicht lange zu suchen, da war das Buch auch schon. Es hieß Wachsflügels Furcht, es war das erste Buch von Gerrit Bekker. Ich hatte es 1982 von einem entfernten Verwandten geschenkt bekommen, der mit dem Dichter befreundet war. Der hoffte wahrscheinlich, dass ich das Buch irgendwo rezensieren würde, weil ich damals viele Rezensionen schrieb. Was ich aber nicht tat, weil ich mit den Gedichten nichts anfangen konnte. Auf dem Buchrücken steht: Gerrit Bekkers Lyrik ist nicht einzuordnen - sie steht mit ihrer sprachlichen Freiheit und Sinnlichkeit quer zur deutschen Gegenwartslyrik. Das ist ein Satz, den ich unterschreiben könnte. Ich stellte den schmalen Band damals ziemlich schnell ins Regal, und da hat er die letzten vierzig Jahre verbracht. Sieht immer noch verlagsneu aus. Bei booklooker kann man das Buch heute für vierzig Cent bekommen.

Es gibt inzwischen eine Gerrit Bekker Gesellschaft, auf deren Seite man lesen kann: Gerrit Bekker ist einer der großen norddeutschen Künstler der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Er hat sowohl in der Malerei als auch in der Literatur Herausragendes geschaffen und ist in beiden Bereichen durch Auszeichnungen geehrt worden. Einen Eindruck von dem vielfältigen Schaffen Gerrit Bekkers vermittelt Ihnen seine WebsiteDas ist alles an mir vorbeigelaufen. Sorry.

Ich habe aus dem Gedichtband mal eben ein Gedicht für Sie, es heißt dichter. Es ist der einzige Gedichttitel in dem 80-seitigen Band, der klein geschrieben ist:

dichter

Ich bin das Kind
das aus dem Nest der Krähe stürzte –
wie Woge stürzte
ich
an einem Tag
mit schüchtern Arrr!
den Schnabel weitgerissen,
als ließe sich’s Verderben
beißen.
Ich bin der Vogel, schwarze –
damals aus dem Nest
und meine Flügel brachen nicht für immer.
Hier bin ich aufgestanden, 
an einer Mauerkante
bösen Buben auf das Bett
und auf die Hand zu sehn.
Bin zu verstehn. –
Ich sitze Nacht um Nacht an deinem Hause!
Mit den Gesellen auf den Feldern
vertrete ich den nächsten Tag. 
Da wird der Nebel kommen weiß -
der unser Meister ist -
der uns bewegt -
den wir bewegen dürfen. -
Der Nebel, der dann Meister heißt.

Das Gedicht ist berühmt geworden, weil es in das 25. Jahrbuch der Lyrik: Mit den schönsten Gedichten aus 25 Jahren aufgenommen wurde. Und die Literaturkritikerin Iris Radisch eine lange Interpretation dazu geschrieben hat. Ich stelle meinen Band Wachsflügels Furcht jetzt wieder bei B ins Regal. Neben Uli Becker und Gottfried Benn, mit denen kann ich mehr anfangen. Meinen entfernten Verwandten, der die ganzen siebziger Jahre bekifft war, dann aber doch noch das Juraexamen geschafft hat, habe ich lange nicht mehr gesehen. Er war damals der beste Freund des Dichters, der ihn auch in ein Gedicht namentlich hinein geschrieben hat. Aber das Gedicht verstehe ich auch nicht, obwohl ich den Adressaten kenne. Man kann nicht alles wissen.

