Mittwoch, 24. Dezember 2025

eine alte Weihnachtsgeschichte


ES be­gab ſich aber zu der zeit / Das ein Ge­bot von dem Kei­ſer Au­gu­ſto aus­gieng / Das al­le Welt ge­ſchetzt wür­de. Vnd die­ſe Scha­tzung war die al­ler­er­ſte / vnd ge­ſchach zur zeit / da Ky­re­ni­us Land­pfle­ger in Sy­ri­en war. Vnd je­der­man gieng / das er ſich ſche­tzen lieſ­ſe / ein jg­li­cher in ſei­ne Stad.

DA ma­chet ſich auff auch Jo­ſeph / aus Ga­li­lea / aus der ſtad Na­za­reth / in das Jü­di­ſche­land / zur ſtad Da­uid / die da heiſſt Beth­le­hem / Da­rumb das er von dem Hau­ſe vnd ge­ſchlech­te Da­uid war / Auff das er ſich ſche­tzen lieſ­ſe mit Ma­ria ſei­nem ver­traw­e­ten Wei­be / die war ſchwan­ger. Vnd als ſie da­ſelbſt wa­ren / kam die zeit / das ſie ge­be­ren ſol­te. Vnd ſie ge­bar jren er­ſten Son / vnd wi­ckelt jn in Win­deln / vnd le­get jn in ei­ne Krip­pen / Denn ſie hat­ten ſonſt kei­nen raum in der Her­ber­ge.

VND es waren Hir­ten in der ſel­bi­gen ge­gend auff dem fel­de / bey den Hür­ten / die hü­te­ten des nachts jrer Her­de. Vnd ſi­he / des HER­RN En­gel trat zu jnen / vnd die Klar­heit des HER­RN leuch­tet vmb ſie / Vnd ſie furch­ten ſich ſeer. Vnd der En­gel ſprach zu jnen. Fürch­tet euch nicht / Si­he / Ich ver­kün­di­ge euch groſ­ſe Freu­de / die al­lem Volck wi­der­fa­ren wird / Denn Euch iſt heu­te der Hei­land ge­börn / wel­cher iſt Chri­ſtus der HErr / in der ſtad Da­uid. Vnd das habt zum Zei­chen / Ir wer­det fin­den das Kind in win­deln ge­wi­ckelt / vnd in ei­ner Krip­pen li­gen. Vnd als bald ward da bey dem En­gel die men­ge der hi­me­li­ſchen Herr­ſcha­ren / die lob­ten Gott / vnd ſpra­chen / Ehre ſey Gott in der Hö­he / Vnd Frie­de auff Er­den / Vnd den Men­ſchen ein wol­ge­fal­len. 

VND da die En­gel von jnen gen Hi­mel fu­ren / ſpra­chen die Hir­ten vn­ter­nan­der / Laſſt vns nu ge­hen gen Beth­le­hem / vnd die Ge­ſchicht ſe­hen / die da ge­ſche­hen iſt / die vns der HERR kund ge­than hat. Vnd ſie ka­men ei­lend / vnd fun­den bei­de Ma­ri­am vnd Jo­ſeph / da­zu das Kind in der krip­pen li­gen. Da ſie es aber ge­ſe­hen hat­ten / brei­te­ten ſie das wort aus / welchs zu jnen von die­ſem Kind ge­ſagt war. Vnd al­le / fur die es kam / wun­der­ten ſich der Re­de / die jnen die Hir­ten ge­ſagt hat­ten. Ma­ria aber be­hielt al­le die­ſe wort / vnd be­we­get ſie in jrem her­tzen. Vnd die Hir­ten ke­re­ten wi­der­umb / prei­ſe­ten vnd lob­ten Gott vmb al­les / das ſie ge­hö­ret vnd ge­ſe­hen hat­ten / wie denn zu jnen ge­ſagt war.

Wir, liebe Leser, feiern heute zum fünfzehnten Mal Weihnachten zusammen. Heute gibt es die Weihnachtsgeschichte in der Version Luthers. 2010 stand hier der Engländer William Tyndale, der die Bibel hundert Jahre vor der Kings James Version ins Englische übersetzt hatte.

Als ich klein war, wusste ich nicht, was ein Landpfleger ist. Aber wenn in der Weihnachtspredigt nicht Kyrenius Landpfleger in Syrien war vorkam, dann wäre es kein Weihnachten gewesen. Wenn man einen Text nicht gleich versteht, weil er nicht in der Form eines easy readers daherkommt, dann erwächst der Wunsch, ihn verstehen zu wollen. Das Was ist das? Was ist das? bleibt die große Frage - auch wenn ihr nicht Je, den Düwel ook, c’est la question, ma tres chère demoiselle! nachgesetzt wird wie in Thomas Manns Buddenbrooks. Und deshalb gibt es heute, weil es so schön klingt, die Weihnachtsgeschichte in der Übersetzung von William Tyndale:

It followed in those days: that there went out a commandment from August the Emperor, that all the world should be valued. This taxing was first executed when Syrenus was leftenant in Syria. And every man went into his own shire town, there to be taxed. And Ioseph also ascended from Galilee, out of a city called Nazareth, into jewry: into the city of David, which is called Bethlehem, because he was of the house and lineage of David to be taxed with Mary his wedded wife, which was with child. And it fortuned while they were there, her time was come that she should be delivered. And she brought forth her first begotten son. And wrapped him in swaddling clothes, and laid him in a manger, because there was no room for them within, in the ynne. And there were in the same region shepherds abiding in the field, and watching their flock by night. And lo: the angel of the Lord stood hard by them, and the brightness of the Lord shone round about them, and they were sore afraid. And the angel said unto them: Be not afraid: Behold I bring you tidings of great joy, that shall come to all the people: for unto you is born this day in the city of David a saviour, which is Christ the Lord. And take this for a sign: ye shall find the child swaddled, and laid in a manger. And straight way there was with the angel a multitude of heavenly soldiers, lauding God, and saying: Glory to God on high, and peace on the earth: and unto men rejoicing. And it fortuned, as soon as the angels were gone away into heaven, the shepherds said one to another: let us go even unto Bethlehem, and see this thing that is happened, which the Lord hath shewed unto us. And they came with haste, and found Mary and Ioseph, and the babe laid in a manger. And when they had seen it, they published abroad the saying, which was told them of that child. And all that heard it wondered, at those things which were told them of the shepherds. But Mary kept all those sayings, and pondered them in her heart. And the shepherds returned, praising and lauding God for all that they had heard and seen, even as it was told unto them.


Ich wünsche meinen Lesern ein schönes Weihnachtsfest.

Sonntag, 21. Dezember 2025

Advent

 


Donnerstag, 18. Dezember 2025

verpasst

Den 250. Geburtstag von Jane Austen habe ich leider verpasst. Weil ich dabei war, die Weihnachtsgeschenke einzupacken und zu versenden. Es ist nicht so, dass ich Jane Austen nicht mag, so wie Mark Twain. Der gesagt hat: Jane Austen? Why I go so far as to say that any library is a good library that does not contain a volume by Jane Austen. Even if it contains no other book. Und andere böse Dinge. Mark Twain ist das eine, Jane Austen das andere, es sind andere Welten. Ich mag Jane Austen sehr, und sie war schon häufig in diesem Blog. Ob sie so aussah wie auf diesem Bild von Ozias Humphry, darüber streiten sich die Gelehrten. Ich habe heute mit zwei Tagen Verspätung einen kleinen Jane Austen Post für Sie. In dem es ein *Video gibt und fünf Posts, die mit ihr zu tun haben. 

Am besten fangen Sie mal mit Darling Jane an. Und dann gibt es noch: Schnulzen?, Jane Austen, Regency, Fanny Burney. Das ist doch besser als nix. Jane Austen ist nach 250 Jahren immer noch lesenswert. Mark Twain auch, aber das ist eine andere Welt. Und zwei Literaturtipps habe ich auch noch. Der eine ist der hervorragende Blog →Jane Austen's World, etwas Besseres gibt es in der Blogosphere nicht. Der andere Tipp ist ein ewiger Klassiker, das Buch A Portrait of Jane Austen von Lord David Cecil. Über das John Bayley sagte: I would unhesitantly pronounce the book to be the best portrait of herself and her work that exists.