Wenn Sie mehr wissen wollen: Anlässlich des Todes von Gerrit Bekker zeigt das Traumkino Kiel am Sonntag, den 9. März um 17.45 Uhr den Dokumentarfilm von Karl Siebig Gerrit M. Bekker – Variationen oder Vom Nutzen der Kunst. Den Regisseur Karl Siebig kenne ich, den habe ich mal bei Hans Fander kennengelernt. Der steht auch schon in meinem Blog. Und den kann ich unbedingt empfehlen, weil er diesen schönen Film Familientreffen: Die Duwes – eine Künstlerfamilie gemacht hat. Und vor Jahrzehnten den Film Die Kinder vom Bullenhuser Damm. Als der Film Gerrit M. Bekker – Variationen oder Vom Nutzen der Kunst vor zwölf Jahren gezeigt wurde, schrieb die Kieler NachrichtenIn seinem Werk schwingt ein Geheimnis mit, ein Wunder, das alles so kam, wie es offenbar musste und wie es gut ist. Bekker kann diese Momente in seinem Leben in allen Farbschatten memorieren, für die Siebig in seinem Film Bilder findet. Im Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (shz) konnte man lesen: Mental hat Gerrit Bekker mehrere Leben gelebt. In knapp zwei Stunden zeigt der Film … die Entwicklung dieses einzigartigen Künstlerlebens.

Sonntag, 2. März 2025

die ganze Welt in zwei Cartoons

Dieser Cartoon erreichte mich vor sechs Tagen. Ein Freund, der die besten Beziehungen in die USA hat, hatte ihn mir zugeschickt. Der Cartoon ist von dem Zeichner Bill Bramhall und ist in der New York Daily News erschienen. Tage bevor wir im Fernsehen sehen konnten, wie das Oval Office zur Bühne einer Schmierenkomödie wurde. Wo Trump, sekundiert von seinem Wadenbeisser Vance, den ukrainischen Präsidenten vor laufenden Kameras heruntermachte. Das ist ja etwas, was er kann, seit er in seiner TV Sendung The Apprentice You are fired ausrief. Die Präsidentschaft Trumps ist zur Reality Show verkommen. David Remnick kommentierte das im New Yorker mit: Trump’s behavior was disgraceful. He and his Vice-President, J. D. Vance, deliberately tried to intimidate Zelensky with all the finesse of a couple of small-time hoods. Und der Guardian hatte die schöne Schlagzeile: Diplomacy dies on live TV as Trump and Vance gang up to bully Ukraine leader.

Wenn es nur die Show wäre, Trump kann nun einfach nicht anders. Aber gefährlich wird es, wenn er Selensky vorwirft, den Krieg gegen Russland begonnen zu haben. Das ist die klassische Täter-Opfer-Umkehr. Susan B. Glasser, die im New Yorker die Kolumne Letter from Trump's Washington schreibt, spricht von Trump’s Putinization of America. Das konservative Wall Street Journal überschrieb einen Kommentar mit Putin wins the Trump-Selensky spectacle in the Oval Office. Und fragte sich: Why did the vice president try to provoke a public fight? (...) Vance reprimanded Selenskyj as if he were a child late for dinner. (...) This was not the behavior of a would-be statesman. 

Bill Bramhall hat das alles in seinem Cartoon vorausgesehen. Der Cartoonist, der im Everett Herald am 22. Februar den Cartoon Last American Weapon Delivery zeichnete, wusste auch schon, was kommen wird. Wir brauchen keine Zeitungen mehr zu lesen, wir müssen nur die Cartoons lesen. Wenn Sie aber doch lieber eine seriöse Zeitung lesen wollen: Den New Yorker, der gerade hundert Jahre alt geworden ist, können Sie unentgeltlich als New Yorker Daily lesen.


Freitag, 28. Februar 2025

Relax, Baby, bloß keinen Stress


Am 28. Februar 1533 wurde Michel Eyquem auf dem Schloss Montaigne geboren. Er hat dieses de Montaigne seinem Familiennamen Eyquem hinzugefügt und dazu gesagt: Quel remede? c'est le lieu de ma naissance, et de la plus part de mes ancestres: ils y ont mis leur affection et leur nom. Das steht in dem Essay Über die Eitelkeit. Montaigne weiß aber, dass es nicht ganz stimmt, dass all seine Vorfahren hier geboren wurden. Sein Urgroßvater Ramon Eyquem, Fisch- und Weinhändler aus Bordeaux, hatte das Anwesen gekauft. Sein Vater war der erste Seigneur de Montaigne, der hier wohnte. Man spricht das Wort heute mit dem kleinen i aus, zu Montaignes Zeit war es noch ein schlichtes Montagne, wie Dalida das singt. Michel de Montaigne war schon häufig in diesem Blog, schon dreimal an seinem Geburtstag, dem 28. Februar. Das sind die Posts Montaigne, Michel de Montaigne und Fremde Federn. Und in über vierzig anderen Posts wird er erwähnt.