Sonntag, 14. Dezember 2025

Advent

In dem Zimmer hier vorne ist etwas Licht, da brennen auch schon die Adventskerzen. Das Zimmer dahinter ist dunkel, das Licht kommt nur von den 
Schreibtischlampen und dem Bildschirm des Computers. Die elegante Deckenlampe ist nicht angeschaltet, und die weiße Harvey Guzzini Lampe, von der man im dunklen Zimmer ein Hälfte sehen kann, bleibt auch dunkel. Vor der Bücherwand (drei Meter mal fünf Meter Lundia Regale, kein Ikea) kann man ein Bild sehen. Das Bild ist schon in den Post die Bilder im Wohnzimmer hineingewandert. Ich weiß nicht, wer es gemalt hat, aber ich liebe das Bild. Wer das blaue Bild (Hamburger Rathausplatz bei Regen) über der Türfüllung gemalt hat, das weiß ich. Das war ich selbst, das Bild wird schon im ersten Absatz des Posts Kunsterziehung erwähnt. Jetzt können Sie es einmal sehen. Das Bild am linken Rand des Photos ist das schöne Landschaftsbild, das schon in dem Post Hans Matthison-Hansen abgebildet ist. Neben der Tür ist ein CD Stapel, der 1,53 Meter hoch ist, nur J.S. Bach. Nur die *Goldberg Variationen und die Klavierwerke. Und ohne Glenn Gould, der hat woanders seinen Platz. Rechts im Bild sehen sie Bücherberge, die Bücher sind überall. Eigentlich wohne ich in einer Bibliothek. Alles, was in den Büchern drinsteht, tippe ich dahinten in der Dunkelheit mit meinem Computer in meinen Blog.


Ich wünsche allen Lesern einen schönen Adventssonntag.

Freitag, 12. Dezember 2025

All the Things You Are Not Yet


Die englische Dichterin Helen Dunmore wurde am 12. Dezember 1952 in Yorkshire geboren. Sie hat in York Englisch studiert und war zwei Jahre in Finnland Englischlehrerin. Da ist sie auf die Idee gekommen, ihren ersten Roman zu schreiben. Es kamen noch viele dazu, auch Kinder- und Jugendbücher. Aber eigentlich war sie in Wirklichkeit eine Dichterin, zehn Jahre vor ihrem ersten Roman hatte sie ihren ersten Gedichtband fertig. Von 1983 bis 2017 hat sie ein Dutzend Gedichtbände veröffentlicht. Ich habe heute zwei Gedichte von *Helen Dunmore für Sie. Das erste Gedicht heißt All the Things You Are Not Yet, es ist das Gedicht, das mir von ihren Gedichten am besten gefällt. Gut, das ist jetzt eine etwas subjektive Aussage, die Sammlung ihrer Gedichte Counting Backwards: Poems 1975-2017 ist 432 Seiten lang. Und ich nehme an, andere Leser würden andere Gedichte nehmen.

All the Things You Are Not Yet

for tess

Tonight there's a crowd in my head:
all the things you are not yet.
You are words without paper, pages
sighing in summer forests, gardens
where builders stub out their rubble
and plastic oozes its sweat.
All the things you are, you are not yet.

Not yet the lonely window in midwinter
with the whine of tea on an empty stomach,
not yet the heating you can't afford and must wait for,
tamping a coin in on each hour.
Not the gorgeous shush of restaurant doors
and their interiors, always so much smaller.
Not the smell of the newsprint, the blur
on your fingertips — your fame. Not yet

the love you will have for Winter Pearmains
and Chanel No 5 — and then your being unable
to buy both washing-machine and computer
when your baby's due to be born,
and my voice saying, "I'll get you one"
and you frowning, frowning
at walls and surfaces which are not mine —
all this, not yet. Give me your hand,

that small one without a mark of work on it,
the one that's strange to the washing-up bowl
and doesn't know Fairy Liquid for whiskey.
Not yet the moment of your arrival in taxis
at daring destinations, or your being alone at stations
with the skirts of your fashionable clothes flapping
and no money for the telephone.

Not yet the moment when I can give you nothing
so well-folded it fits in an envelope —
a dull letter you won't reread.
Not yet the moment of your assimilation
in that river flowing westward: rivers of clothes,
of dreams, an accent unlike my own
saying to someone I don't know: darling...

Die Tess im Untertitel des Gedichts ist Dunmores Tochter Tess Charnley. Hier hält sie gerade den Gedichtband Inside the Wave hoch, mit dem ihre Mutter posthum den Costa Book of the Year Award bekommen hat. In der zweiten Auflage des Buches ist auch das letzte Gedicht von Dunmore abgedruckt, sie schrieb es, als sie im Sterben lag. Es ist ein Gedicht über ihr Sterben, das mit der Strophe beginnt: 

Death, hold out your arms for me
Embrace me 
Give me your motherly caress, 
Through all this suffering
You have not forgotten me. 

Sie hatte ihrer Tochter gesagt: Darling, check your email. There's something for you. Und da war es, das Gedicht Hold out your arms. Es findet sich auch in der Sammlung Counting Backwards: Poems 1975-2017, die bei mir im Regal steht.

Sonntag, 7. Dezember 2025

Nikolaustag


Dear Editor: I am 8 years old.
Some of my little friends say there is no Santa Claus.
Papa says, ‘If you see it in THE SUN it’s so.’
Please tell me the truth; is there a Santa Claus?


Das schrieb die kleine Virginia O’Hanlon im Jahre 1897 an den Herausgeber der New Yorker Sun. Und der antwortete mit der Schlagzeile: Yes, Virginia, there is a Santa Claus. Der Santa Claus scheint fest in amerikanischer Hand zu sein, aber es sind die Holländer, die ihn einst nach Amerika gebracht haben. Coca Cola macht seit 1931 damit Reklame, dass sie den Weihnachtsmann erfunden haben. Wahrscheinlich glaubt Donald Trump das auch. Dabei wissen wir alle, dass die Figur des putzigen Mannes mit dem weißen Bart nicht von Haddon Sundblom ist, sondern aus der Zeichenfeder des Deutschen Thomas Nast stammt (lesen Sie mehr dazu in dem Post Santa Claus). Es ist ja heute alles so fürchterlich kommerzialisiert, nicht nur durch Coca Cola. Wenn das erste Weihnachtsgebäck Ende September im Supermarkt liegt (und dann etwas schamvoll als Herbstgebäck deklariert wird), dann ist das irgendwie pervers. Der Adventstag und die kirchlichen Feiertage interessieren niemanden mehr, wir haben ja jetzt den Black Friday. Danach kommt der Cyber Monday. Aber trotzdem hält die Konsumflaute im Weihnachtsgeschäft an, der Mitgliederschwund in den Kirchen auch. Der heilige Nikolaus von Myra soll mit dem Schenken angefangen haben, heute macht das Jeff Bezos. Santa Claus is Amazon, wie *Jesse Welles so schön singt.

Wo sind wir hingekommen? Können wir zurück? In der Erinnerung immer. Und deshalb wird hier heute etwas stehen, was schon im ersten Jahr meiner neuen Lebens als Blogger hier stand. Nämlich ein Text über den Nikolaus.

Ick bin en lüttjen König, 
geevt mi nich to wenig,
Laat mi nich so lange stahn,
ick mutt all weder wiedergahn.

Noch bevor man in der Schule Gedichte lernte, lernte man in Bremen diese Verse. Ich habe große Teile von Schillers und Goethes Gedichten vergessen, aber das Halli, Halli, Hallo, So geiht nah Bremen to, das vergisst man nicht. Und so durfte in diesem Blog im Dezember 2010 ein Post zum Nikolaus nicht fehlen, es war mein erster Nikolaustag als Blogger. Da wusste ich noch nicht, wohin die Reise ging. Jetzt kennt mich die Welt. Darf man das so sagen? Meine Leser mögen mich, und ich mag meine Leser. Meine Leser mögen mich, weil ich Geschichten erzähle. Und nebenbei auch noch ein klein wenig Bildung vermittle. Und weil ich hemmungslos subjektiv bin. Ein Zettel mit Goethes Satz: Sieh, liebes Kind, das ist ein Vorzug, den die Leute haben, die nicht schreiben: sie kompromittieren sich nicht, klebt an meinem Schreibtisch. Also da, wo Herman Melville seinen Zettel mit dem Keep true to the dreams of thy youth kleben hatte.