Die Übersetzung der Essais durch Hans Stilett ist dort auch schon gerühmt worden. Ein Literaturkritiker namens Harald Schmidt, den wir heute nicht mehr so häufig im Fernsehen sehen, schrieb dazu 1998 im Focus: Unsereins hat das Buch zum Beispiel gekauft, weil es so geil aussieht und sich so toll anfühlt, und plötzlich fängt man an drin rumzulesen und findet amtliche Äußerungen zu wirklich jedem Thema. Nach den ersten Lesestunden (…) lässt sich Montaigne schon mal für alle zukünftigen Fans so weit vereinfachen: ‚Relax, Baby, Deine Zeit ist begrenzt, bloß keinen Stress, shit happens.‘ Irgendwie beruhigend, weil schon um 1580 erkannt.

Die Frage, die ich mir in diesen Tagen stellte, da Donald Trump Amerika demontiert, war: Hat uns Montaigne in der Zeit von Donald Trump noch etwas zu sagen? Bei LinkedIn fand ich unter der Überschrift Donald Trump should read Montaigne die Sätze: An ethical reflection and way of thinking involves the ability to take the distance from our own standards, laws and prejudices. It allows us to evaluate fairly the facts and our vision of the world with some distance and self-irony. It is an attitude that Montaigne, French writer and philosopher, perfectly incarnated and explained in his work. His way of living and thinking leads at the opposite of all forms of chauvinism and fanaticism. Maybe we should send Montaigne’s complete works to Donal Trump as “food for thoughts”??

Es hat wohl keinen Sinn, Trump die Werke Montaignes zuzuschicken. Er kann wahrscheinlich nicht einmal richtig lesen. Viele seiner inzwischen gefeuerten Mitarbeiter haben gesagt, dass er ein funktionaler Analphabet ist. Sprachwissenschaftler versichern uns, dass er den Wortschatz eines neunjährigen Kindes hat. Er liebt Wörter, die nicht mehr als zwei Silben haben. Als er bei einer Veranstaltung des Kongresses im Jahre 2017 zusammen mit Senatoren und ehemaligen Präsidenten eine Seite aus der Declaration of Independence vorlesen sollte, hatte der Mann, der sich in biblischer Sprache als der Auserwählte (I am the chosen one) bezeichnet hat, große Schwierigkeiten: It’s very hard to get through that whole thing without a stumble. It’s like a different language, right?

Ich fand in den Weiten des Internets zum Thema Montaigne-Trump noch etwas Interessanteres als die Sätze bei LinkedIn. Und das war der Artikel →Montaigne in the Age of Trump von dem Amerikaner David Gessner in dem Magazin Ecotone. Gessner hatte das Experiment gemacht, mit der Lektüre von Montaigne gegen Trump zu leben. Der Harvard Absolvent Gessner, Schriftsteller und Literaturprofessor, schreibt über die Natur, und er hat viel darüber zu sagen. Nach Thoreau, Wallace Stegner und Edward Abbey ist er der vielleicht einer der wichtigsten amerikanischen Schriftsteller, der über die Natur schreibt (Sie können dazu mehr in diesem →Interview lesen). Edward Abbey wird hier schon in den Posts Somewhere West of Laramie und Spätwestern erwähnt (der erste Post hat über 12.000 Leser, der zweite die Hälfte davon). 

Auf die Frage eines Journalisten Did any other particular writer(s) inspire you? Who are your influences? antwortete Gessner: Well, I think if you look at what I call my literary family tree, you can see where certain things in my work came from. The most obvious influence is Thoreau. Not long ago I went to Walden Pond with my then six-year-old daughter and my wife, who pointed at where Thoreau’s cabin had been and said, “That’s where the house of the man who ruined daddy’s life was.” In other words, I think she was saying that Thoreau sent me in the direction of nature, nature writing, and non-conformity. Thoreau ist für mich ein schlechter Gewährsmann für den Umgang mit der Natur. Bei aller Verherrlichung des Buches Walden muss man auch sagen, dass Thoreau einmal leichtfertig einen Wald angezündet und nicht bei den Löscharbeiten geholfen hat. Mir ist da James Fenimore Cooper lieber, der in The Pioneers sehr viel über den Beginn der Vernichtung der amerikanischen Natur zu sagen hat. Die letzte der Wandertauben, die er 1823 in seinem Roman beschreibt, ist 1914 im Zoo von Cincinnati gestorben.

Gessner hatte sich aus Montaignes Werk die Sätze Wir müssen uns ein Hinterstübchen zurückbehalten, ganz für uns, ganz ungestört, um aus dieser Abgeschiedenheit  unseren wichtigsten Zufluchtsort zu machen, unsere wahre Freistatt. Hier gilt es, den alltäglichen Umgang mit uns selbst zu pflegen ... indem wir mit uns Zwiesprache halten genommen. Die Sätze stehen in dem Kapitel Über die Einsamkeit. Im Original des Kapitels De la Solitude (das schon in The cure for loneliness is solitude erwähnt wird), heißt das Hinterstübchen arriereboutique. Das fand ich ein witziges Wort, als ich das zum ersten Mal las. Im ersten Amtsjahr von Donald Trump sucht Gessner immer wieder Zuflucht in seiner Hütte in der Marsch am Hewletts Creek in North Carolina, wo er seine alte Paperback Ausgabe der The Complete Essays of Montaigne in der Übersetzung von Donald Frame wieder und wieder liest (ich habe hier für Sie Donald Frames Montaigne Übersetzung im Volltext, falls Sie das lesen wollen). Die Hütte in der Marsch ist jetzt Gessners arriereboutique, draußen ist Donald Trump. Was der mit der Umwelt macht, das wissen wir, das können wir in einem langen Wikipedia Artikel nachlesen.

Wenn Montaigne über die Ruhe und die Gelassenheit schreibt, dann ist er in seiner arriereboutique, seinem Turmzimmer mit den tausend Büchern. Wo man in lateinischer Sprache lesen konnte: Im Jahre des Heils 1571, im 38. Lebensjahr, am 28. Februar, seinem Geburtstag, hat sich Michel de Montaigne, schon lange müde des Dienstes bei Gericht und in öffentlichen Ämtern, in voller Manneskraft in den Schoß der gelehrten Jungfrauen zurückgezogen, um in Ruhe und aller Sorgen ledig, wenn es das Schicksal ihm vergönnt, den kleinen Rest seines schon zum großen Teil verflossenen Lebens zu vollenden; er hat diese Stätte, diesen teuren von seinen Ahnen ererbten Zufluchtsort, seiner Freiheit, seiner Ruhe und seiner Muße geweiht.

Sarah Bakewelles schöne Montaigne Biographie, die schon in dem Post Montaigne en allemand gewürdigt wird, endet mit den Sätzen: The twenty-first century has everything to gain from a Montaignean sense of life, and, in its most troubled moments so far, it has been sorely in need of a Montaignean politics. It could use his sense of moderation, his love of sociability and courtesy, his suspension of judgement, and his subtle understanding of the psychological mechanisms involved in confrontation and conflict.

Montaigne wird nicht für immer in der arriereboutique bleiben, in die er sich am 28. Februar 1571 begeben hat. Neun Jahre später hat er den ersten und den zweiten Band der Essais fertig und begibt sich auf eine Reise nach Deutschland und Italien. Worüber er sein Tagebuch einer Baderreise schreiben wird. Es gibt die Badereise seit 2013 in einer neuen Übersetzung von Hans Stilett. Ich besitze die alte Übersetzung von Otto Flake aus dem Jahre 1908, die von Irma Bühler 1963 durchgesehen wurde, weil es inzwischen eine Montaigne Gesamtausgabe gab, die Flake 1908 noch nicht kannte. Als Montaigne in sein kleines Schloss zurückkommt, findet er dort einen Brief des Königs, der ihn unterwegs hätte erreichen sollen: Herr von Montaigne! Da ich Sie für Ihre höchste Treue und Ergebenheit in meinem Dienste hoch schätze, habe ich mit großer Freude vernommen, dass man Sie zum mayor meiner Stadt Bordeaux gewählt hat, und ich habe dieser Wahl mit um so größerer Freude zugestimmt, als sie ohne Ränkespiel und trotz Ihrer langen Abwesenheit getroffen wurde. Aus diesem Grund befehlige ich Ihnen und fordere Sie hiermit ausdrücklich auf, nach Erhalt des Briefes sofort und unverzüglich zurückzukehren, Ihrer Pflicht nachzukommen und Ihr Amt anzutreten. Das Gegenteil würde ich mit großem Missfallen zur Kenntnis nehmen. Gebe Gott, dass Sie verehrter Herr von Montaigne, bei guter Gesundheit sind. Heinrich.