Der Nikolaus Post, der zuerst Sünnerklaas hieß, ist in diesem Blog am 6. Dezember immer wieder aufgetaucht. Ich stelle ihn heute in der Version von 2010 hier hin. Ohne Bilder. Bilder konnte ich noch nicht. Jetzt kann ich alles. Ich wünsche meinen Lesern eine schöne Adventszeit.



Als die Winter noch kälter waren als in diesen Tagen, als die Straßenbeleuchtung noch spärlich war und der Schutzmann noch einen Tschako trug, da waren am Abend des Nikolaustages in Bremen lauter kleine Nikoläuse unterwegs. Der Heilige Nikolaus hieß in dieser Gegend auch Sünnerklaas, was plattdeutsch für Sankt Klaus ist. Je weiter man nach Holland kam, desto mehr verwandelte sich dieses Sünnerklaas (oder Sünnerklaus) zu Sinnerklaas. Es blieb aber immer der gleiche Heilige Nikolaus von Myra, der der Schutzheilige der Kinder und der Seefahrer ist. Weshalb auch jede Hafenstadt eine Nikolaikirche hat. Obgleich Bremen von den Amerikanern besetzt war, hatte Halloween mit trick-or-treat auf uns noch nicht abgefärbt. Bei uns gab es das Nikolauslaufen. Dazu musste man sich verkleiden, eine rote Mütze, ein falscher Bart und ein Stock (die symbolischen Reste des Bischofstabs) gehörten zu dem Outfit. Opas Spazierstock eignete sich hervorragend dafür. Und natürlich ein Sack, in den man die empfangenen Süßigkeiten wie Moppen und Spekulatius tat. Und man musste sein Sprüchlein an jeder Tür in der Nachbarschaft aufsagen:

Nikolaus de gode Mann,
kloppt an alle Dören an.
Lüttje Kinner gifft he wat,
grode steckt he in'n Sack.
Halli, Halli, Hallo,
So geiht nah Bremen to.


Und wenn da nicht schnell genug die Süßigkeiten rausgerückt wurden, dann kam da noch, unter Aufstampfen des Stockes, eine zweite Strophe:

Ick bin en lüttjen König,
geevt mi nich to wenig,
Laat mi nich so lange stahn,
ick mutt all weder wiedergahn.
Halli, Halli, Hallo,
So geiht nah Bremen to.


Es ging immer nah Bremen to, da wollten die Bremer Stadtmusikanten auch hin (Ei, was, du Rotzkopf, sagte der Esel, zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall). Nun macht es ja keinen großen Sinn, halli, halli, hallo, so geiht nah Bremen to zu singen, wenn man sowieso in Bremen ist. Obgleich die Stadt Bremen für uns in Nordbremen weit, weit weg war. Irgendwie scheint diese Sache mit Bremen (wie vielleicht auch das ganze Nikolauslaufen) aus den Liedern zu kommen, die am Martinstag in Ostfriesland gesungen wurden, wo es Sünnematten, Mattenherrn oder Matten Matten Mähren hieß. Da sang man dann:

Matten-, Mattenmähren,
die Äpfel und die Beeren,
gute[r] Frau [Mann], gib uns was.
Lass uns nicht so lange steh'n!
Wir wollen noch nach Bremen geh'n.
Bremen is ne große Stadt,
da kriegen alle Kinder wat,
die Großen und die Kleinen,
sonst fang se an zu weinen.


Im 19. Jahrhundert hat es in Bremen - der Stadt von der man in Liedern und im Märchen träumt, dass dort alles besser ist - noch andere Strophen zu dem Nikolauslied gegeben, wie zum Beispiel:

Miin Vadder is Zigarrenmaaker,
miin Mudder ruppt Toback.
Un wenn ji dat nich glöben wüllt,
denn steck ick jo inn'n Sack.
Halli, halli, hallo
So geiht na Bremen to.