Nun ist er Bürgermeister von Bordeaux, er wird noch ein zweites Mal gewählt werden. Aber er hat seine Freistatt in seinem Schloss, die sechzig Kilometer kann der gute Reiter Montaigne im Schlaf reiten. Und er weiß auch: Der Bürgermeister von Bordeaux und Montaigne, das waren immer zwei – klar und säuberlich voneinander geschieden. Sein Leben war nicht immer ruhig, er lebt in der Zeit der Religionskriege: Ich lebe in einer Zeit, in der, wie es in wilden Bürgerkriegen nun einmal ist, Beispiele kaum glaublicher Grausamkeit sich häufen. Fälle, die schlimmer sind als die furchtbarsten Berichte aus der Antike, sind heute etwas Alltägliches. Trotzdem habe ich mich durchaus nicht damit abgefunden. Ehe ich es gesehen habe, habe ich mir gar nicht denken können, daß Menschen so barbarisch sein sollten, aus bloßer Mordlust einen Mitmenschen zu töten, ihm Glieder abzuhacken, mit allem Scharfsinn unbekannte Qualen und neue Todesarten auszudenken, und zwar nicht etwa aus Haß oder Profitgier, sondern nur zu dem Zweck, sich an dem Schauspiel eines Menschen in Todesnot zu weiden, an seinen Schmerzensgesten und an seinem Stöhnen und Schreien. Das ist doch offenbar die Höhe der Grausamkeit, daß ein Mensch seinen Mitmenschen tötet nicht aus Zorn, nicht aus Angst, nur weil er ihn sterben sehen will. Der Mensch hat, fürchte ich, von der Natur selbst etwas wie einen Instinkt zur Unmenschlichkeit mitbekommen. 

Als Bürgermeister von Bordeaux war Montaigne bemüht, zwischen Reformierten und Katholiken zu vermitteln. Ralph Waldo Emerson, der ein begeisterter Montaigne Leser war, hat geschrieben: In the civil wars of the League, which converted every house into a fort, Montaigne kept his gates open, and his house without defense. All parties freely came and went, his courage and honor being universally esteemed. Es wird Montaigne gelingen, die Stadt Bordeaux aus dem Krieg herauszuhalten. 1564 hat er vier Tage lang den zukünftigen König Heinrich von Navarra zu Gast. Der darf im Bett des Hausherrn schlafen und die beiden Herren gehen zusammen zur Hirschjagd. Während des Hugenottenkrieges versucht Montaigne zwischen Heinrich von Navarra und Heinrich III zu vermitteln. Beide werden ihn zum gentilhomme ordinaire de la Chambre du Roi ernennen. Beide halten ihn für einen ehrlichen Mann. Über Donald Trump würde das niemand sagen.

Zur Zeit Montaignes gibt es kein Internet und keine sozialen Medien. Es gibt Bücher, Briefe und Flugblätter. Durchziehende Händler, Wanderprediger, Pilger, Wandertruppen von Schauspielern und Spielleuten verbreiten Neuigkeiten, Nachrichten, Gerüchte, Halbwahrheiten und Falschmeldungen. Fake News gibt es nicht erst seit Donald Trump, die gibt es schon im Mittelalter. Der Satz auf dem Schild des Bremer Rolands vryheit do ik ju openbar / d’ karl vnd mēnich vorst vorwar / desser stede ghegheuen hat / des danket god’ is mī radt ist auch Fake News; die Reichsfreiheit hat Bremen nicht durch Karl den Großen bekommen. 