Das wurde nun wohl in den Stadtteilen gesungen (es ist auf jeden Fall aus Hastedt überliefert), wo die weniger Begüterten wohnten. Und man muss wahrscheinlich auch betonen, dass das Nikolauslaufen zuerst eine Sache der ärmeren Schichten gewesen ist, bevor es im 19. Jahrhundert von allen Bremer Kindern adaptiert wurde. Die Zigarrenmaaker kommen in unzähligen Bremer Döntjes aus dem 19. Jahrhundert vor. Man kann der Strophe auch entnehmen, dass Frauenarbeit in den Bremer Fabriken selbstverständlich ist - miin Mudder ruppt Toback - und auch die Kinderarbeit, selbst wenn sie hier im Nikolauslied nicht vorkommt. Die Zigarrenmaakers sind die erste gewerkschaftlich organisierte Gruppe in Bremen, wo es in der Mitte des 19. Jahrhunderts 78 Tabakfabriken gab. Sie bildeten auch ein Element gesellschaftlicher Unruhe in der sonst festgefügten konservativen bürgerlichen Struktur des 19. Jahrhunderts. Das repräsentative Gebäude neben dem Dom, auf dem mit goldenen Lettern Verein Vorwärts steht, gehörte seit 1853 dem Bildungsverein der Zigarrenmacher. Heute ist da die Wittheit zu Hause. Der Zusammenschluss der Zigarrenmacher verfolgte neben der Wahrung sozialer Interessen auch Ziele in der Allgemeinbildung. Und sie hatten Vorleser in der Fabrik.

Vielleicht kann man das mit den Zigarrenmachern in Kuba vergleichen, die in ihren Fabriken einen Vorleser hatten, der ihnen während der Arbeit Romane vorlas. So hörten die Arbeiter Victor Hugo, Alexandre Dumas, Jules Verne, Shakespeare und Emile Zola. Angeblich sollen so die Zigarrenmarken Montechristo und Romeo y Julieta nach dem Grafen von Montechristo und Shakespeares Theaterstück benannt worden sein. Manchmal lasen die Vorleser auch Politisches aus Zeitungen vor, was bei den Fabrikbesitzern nicht so gut ankam (und manchmal verboten wurde). Ob der leidenschaftliche Zigarrenraucher Karl Marx das gewusst hat? Auch in den Bremer Tabakfabriken hat es solche Vorleser gegeben, die von den Arbeitern bezahlt wurden. Manchmal waren das auch Kinder und Handlanger, die kosteten nicht so viel. Der Beginn der Arbeiterbildung liegt, auf jeden Fall in Bremen, im Tabakrauch. 

Vorleser gibt es in Kuba heute immer noch, auch wenn sie - wie Guillermo Cabrera Infante in seiner wunderbaren Kulturgeschichte des Rauchens Holy Smoke etwas gehässig sagt - heute die Gesammelten Werke von Fidel Castro vorlesen müssen. Die erste Zigarrenfabrik in Kuba, die einen bezahlten Vorleser gehabt haben soll, hieß El Figaro. Wenig später folgte Don Jaime Partagas (die Firma und die Zigarre heißt immer noch so), der dem Vorleser sogar ein Lesepult spendierte. Als der amerikanische Innenminister W.H. Seward kurz nach dem Bürgerkrieg die Fabrik von Partagas besuchte, war er von diesem System begeistert. Da hatten schon alle Tabakfabriken in Kuba einen Vorleser. Was sie nicht hatten, waren (im Gegensatz zu Bremen) weibliche Arbeitskräfte. Diese Geschichte, dass eine gute Zigarre auf den Schenkeln einer Kubanerin gerollt sein muss, entstammt männlichen Phantasievorstellungen. Erst Ende der 1870er Jahre fängt die erste Frau in einer Zigarrenfabrik auf Kuba an. Da ist die Oper Carmen schon aufgeführt worden.

Ich erwähne die nur, weil da eine Zigarettenfabrik drin vorkommt, die der berühmte Wilfried Minks (von Bremen nach Hannover ausgeliehen) Anfang der sechziger Jahre in Hannover so schön auf die Bühne gezaubert hatte. Und der Regisseur hatte den Einfall, Carmen auf der Bühne rauchen zu lassen. Und sie dann so wahnsinnig cool die Ziggi wegschnippen zu lassen, bevor sie L'amour est un oiseau rebelle singt. Der Effekt wurde aber bei der Premiere noch übertroffen. Ein junger, schlaksiger Verehrer der Sängerin der Carmen wanderte den linken Gang entlang bis zur Bühne und warf der Sängerin eine langstielige rote Rose vor die Füße, als sie mit der Habanera fertig war. Danach verließ er den Zuschauerraum. Die Krönung des Ganzen war, dass er eine rote Lederjacke trug. Wo um alles in der Welt kriegt man Anfang der sechziger Jahre eine quietscherote Lederjacke her? Roter als jeder Nikolausmantel. Ich war die ganze Aufführung lang neidisch. Auf die rote Lederjacke und auf diesen Kerl, der die Sängerin kannte.

Wenn die Strophe mit dem lüttjen König allen geläufig ist, so scheint es in Bremen im 19. Jahrhundert dabei auch noch eine Variation gegeben zu haben, die weniger auf kleine Könige und auf Kinder von Zigarrenmaakers als auf soziales Elend hinweist:

Ick bün so’n lütten Schipperjung,
Mutt all miin Broot verdeen’n,
Den ganzen Dag in’t water stan
Mit mine korten Been’n
Halli, halli, hallo,
Nu geiht’t na Bremen to

Über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Schreiben: da fange ich mit einer Kindheitserinnerung an, mit Versen, die ich immer noch aufsagen kann, und dann muss ich erkennen, dass wir Bremer mit diesem schönen Brauch nicht allein gewesen sind. Nikolauslaufen hat es überall gegeben. Inzwischen ist es beinahe ausgestorben, jetzt importieren wir kommerzialisierte amerikanische Bräuche wie Halloween. Im Radio Last Christmas von Wham zum tausendsten Mal. Ich könnte wetten, dass keiner von denen, die den zum Dudelfunk heruntergekommenen NDR hören, ein halbes Dutzend deutscher Weihnachtslieder mit allen Strophen beherrscht. Ein Ehepaar sammelt seit drei Jahren Geld, um die Rechte von Last Christmas zu kaufen. Um das Lied dann zu vernichten, damit es nie wieder gespielt werden kann.

Und die Zigarrenfabriken in Bremen gibt es auch nicht mehr, wenn man von Resten wie Martin Brinkmann (Lux, Peer Export, Lord Extra) mal absieht. Das ist aber nichts mehr vom Glanz der großen Zeit, als der Zigarrenkönig Friedrich Biermann von der Firma Leopold Engelhardt & Biermann sechstausend Arbeiter beschäftigte. Durch die für Bremen ungünstige Zollordnung hat sich die Zigarrenfabrikation in der zweiten Häfte des 19. Jahrhunderts nach Bünde in Westfalen verlagert. Mein Opa hätte die Villa von Biermann in St Magnus in den zwanziger Jahren billig kaufen können. Aber dann hätte er jeden Morgen zu seiner Schule durch den Arbeiterstadtteil Grohn (der für ihn den bösen Beinamen Kamerun bei Pumpe hatte) marschieren müssen, und das war dem kaisertreuen Ex-Hauptmann nun wirklich nicht zuzumuten.

Je mehr ich begann, den Anfängen des Nikolauslaufens nachzugehen, musste ich feststellen, dass natürlich die Volkskundler und die Lokalhistoriker sich schon mit dem Thema beschäftigt haben. War ja auch anzunehmen, dass hinter all dem, was wir tun, etwas Mythisches steckt. So wie es uns James George Frazer und Jessie L. Weston (ohne die wäre Eliots The Waste Land nichts geworden) gezeigt haben. Das interessiert einen aber nicht, wenn man mit kalten Füßen, laufender Nase und schidderigem roten Bademantel im Dunkeln an einer fremden Tür klingelt und die magischen Worte sagt: Nikolaus de gode Mann, kloppt an alle Dören an.

Ich wünsche alle Lesern einen schönen Advent.