Montaigne hält zum Thema der Lüge für uns das Bonmot bereit: Die Lüge ist ein Winkelgang, von dem man durch eine Hintertreppe zur Wahrheit gelangen kann. Aber er sagt es auch schärfer: Das Lügen ist tatsächlich ein verfluchtes Laster: nur durch das Wort werden wir zum Menschen, nur durch das Wort stehen wir miteinander in Verbindung. Wenn wir uns bewußt würden, was für eine scheußliche und ernste Sache das Lügen ist, würden wir mit Feuer und Schwert dagegen vorgehen, mit mehr Recht als gegen andere Untaten. Montaigne mißtraut den Rhetorikern die alles schönreden können.

Und damit können wir jetzt wieder auf Donald Trump zurückkommen. Dessen Einfluss mit all seinen Lügen kann auch David Gessner in seiner arriereboutique nicht entkommen: Wenn ich dann das genaue Gegenteil dieses Gefühls erleben möchte, kann ich die 'Essays' schließen, die Hütte verlassen, über den Rasen zum Haus gehen und die Nachrichten im Kabelfernsehen einschalten, um zu sehen, was unser Präsident so treibt. Trumps Gabe, so scheint es mir, ist eine Art Aufdringlichkeit, die Fähigkeit, sich an unseren Abwehrmechanismen vorbei in unsere Psyche vorzuarbeiten. Wenn Montaigne einen abgeschiedenen Ort, einen privaten Ort schafft, dann besteht Trumps große Fähigkeit darin, in diesen privaten Ort einzubrechen, ihn zu plündern und ihn so öffentlich zu machen. Was er schafft, oder vielmehr, was wir uns selbst geschaffen haben, indem wir ihn hereingelassen haben, ist ein fast ständiger Zustand des Unbehagens. Wenn man sagen kann, dass ängstliche Gedanken neugierig sind, dann ist er ein menschliches Brecheisen. Und nach einer Weile wollen wir, dass er neugierig ist. Wir haben uns daran gewöhnt, wir sind süchtig danach. Tatsächlich ist Trump eine fast perfekte Verkörperung der Art und Weise, wie wir heute kommunizieren – seines gewählten Mediums Twitter natürlich, aber auch aller sozialen Medien und E-Mails und SMS und des Rests. Denken Sie daran, wie wir früher einmal am Tag Post bekamen, oder besser noch, wie wir als Kinder im Ferienlager Post bekamen, die Aufregung, die Vorfreude. Heute bekommen wir jede Minute, jede Sekunde Post, so scheint es, und leben in einem verrückten Zustand am Rande der Erwartung. 

So ist es auch mit unserem täglichen, stündlichen Trump-Fixation. Es kann nicht noch ungeheuerlicher werden, sagen wir uns, noch ärgerlicher, noch bizarrer. Und doch wird es das. Aber seltsamerweise hungern wir danach, nicht unähnlich unserem Hunger nach sozialen Medien und E-Mails selbst. Wir wollen mehr, wir brauchen mehr, unsere Gedanken sind immer woanders. Die Worte „Eilmeldungen“ laufen am unteren Rand unserer Gedankenbildschirme. Wir wollen unbedingt wissen, was er jetzt getan hat, was es Neues gibt. In deprimierenden Momenten bei der Arbeit google ich „Trump-News“ und gehe dann zu den Tools und füge „Letzte Stunde“ hinzu. Während Montaigne mich in die Gedankenwelt von Jahrhunderten versetzt, denke ich hier an Minuten, sogar Sekunden. Es bleibt keine Zeit zum Grübeln, Lesen, Verarbeiten, gründlichen Nachdenken.

Das ist nun ein bisschen lang geworden (ich habe es Google Translate übersetzen lassen), aber es beschreibt perfekt die conditio humana, in der wir uns mit dem Überangebot von Nachrichten von Donald Trump befinden. Es gibt nur einen Ausweg: niemals mehr die Namen Trump und Musk bei Google eingeben, niemals etwas auf X lesen, immer Montaigne lesen. Und natürlich diesen Blog lesen.