Donnerstag, 4. Dezember 2025

Regattastart


Wenn eine Segelregatta beginnt, müssen alle Boote gleichzeitig an der Startlinie sein. So wie wir das hier auf der Werbeanzeige der Firma Aquastar aus Genf sehen können. Die extra für die Skipper eine Uhr herausgebracht hatte, die die zeitliche Orientierung vor dem Start erleichterte. Das Modell heißt Régate, was französisch für Regatta ist. Die Firma Aquastar gibt es erst seit 1958, sie ist spezialisiert auf Taucheruhren. In dem Post Taucheruhren wurde die Firma allerdings nicht erwähnt, ich dachte, ich hebe sie mir für später auf. Aber in dem Post Blazer war schon eine Aquastar Geneve Regate Olympic Start zu sehen, die allerdings von der Firma Tissot kam. Auch die Firmen Duward, Heuer und Lemania haben solche Segleruhren gebaut. Lemania hatte auch eine Uhr mit dem Namen des dänischen Seglers Paul Elvström im Programm. Omega offerierte später mit der Seamaster APNEA noch etwas Ähnliches. Heute sind diese Uhren selten und sehr teuer geworden.

Es sind Chronographen, die anstelle der üblichen Hilfszifferblätter fünf Kreise auf dem Zifferblatt haben. Wenn man den Drücker oberhalb der Krone drückt, springt der rote Sekundenzeiger auf Null. Und die fünf Scheiben, die eben noch die Farbe des Zifferblatts hatten, färben sich mit einem Schlag blau. Und hier können wir sehen, dass der Sekundenzeiger noch sechzehn Sekunden laufen muss, dann ist die linke Scheibe ganz rot. Dann ist die erste Minute vergangen. Danach färben sich minutenweise alle Scheiben rot, danach minutenweise schwarz. Wenn der letzte Kreis wieder schwarz ist, muss man mit dem Boot an der Ziellinie angekommen sein. Sie können das Ganze auch auf diesem kleinen *Video sehen.

Die Uhr ist 39 mm groß, wiegt 100 Gramm und ist mit 16 Millimetern ziemlich dick. Der Flyback Chronograph der Firma Lemania (Kaliber 1345), den Albert Piquet konstruiert hatte, braucht viel Platz. In den ersten Uhren war noch ein Felsa 4000N mit einem aufgesetzten Modul gewesen, aber das konnte nur fünf Minuten zählen. Doch die zehn Minuten, die der Segler nach dem ersten Startschuss hat, sind wichtig. Also ging man zu dem Lemania Kaliber über. Wenn Sie viel Zeit haben, können Sie hier die →Regattaregeln lesen. In einer alten Firmenbroschüre kann man lesen guaranteed waterproof to sixty feet, aber ich glaube, das ist ein Druckfehler. Das Gehäuse der Uhr ist so massiv, dass sie bestimmt hundert Meter wasserdicht ist.

Frédéric Robert, der die Uhr auf den Markt brachte, brauchte dafür keine neue Firma zu gründen, er änderte einfach den Namen der Firma, die er von seinem Vater geerbt hatte. So wurde aus Daniel JeanRichard die Firma Aquastar. Die Firma Daniel JeanRichard, die heute Girard-Perregaux gehört, hat hier im Blog schon einen interessanten Post, der leider nicht so häufig gelesen wurde. Meine  Aquastar Geneve Regate Olympic Start ist aus den späten siebziger Jahren, ich habe sie seit einem Vierteljahrhundert. Mein Uhrmacher hatte sie mir damals geschenkt. Ich habe der Uhr gerade eine Revision und ein neues Armband (orange) spendiert. Nord- und Ostsee hat die Uhr nie gesehen. Aber auf Kindergeburtstagen war sie früher eine Sensation. Heute nicht mehr, da glotzen die Kiddies alle nur noch auf ihr Handy.

Segelboote kommen ziemlich häufig in diesem Blog vor. Gesegelt bin ich mit meiner Aquastar nie, in den Jahren des Segelns hatte ich immer meine Tissot Seastar Seven oder die →Tissot T12 mit dem Gay Frères Band am Arm. Die beide nach mehr als einem halben Jahrhundert und mehreren Berührungen mit dem nassen Element immer noch sehr gut gehen. Die besten Posts über Segelboote in diesem Blog sind: Segelboote, Max Oertz, Basel, saudade, Die Weser: ein langer Fluss, ein langer Text.